Das ist eine Unterüberschrift
Viele, die kein Geld für Essen und Heizen haben, gehen in die Wärmestuben. Aber wer sind die Menschen, die sich hier aufhalten? ZackZack war vor Ort.
Stefanie Marek
Wien, 27. Jänner 2023 | „Wie viele Plätze haben wir noch?“, ruft eine Frauenstimme in den Saal hinein, aus dem das Klappern von Tellern und der Geruch von Aufstrichbroten kommt. „Fünf!“, kommt die umgehende Antwort zurück. Ein Mann vor der Kirche dämpft seine Zigarette aus. Langsam geht er auf seinen Krücken aus der Kälte die Stufen zum Pfarrsaal hinunter, vorbei an Kinderspielzeug und zwei angeleinten Hunden. „Kommen Sie zum Essen oder zum Helfen?“ fragt eine ältere Frau in Wollpullover und roter Schürze. Eine Frau mit Kinderwagen will hinaus, hinter dem Mann mit den Krücken kommen noch zwei Personen nach.
Der lächelnde Biker
Wir sind in der Wärmestube der Caritas im 15. Wiener Gemeindebezirk. Mittags herrscht ein reges Kommen und Gehen. Manche sind wegen des Essens da, das hier nichts kostet. Manche wärmen sich auf, weil es in ihrer Wohnung kalt ist, oder weil sie keine Wohnung haben. Andere wollen sich austauschen und reden.
„Das Essen und die Leute, das gehört zam! Zuerst hab ich mich ja ein bissel geniert, dass ich herkomm“, erzählt Bernhard, der an einem der Tische hinten im Saal mit der Holzverkleidung und den roten Vorhängen sitzt. „Aber dann lernt man ein paar Leute kennen und wird lockerer. Es schaut einen keiner blöd an.“ Ein Foto lehnt er trotzdem ab – “Lassen wir das lieber”, sagt er.
Bernhard trägt Piercings, Tattoos und ein breites Lächeln im Gesicht. Das lässt er sich auch von niemandem nehmen. Die notwendigsten Lebensmittel kauft er mit 25-Prozent-Pickerl und durch 1+1-Angebote. Einmal in der Woche kommt er zum Essen in die Wärmestube. In die Gruft geht er nicht – „da sind mir zu viele Giftler.“
“Wenn man Hunger hat, isst man eh alles.”
Bernhard fährt leidenschaftlich gerne mit dem Rad durch Wien. Als Druckerhelfer hat er vorher gearbeitet. Jetzt ist er seit vier Jahren arbeitslos. Heute stehen ein Teller Suppe, Nudeln und zwei Kuchenstücke vor ihm auf dem Tisch. Dass Essen hier mag er. Aber: „Wenn man Hunger hat, isst man eh alles.“ Armut sei kein Grund zum Schämen: „Die Leute sollen nicht so herablassend sein. Jeder Mensch ist Mensch!“
Grassierende Armut
Mehr als ein Drittel aller Haushalte in Österreich hat aktuell Probleme, die täglichen Lebenserhaltungskosten zu decken. Vor allem die hohen Energiekosten sind für viele nicht mehr zu bewältigen. Für Lebensmittel bleibt kaum etwas übrig. Wer es davor schon nicht leicht hatte, hat es jetzt umso schwerer: Rund 1,3 Millionen Menschen in Österreich sind armutsgefährdet. Rund 208.000 Menschen können sich wesentliche Güter des Lebens nicht leisten.
Seit 2015 haben sich die Gästezahlen der Wärmestuben verdoppelt, erzählt Caritas-Wärmestubenleiterin Maria Sofaly, während sie an einem der Stehtische neben der Theke lehnt und nach bekannten Gesichtern Ausschau hält. Sie betont, dass Armut ein strukturelles Problem ist. Denn, um Armut entgegenzusteuern müsse die Grundversorgung deutlich höher sein als derzeit.
“Die Leute sind hier Gäste und keine Klienten.”
