Der brutale Polizeieinsatz in Lützerath ist Warnung und Vorschaubild darauf, was denen passiert, die sich in Zukunft gegen die Klimakrise engagieren wollen, schreibt ZackZack-Fotograf Christopher Glanzl.
Christopher Glanzl
Lützerath/Wien, 18. Jänner 2023 | Im deutschen Nordrhein-Westfalen, nicht weit von der Grenze zu den Niederlanden, gibt es Orte, von deren Existenz man wahrscheinlich nur weiß, wenn man dort wohnt. Lützerath ist einer davon. Allein: Dort wohnen keine Menschen mehr. Doch seit einigen Monaten wird der Weiler Lützerath besetzt.
Grund dafür: Ein Privatkonzern will den Ort abreißen, um den danebenliegenden Tagebau ausweiten zu können. Für den Energiekonzern geht es um 280 Millionen Tonnen Braunkohle, die für die Energieversorgung benötigt werden. Lützerath soll dafür weichen. Dass in NRW die Grünen in der Regierung sitzen und den Abriss nicht verhindern, lädt das Ganze politisch noch mehr auf.
Showdown
Am vergangenen Wochenende kam es zum großen Showdown mit tausenden Polizisten und noch viel mehr Demonstranten. Es artete aus in Tage voller Gewalt und Brutalität, die sich auch nicht durch die Anwesenheit von Medien verhindern ließen. Es schien gar, als wollte man auf Polizeiseite diese Bilder absichtlich produzieren.
Bis vor drei Wochen war #Lützibleibt, der Name der dortigen Klimabewegung, meist nur Menschen im linken Umfeld ein Begriff. Frühere Aktionen wie #Hambibleibt, eine ähnliche Besetzung im Hambacher Forst, kommen meist erst in den Mainstream, wenn bei der Räumung etwas passiert.
Wie alles beginnt
In den sozialen Medien wird in den Tagen davor groß mit Demo-Aufrufen und Solidaritätsbekundungen mobilisiert. Denn der Kampf findet heute nicht mehr nur auf der Straße statt, sondern auch im Netz. Angemeldet wird die Demonstration zu diesem Zeitpunkt für mickrige 2.000 Menschen.
Die ganze Bewegung nimmt Fahrt auf, es erscheinen immer mehr Artikel auch abseits klassischer linker Medien. Das Thema wird zum allgemeinen Politikum. Der Slogan “Die 1,5 Grad-Grenze verläuft durch Lützerath” ruft dazu auf, diese Grenze vor Ort zu verteidigen. Als auch noch die “Klima-Ikonen” Luisa Neubauer und Greta Thunberg ihr Kommen anmelden, haben auch die letzten Medien ihren Aufhänger, um darüber zu berichten. Sogar die Band Anne May Kantereit spielt ein Konzert vor Ort.
Entscheidungsschlacht
Als die Polizei am 9. Jänner mit der Räumung beginnt, wird schnell klar, dass diese Demonstration größer werden würde. Am Ende stehen in Lützerath den Polizei-Hundertschaften aus ganz Deutschland circa 25.000 Demonstranten gegenüber. Aus einem örtlichen Protest mitten im Nirgendwo wird eine Entscheidungsschlacht um die 1,5 Grad Grenze – und die Welt sieht zu.
Komische Pressefreiheit
Medienvertreter müssen sich auf Wunsch von RWE, dem privaten Konzern, eine Akkreditierung holen, um frei berichten zu können. Die Polizei setzt es um. Ein bedenklicher Vorgang – ist die Pressefreiheit in Deutschland doch im Grundgesetz verankert. Diese Koalition aus privaten Kapitalinteressen und dem staatlichen Gewaltmonopol wird man an diesem Wochenende jedoch noch öfter spüren.
Die Demonstration zieht durch kleinere Ortschaften und endet in einem großen Feld direkt bei Lützerath. Bei einer Abschlusskundgebung hält auch Greta Thunberg eine Rede. Danach bewegen sich viele der Teilnehmer Richtung Lützerath zurük – mit dem Ziel, wieder in den Ort zu kommen.
Doch dort wartet schon die Polizei auf sie. Mit ihren Wannen (den Polizeitransportern), Bauzäunen und Polizeiketten haben sie Verteidigungsringe aufgebaut. Der Hubschrauber fliegt, Wasserwerfer werden hin und her verlegt, Hundestaffeln ziehen ihre Runden und dazwischen immer wieder berittene Einheiten.
Man gewinnt den Eindruck: Es wird alles reingeworfen. Jedoch nicht für eine Art Schaulaufen, sondern, um einfach alles einzusetzen. Während die Aktivisten immer radikaler werden, wird die staatliche Antwort darauf immer extremer.
Die Annahme, durch die Anwesenheit der Medien würde die Polizei versuchen, zumindest verhältnismäßig zu agieren, erweist sich schnell als falsch. Denn auch wenn viele Aktivisten nach der Demo versuchen, in den gesperrten Bereich zu gelangen, fällt die Antwort der Polizei unverhältnismäßig aus.
