Bundespräsident Alexander Van der Bellens erste Amtszeit war turbulent. ZackZack blickt zurück auf Höhen und Tiefen des neuen alten Staatsoberhauptes.
Wien, 25. Jänner 2023 | Manche meinen, er ist zu weich und still. Andere finden, seine Zurückhaltung entspricht genau dem Amt des österreichischen Bundespräsidenten: Alexander Van der Bellen, ehemals für die Grünen im Parlament, wird am Donnerstag zu seiner zweiten Amtszeit angelobt. Am Beginn seiner ersten Amtszeit versprach er, ein aktiver Bundespräsident zu sein. Jedenfalls hat er bereits viel erlebt. ZackZack blickt zurück.
Der lange Kampf um die Hofburg
Der Weg in die Hofburg war beim ersten Mal kein Spaziergang: Zuerst der Wahlkampf – so weit, so gewöhnlich –, dann ein Ergebnis, das Alexander Van der Bellen und FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer in eine Stichwahl schickte. Van der Bellen setzte sich durch, doch die FPÖ focht die Wahl an und bekam vom Verfassungsgerichtshof Recht.
Die eigentlich für Anfang Oktober geplante Wahlwiederholung musste aufgrund fehlerhafter Briefwahlkuverts auf Dezember verschoben werden. Bei der Stichwahlwiederholung im Dezember ging die Wahl letztlich klarer für Van der Bellen aus, als die recht knappe Stichwahl, vermutlich auch klarer gegen Hofer. Wort des Jahres 2016 wurde „Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebung“, Unspruch des Jahres Hofers Aussage: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist!“ Es war der längste Wahlkampf und die erste Wahlwiederholung der Zweiten Republik.
FPÖ-Comeback in der Regierung
Erstmals seit 2003 wurde im Dezember 2017 wieder eine teilblaue Regierung angelobt. Es war die erste von vielen Amtseinführungen, die Van der Bellen in seiner Rolle als Bundespräsident durchführen sollte. Seinen Konkurrenten bei der Bundespräsidentenwahl lobte er zum Infrastrukturminister an, Heinz-Christian Strache zum Vizekanzler, FPÖ-Wahlspruch-Dichter Herbert Kickl zum Innenminister.
Strache lobte Kickl damals als „besten Innenminister der Zweiten Republik“. Der Titel wurde öffentlich bald zu „Bester Innenminister aller Zeiten“, kurz „BIMaZ“, und zur Parodie bei „Willkommen Österreich“. Kickl fiel vor allem mit seinen Plänen auf, die Polizei auf Pferde setzen zu wollen, und mit der Affäre um den Verfassungsschutz BVT. 2021 sagte Van der Bellen gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“: „Rückblickend würde ich sagen, Herbert Kickl als Innenminister war wirklich eine große Belastung.“ Auch in die politische Erinnerung eingebrannt: Die von der FPÖ geholte Außenministerin Karin Kneissl lud den russischen Diktator Wladimir Putin im August 2018 zu ihrer Hochzeit ein und machte vor ihm einen Hofknicks.
Wie bereits zur Zeit der schwarz-blauen Regierung um die Jahrtausendwende gingen Menschen immer donnerstags gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ auf die Straße. „Widerstand“ und „Lasst Nazis nicht regieren und niemals aufmarschieren“, stand auf den Transparenten.
Der Ibiza-Kater
Mit der Ibiza-Affäre im Mai 2019 war Türkis-Blau dann auch wieder Geschichte. Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019 durch die „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel Online“ trat zunächst Heinz-Christian Strache als einer der Hauptprotagonisten zurück. „So sind wir nicht“, versuchte Alexander Van der Bellen in einer Rede an die Nation um Schadensbegrenzung im Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber der Politik. Man habe ein „Sittenbild gesehen, dass uns alle zutiefst verletzt“ habe.
Die Versuche der ÖVP, bis zu den Neuwahlen eine türkis-blaue Regierung ohne Herbert Kickl zu bilden, scheiterten. Kickl ging zwar, doch alle FPÖ-Minister schlossen sich ihm an und traten zurück. Die ÖVP ersetzte die fehlenden Minister durch Personen mit aus dem Volkspartei-Umfeld, die bis zur Neuwahl die Ressorts leiten sollten. Die de facto-ÖVP-Alleinregierung sollte jedoch innerhalb von kurzer Zeit in einen Misstrauensvotum enden. Dem ersten erfolgreichen in der Zweiten Republik. Kurz und Co. mussten gehen. Alexander Van der Bellen beauftragte die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Brigitte Bierlein, eine Beamtenregierung zu bilden. Ende 2019 befand Van der Bellen im “Falter”-Interview, Ibiza habe einen reinigenden Charakter gehabt.