Die Caritas betreibt 39 Wärmestuben in Wien, auch das Rote Kreuz und die Stadt haben solche Angebote. „Die Leute sind hier Gäste und keine Klienten. Das macht einen großen Unterschied, auch, dass die Helfer – “ Eine Frau mit roter Schürze stellt einen großen Teller Kekse auf den Tisch und fragt, ob jemand Kaffee will. „ – freiwillig sind“, beendet Sofaly ihren Satz über einen Arm hinweg, der gleich noch ein zweites Tablett abstellt.
„Ich mag den Kontakt mit den Leuten“
Rund 20 freiwillige Helfer und Helferinnen sind über den Tag verteilt da, auch viele aus der kroatischen Gemeinde. Eine von ihnen ist Christine Rasinger. Die rote Schürze hat sie schon ausgezogen, über dem Wollpullover trägt sie eine blaue Jacke. Ihre Schicht ist vorbei, aber sie bleibt noch kurz. Montags ist die 78-Jährige eine der ersten, die da ist und die Tische deckt, Brote schmiert und Sachspenden herrichtet.
„Ich mag den Kontakt mit den Leuten. Die sind alle sehr lieb. Einer hat gehört, dass mein Mann gestorben ist und hat mir Blumen gebracht.“ Davon hat sie ein Foto, das sie mit einem Lächeln herzeigt. Es sind weiße Rosen, die der Mann mit ihr gemeinsam in den Himmel hält – „damit mein Mann sie auch sieht“, lächelt Frau Rasinger. Sie ist ÖVP-Bezirksrätin, als Helferin zur Wärmestube ist sie vor vier Jahren über einen Kollegen gekommen und „dann bin ich dageblieben.“
Die Herzwärmerin
Gerade armutsbetroffene oder wohnungslose Frauen sind im öffentlichen Raum oft unsichtbar. Heuer gibt es zusätzlich zu den gemischten Wärmestuben erstmals auch vier Caritas-Wärmestuben nur für Frauen. Die meisten Gäste der regulären Wärmestuben sind Männer, obwohl mehr Frauen armutsbetroffen sind.
An der Tür gibt es ein großes Hallo, als eine Frau in einem orange-gestreiften Pullover hereinkommt. Manuela mit dem herzlichen Lachen und den grauen Stirnfransen ist ein bekanntes Gesicht. Sie legt einen Euro auf den Tisch, an dem der Pfarrer in seiner knallgelben Warnweste steht Die grelle Weste hat er an, damit man sofort weiß, an wen man sich bei Fragen wenden kann. „Ein Euro ist nicht viel, aber wir sollten alle etwas geben! Das kommt von da!“, sagt die 56-Jährige und deutet auf ihr Herz.
Der Euro ist für ein Buch, das sie im Regal vor der Treppe entdeckt hat. „Meine Abendlektüre!“ verkündet sie freudig. Bücher sind für sie Seelennahrung, sie sind wie Freunde, wie Urlaub – „weil den Urlaub kann ich mir nicht leisten.“ Wenn man sich zu Manuela an den Tisch setzt, dann wird das Essen kalt und das Herz warm. Sie hat viel zu sagen und ihre Hände reden mit – aber nicht so wie die der Gehörlosen aus der ukrainische Community, die ein paar Tische weiter miteinander gebärden.
Der Krieg in der Stube
Ein Drittel der Gäste sind ukrainische Vertriebene. Es gibt auch eine ukrainische Helferin – für die Verständigung sehr wichtig. „Den Krieg hätte man gar nicht gebraucht!“, sagt Manuela bestimmt. Und generell: „Die Leute müssen nicht so garstig zueinander sein. Immer nur Neid, Konkurrenzkampf! Jeder denkt nur an sich!“ Dabei sei es das Wichtigste aufeinander Acht zu geben. „Warum sollen wir noch alles haben und die nach uns nicht mehr? Das ist nicht richtig!“, spricht sie die Klimakrise an.
Für ihren Mann Helmut, der einen dunklen buschigen Schnauzbart hat, redet Manuela gleich mit. Sie kommen seit ein paar Jahren her – nach ihrer Arbeit. Früher war sie im Verkauf, jetzt putzt sie. „Dafür braucht man sich nicht genieren, ich trage meinen Teil mit dieser Arbeit bei und der Spaß am Tun, das ist das Wichtigste.“ Helmut ist in Pension. „Was soll er daheim machen, die Wand anschauen?“, fragt Manuela belustigt. Helmut steht auf und geht.