Schlagstock und Pfefferspray
Immer wieder stürmen Einheiten Richtung Demonstranten. Mit Schlagstock versucht man Menschengruppen aufzulösen, obwohl Schlagstöcke nur zur Selbstverteidigung eingesetzt werden dürfen. Pfefferspray ist im Einsatz genauso wie der Wasserwerfer. Der Gegenwind sorgt immer wieder dafür, dass nur eigene Einheiten getroffen wurden.
So erklärt sich dann auch die Zahl der verletzten Polizisten. An keiner Stelle wird angegeben, ob diese durch Fremdeinwirkung verletzt wurden. Bei der Räumung von Menschen aus ihren erhöhten Barrikaden werden diese immer wieder in Gefahr gebracht, weil Einsatzkräfte daran rütteln. Für Amtshandlungen nach Vorschrift fehlt ihnen scheints die Geduld.
Demo-Sanitätern wird der Zugang verwehrt. Die Ansprechpersonen für die Polizei aus dem Protestlager, die Informationen zu den Blockaden liefern sollen, um eine gefahrlose Räumung zu ermöglichen, werden weggewiesen. Beim Abdrängen von Menschen nimmt die Polizei keine Rücksicht auf Menschen, die gerade am Boden von Sanitätern versorgt werden.
Waggons ohne Fenster
In den Tagen darauf kommen sogar Zug-Waggons ohne Fenster zum Einsatz, um Aktivisten damit weg zu transportieren. Gerade in Deutschland mit seiner Geschichte ein verheerendes Bild.
All das wurde gefilmt und fotografiert, ganz so, als ob es den Einsatzkräften egal sei, wie diese Bilder aussehen. Mehr noch, man hat das Gefühl, das Ganze passiert für die Kameras. Und obwohl es Bilder von diesen unverhältnismäßigen Gewaltexzessen gibt, wird von staatlicher Seite jedes Fehlverhalten abgewiesen. Es ist ja auch schwierig, zuerst den Freibrief zur Brutalität zu erteilen und danach die ausführenden Einsatzkräfte anzuklagen.
Lügen-Innenminister
Das wurde zum Beispiel deutlich bei der Sendung “Anne Will”, in der der Innenminister von NRW, Herbert Reul, behauptete, es seien keine Hubschrauber im Einsatz gewesen, obwohl sie sichtbar am Himmel herumflogen. Einer flog sogar noch lange, nachdem die Aktionenvorbei waren, über dem Camp der Protestierenden. Da war es längst dunkel.
Dass ein Minister des Landes in einer bundesweiten TV-Sendung bei einem so leicht zu recherchierenden Fall lügt, zeigt den Umgang der staatlichen Institutionen mit den Vorkommnissen, und weist darauf hin, dass eine ehrliche Aufarbeitung wohl eher weniger zu erwarten ist. Warum auch? Die Bilder der Gewalt, der Exzess, die Härte, das Aufmarschieren aller Einheiten, das willkürliche Zuschlagen – all das waren keine unerwünschten Folgen, sondern Teil der Strategie.
Merke dir: Staatsgewalt in voller Härte
Die Bilder dieser Gewalt sind die gewollte Message nach außen: Solange du dort demonstrierst, wo du niemanden störst, ist es in Ordnung. Geh zweimal im Jahr auf einen Klimastreik und halte Schilder in die Luft, passiert dir auch nicht viel. Aber greifst du die Kapitalinteressen von Konzernen an, wirst du die Staatsgewalt in ihrer vollen Härte spüren. Das ist die Nachricht an alle, die sich für Klimaschutz engagieren wollen.
Diese Strategie ist nicht neu, sie wurde 2014 von der Guardia Civil genauso angewandt wie 2017 beim G20 Gipfel in Hamburg oder auch auf einer ganz anderen, qualitativen Ebene bei den Protesten im Iran.
Und so muss auch der Polizeieinsatz in Lützerath verstanden werden. Er ist eine Warnung und ein Vorschaubild darauf, was denen passiert, die sich in Zukunft gegen die Klimakrise engagieren wollen.
Konzerne wichtiger als unser Planet
Es wird weitere Krisen und weitere Proteste geben. Und ab dem Moment, wenn der Protest mehr als nur Symbolik wird, wie hier in Lützerath, werden Einsatzkräfte die kommende Dystopie mit allen Mitteln verteidigen. In Lützerath hatte Braunkohle Vorrang vor der Rettung eines Ortes – entgegen der Meinung der Einwohner oder wissenschaftlicher Gutachten. Es ging in Lützerath nicht um den Schutz des Planeten, sondern um den Schutz der Konzerne – mithilfe staatlicher Schlägertrupps.
Wäre die Polizei eine Institution zum Schutz der Menschen, würde sie zusammen mit ihnen Konzerne wie die RWE bekämpfen. Und wie absurd diese Vorstellung alleine schon scheint, zeigt. dass der Kampf gegen Dystopien der einer radikalen Vernunft gegen extreme Profitgier ist. Diese Bilder waren genauso gewollt: Lützerath war nicht nur eine geräumte Besetzung wie viele andere davor, sondern das erste Schlachtfeld im Kampf gegen Dystopien.
Alle Bilder: ZackZack/Christopher Glanzl