Die Donnerstagsdemos waren mit dem Ende der Regierung Kurz I übrigens wieder vorbei. Bei einer letzten großen Abschlussveranstaltung auf dem Heldenplatz trat die niederländische Popband Venga Boys auf. Ihr 90er-Hit „We’re Going to Ibiza“ hatte aufgrund der Affäre ein Comeback erlebt und gilt in Österreich bis heute als Soundtrack des Skandals.
Angelobungs-Rekord in Sicht
Die Ibiza-Affäre war ein schlechtes Omen für den weiteren Verlauf der Regierungen unter Beteiligung der türkisen ÖVP. Durch diverse Krisen folgten diverse Wechsel, Zur-Seite- und Rücktritte. 69 Angelobungen von Regierungsmitgliedern hatte Bundespräsident Van der Bellen laut „Standard“-Zählung bis 2022 bereits durchgeführt. Zählt man alle kleineren Posten, liegt die Zahl deutlich über 100. Rekordhalter ist bisher Bundespräsident Thomas Klestil, aber nicht mehr lange. Er hat 75 Regierungsmitglieder angelobt, allerdings in zwölf Jahren, also zwei Amtszeiten. Wenn nichts dazwischenkommt, wird der Rekord spätestens mit der nächsten Nationalratswahl – regulär steht diese 2024 an – gebrochen sein.
Der Mensch hinter dem Amt
Es fällt auf, dass Van der Bellen nicht nur Bundespräsident sein will. Man kann ihn auch mal rauchend mit der Einkaufstasche über die Wiener Landstraßer Hauptstraße eilen sehen oder beim Gassigehen mit seiner Hündin „Juli“ im Stadtpark antreffen. Man kann ihn auch mal auf dem Weg zu Terminen in der U-Bahn sichten. Das ist wohl bei den wenigsten Staatsoberhäuptern in der Welt zu erwarten. Freilich sind stets Sicherheitsleute in der Nähe.
Menschlich könnte man wohl auch bewerten, dass man ihn und seine Ehefrau einmal nach der Corona-Sperrstunde in einem Lokal erwischt hat. Die Polizei hatte eine Routinekontrolle durchgeführt. So darf man in Zeiten, in denen alle Menschen zu Vernunft und Zurückhaltung aufgerufen werden, wohl als „ungeschickt“ bewerten. „Wir haben uns dann verplaudert und leider die Zeit übersehen“, entschuldigte sich der Bundespräsident. Es war ein Fehler und tue ihm aufrichtig leid.
Mahnende Worte
Zu Amtsantritt hatte Alexander Van der Bellen versprochen, ein aktiver Bundespräsident zu sein. Traditionell wird das Amt eher mit Zurückhaltung angelegt. In einigen Angelegenheiten hat er sich in den Augen mancher zu spät zu Wort gemeldet. Vor allem zu den Ermittlungen und Chats im und aus dem ÖVP-Umfeld. Im Juli 2022 wandte er sich vor dem Hintergrund der Teuerung in einer Festspiel-Eröffnungs-Rede an die krisengebeutelte Regierung. Er finde es nicht gut, dass die Regierenden „auch viel mit sich selbst beschäftigt und abgelenkt“ seien, die Regierung müsse das tun, wofür sie gewählt worden sei: arbeiten.
Bei einem Interview kurz vor der Bundespräsidentenwahl im Oktober 2022, Parteibuchwirtschaft sei ein „Verstoß gegen die Höflichkeit“ und eine „interne Angelegenheit“ der ÖVP. Nach seiner Wiederwahl gab Van der Bellen eine Ansprache, in der er Korruption als „lähmendes Gift“ bezeichnete, von einem „Wasserschaden“ sprach, der durch Bekanntwerden der Chats offenbart worden sei und die „Substanz des Gebäudes“ erreicht habe. Das Gebäude, offensichtlich: die Politik.
