Freitag, März 29, 2024

Warum Erdoğan eine kritische Ärztin ins Gefängnis warf

Die türkische Ärztekammerpräsidentin Fincancı hatte eine unabhängige Untersuchung zu möglichen Giftgaseinsätzen gegen die PKK gefordert. Daraufhin landete sie in Haft.

Wien, İstanbul 17. Januar 2023 | Die bekannte Menschenrechtsaktivistin, Professorin für Rechtsmedizin und Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB) Rasime Şebnem Korur Fincancı hat am Montag in der Tageszeitung “Evrensel“ einen Artikel über ihre Zeit im Gefängnis veröffentlicht. Sie beschreibt darin die unmenschlichen Haftbedingungen im Frauengefängnis Bakırköy – nachdem sie selbst gerade erst wieder aus der Haft entlassen wurde. Sie wolle, schreibt sie, so eine Stimme derjenigen im Gefängnis sein. Die „Evrensel“-Zeitung gilt als linke Arbeiterzeitung und eines der letzten unabhängigen Medien in der Türkei.

Die traurige Ironie an der Veröffentlichung ihres Textes: Ihre bis vor kurzem noch Mit-Insassinnen werden den Artikel nicht lesen können – „Evrensel“ wurde in Gefängnissen de facto verboten.

Skandalöse Haftbedingungen

Viele Häftlinge, oft ausländische Frauen, die kaum Türkisch sprechen, sitzen teils lange Haftstrafen ab, weil sie sich keine Anwälte und Anwältinnen leisten können. Die sanitären Bedingungen seien, schreibt Fincancı, durch verschimmelte Gefängnisgebäude und Ungeziefer stark beeinträchtigt. Der Zugang zu medizinischer Versorgung bliebe den meisten Insassinnen verwehrt. Viele können sich die Versorgung mit Hygieneprodukten oder Trinkwasser nicht leisten. Dazu kommen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse derer, die einsitzen. Fincancı selbst wurde ein Wasserkocher und sogar Tee zum Frühstück verwehrt.

Untersuchungsforderung von möglichen Chemiewaffeneinsatz

Wie kam es überhaupt dazu? Şebnem „Hoca“ Fincancı war am 11. Januar 2023 von einem İstanbuler Gericht wegen „Terrorpropaganda“ zu einer Haftstrafe von 32 Monaten verurteilt worden. Sie hatte sich in einem Interview mit „Medya Haber TV“ am 20. Oktober 2022 für eine unabhängige Untersuchung ausgesprochen, rund um die Vorwürfe, dass das türkische Militär in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak Giftgas gegen die als terroristische Organisation eingestufte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingesetzt haben soll. Das passte der Erdoğan-Regierung nicht. Die ausgewiesene Expertin für Folterdokumentation Fincancı wurde daraufhin vom türkischen Verteidigungsministerium wegen Verleumdung angeklagt.

Kritik an instrumentalisierenden Medien

Nach Beginn der Ermittlungen kritisierte Fincancı den (PKK-nahen) Sender „Medya Haber TV“ und andere Medienunternehmen dafür, dass sie ihre Aussagen dahingehend aus dem Kontext gerissen und fälschlicherweise berichtet haben, Fincancı hätte behauptet, Chemiewaffen seien tatsächlich eingesetzt worden. Dabei habe sie nur eine unabhängige Untersuchung gemäß den Grundsätzen des Minnesota Protokoll (UNHCHR) gefordert. Am 26. Oktober 2022 wurde sie in İstanbul verhaftet, am 27. Oktober wurde sie formell angeklagt.

Freilassung und drohender Entzug der ärztlichen Zulassung

Der 24. İstanbuler Gerichtshof für Schwere Straftaten ordnete Fincancıs sofortige Freilassung aus dem İstanbuler Bakırköy-Frauengefängnis an. Der Grund für die Wende: Fincancıs abgesessene Zeit im Gefängnis und die restliche Aussetzung der Strafe auf Bewährung. Außerdem werden Haftstrafen von weniger als drei Jahren in der Türkei selten vollstreckt.

Unterstützerinnen von Fincancı jubelten im vollen Gerichtssaal und stimmten Sprechchöre an. Anschließend feierte Fincancı mit Freundinnen vor dem Bakırköy Gefängnis. Was jetzt droht: Die Professorin könnte ihre Approbation als Ärztin verlieren.

(red)

Titelbild: OZAN KOSE / AFP / picturedesk.com

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4 Kommentare

  1. Es ist doch auch ein offenes Geheimnis, daß Erdowahn die kurdische Zivilbevölkerung angreift um es der PKK in die Schuhe zu schieben. Die Opposition lässt er verbieten, oder wirft sie gleich ins Gefängnis. Er setzt Kopfgeld aus, erpresst die EU, ist illegal in Syrien eingefallen , die Menschen darben und er stopft sich die Taschen voll und wandert in goldenen Schuhen. Verfolgte Kurden die in Europa Hilfe gefunden haben werden jetzt auf Wunsch Erdogans abgeschoben um Schweden und Finnland Aufnahme in die Nato zu gewähren. Die westlichen Länder haben es vor langer Zeit verabsäumt ihm einen Riegel vorzuschieben. Er kam nicht von ungefähr und schon gar nicht überraschend. Er ist clever, rücksichtslos und brutal.
    Rasime Şebnem Korur Fincancı hatte bis jetzt noch Glück, er wird von ihr nicht ablassen , schon gar nicht vor der Wahl.
    Die türkischen Gefängnisse waren und sind katastrophal.
    Ich wünsche Fincancı viel Kraft und Gesundheit.

  2. Was bei uns und in Deutschland mit kritischen Ärzten passiert ist natürlich nur richtig. Da gähnt die Empörungsblase halt ein bisserl vor sich hin.

    • Sie betreiben Whataboutism und kommentieren einen Zustand von dem Sie Null Ahnung haben.
      Hauptsache Sie haben wieder etwas hingerotzt.

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