Akten-Exekution: „Schon wieder“ politisches Neuland
Einmal musste Van der Bellen härter durchgreifen, im Auftrag der Justiz. Der damalige Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) weigerte sich beharrlich, dem Ibiza-U-Ausschuss Daten und Akten aus dem Finanzministerium zu liefern. Nachdem Blümel ein Verfassungsgerichtshof-Urteil, wonach er alles auszuliefern hatte, ignoriert hatte, beantragte die Opposition Exekution. Der Verfassungsgerichtshof betraute den Bundespräsidenten mit der Aufgabe. Die drohende Exekution war letztlich genug, um Blümel zur Lieferung zu bewegen – zuerst in einer Menge Kartons, nach Kritik dann auch digital. Die Opposition glaubte, dass immer noch Daten fehlten und wandte sich wieder an Van der Bellen. Dieser beauftragte das Straflandesgericht Wien, das über die Vollständigkeit entscheiden sollte. Letztlich wurden offenbar weitere spannende Mails geliefert. Der Vorfall war „schon wieder Neuland“, wie Alexander Van der Bellen damals anmerkte, juristisch wie politisch.
Das Parlament hat ein Foto von der Übermittlung der ausstehenden Akten online gestellt und wenn ein Foto jemals Fuck You gesagt hat, dann das: pic.twitter.com/0fTOjmPgDy
— Hanna Herbst (@HHumorlos) May 6, 2021
Teuerungstipp an Jugendliche
Aber auch der Bundespräsident musste sich im Zusammenhang mit der Teuerungskrise Kritik gefallen lassen. In einem TikTok-Interview mit den „Salzburger Nachrichten“ meinte er, er könne verstehen, dass die Situation für Jugendliche ohne eigenes Einkommen schwer sei, und richtete ihnen aus: „Zähne zusammenbeißen. Es wird schon irgendwie gehen.“
Kandidaten-Rekord bei Wiederantritt
Traditionell haben Amtsinhaber in Österreich recht gute Chancen, wieder ins Amt des Bundespräsidenten gewählt zu werden. Als Alexander Van der Bellen verkündete, wieder antreten zu wollen, fehlten ohnehin aussichtsreiche Gegenkandidaten. Immer wieder war in den vergangenen Jahren sein Alter thematisiert worden. Immerhin ist Van der Bellen mittlerweile 78 Jahre alt. Solche Bedenken konterte er mit einem Video, in dem er sagte, er sei „alt genug“ für das Amt und seine Erfahrung betonte.
Mit sieben Kandidaten gab es auch hier einen historischen Rekord. Van der Bellen kündigte früh an, an keinerlei öffentlichen Konfrontationen teilnehmen zu wollen. Es gab Kritik dafür, besonders laut von der FPÖ, aber diese Vorgehensweise hat in Österreich politische Tradition. Die Gesprächsrunden unter den anderen sechs Kandidaten darf man wohl getrost als bizarr bezeichnen. Der Wahlkampf fiel auch international auf. Bei einem Einzelinterview-Format des ORF war Van der Bellen schließlich auch dabei.
Spitze gegen Pogo
Einmal holte der sonst so zurückhaltende Van der Bellen im Wahlkampf zu einem Seitenhieb gegen Bierpartei-Obmann Dominik Wlazny alias Marco Pogo aus. Er verstehe nicht, wieso ein studierter Mediziner Bundespräsident werden wolle. Sollte er mit ihm einmal auf ein Bier gehen, würde er ihn dazu befragen. Pogo sah darin einen Versuch, ihm mangelnde Qualifikation für das Amt zu unterstellen. Auf Twitter antwortete er, er sei lieber Unternehmer geworden und habe als solcher Arbeitsplätze geschaffen. Pogo teilte auch prompt retour aus, mit einem satirischen Wahlkampfvideo.
Was hat Dominik Wlazny je für uns getan? pic.twitter.com/wwZXDLmfF7
— Marco Pogo (@marcopogo666) September 3, 2022
Auch Van der Bellen ist übrigens 1994 von der Universität in die Politik gewechselt. Er war in Wien und Innsbruck als Professor für Volkswirtschaftslehre tätig gewesen und sagte damals, er wechselte aus „Neugier“ in die Politik.
UPDATE: Der Artikel wurde um 11.22 Uhr um die Aussage Van der Bellens zu Ibiza aus dem “Falter”-Interview ergänzt.
(pma)
Titelbild: HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com