Dass die Energiekonzerne Gewinne einfahren, während die Leute die Energierechnungen nicht zahlen können, findet Manuela nicht okay: „Es braucht ein Umdenken, ein Nachvornedenken, ein gemeinsames Denken! Allen soll es gut gehen und jeder soll etwas beitragen. Das kommt von da“, sagt Manuela wieder lächelnd und deutet auf ihr Herz.
Auf die Frage nach der Verantwortung der Politik in Krisenzeiten haut Manuela beherzt auf den Tisch: „Die sollen sich bemühen! Handeln, nicht reden! Sie sollen menschlicher sein und was machen für die Leute. Die Politiker sollen sich einmal in die Lage von denen versetzen, die wenig haben!“
„Ich bin kein Bittsteller“
Die Politiker sollten zum Beispiel Marko fragen, der eigentlich anders heißt und ein paar Tische weiter sitzt. Er trägt Dreitagebart, eine rote Kappe und einen Rucksack auf dem Rücken. Seine warme Jacke hat er schon an. Er wollte sich das hier einmal anschauen. Aber er glaubt nicht, dass er wieder herkommt. Da stellt ihm ständig jemand Essen hin oder fragt, ob er noch was will. Ihm ist das zu viel, sagt er. Er würde lieber plaudern.
Eine Helferin bringt dem Mann am Tisch neben Marko einen Kaffee. „Ich such nicht nach einer Partnerin! Ich will dich nicht heiraten, ich bin schwul und wähle die FPÖ!“, ruft der ihr warnend zu. Marko schaut nur kurz, dann spricht er weiter. Er hat schon mehrere Winter draußen ohne Schlafsack überlebt, erzählt er. In die Notschlafstellen geht er nur, wenn er jemanden sucht. Er will nicht, dass die Steuerzahler für seinen Schlafplatz zahlen: „Ich bin kein Bittsteller!“ und „Dort, wo ich schlafe, habe ich Ruhe, auch vor der Polizei und ihren Ausweiskontrollen.“ Wenn er spricht, sieht man eine kleine Zahnlücke.
Obdachlose selbst fragen
Er ist schon seit ein paar Jahren draußen unterwegs, wie er sagt, manchmal kommt er bei Freunden unter. Die Medien, spricht Marko ernst weiter, die sollen nicht immer mit Leuten wie Richard Lugner reden, wenn es um Obdachlosigkeit geht, sondern die Obdachlosen selbst fragen. Es würde schon helfen, wenn man sie nicht immer schlecht reden würde. Viele schlafen nicht in Notschlafstellen, sagt Marko, sondern woanders.
In den Notschlafstellen sind seiner Erfahrung nach zu viele Menschen in zu kleinen Zimmern, um zehn Uhr am Abend müsse man da sein, sonst darf man gar nicht mehr hiein, sagt er. Aber das könnten viele nicht einhalten, zum Beispiel, wenn sie dumpstern gehen und genießbares Essen aus den Mülltonnen der Supermärkte holen. Außerdem könne man oft nicht mit den Menschen in einem Zimmer sein, mit denen man möchte, und wenn man nicht aufpasst, verliert man den Schlafplatz ganz schnell an jemand anderen. Da gehe man lieber gleich woanders hin.
Das wachsame Auge
Bernhard hat mittlerweile seine Haube aufgesetzt und kommt von seinem Tisch herüber, um Tschüss zu sagen. In seinem kleinen Rucksack in einer Tupperbox nimmt er sich das, was ihm serviert wurde und was er nicht aufessen kann mit nach Hause. Der Kuchen ist fürs Frühstück, sagt er. Um seinen Hals hängt eine silberne Kette mit einem Auge auf einem dreieckigen Anhänger. Sein „wachsames Auge“ nennt Bernhard es und lächelt. „Freunde wollten mir das schon abkaufen, aber das gebe ich nicht her.“ Bernhard fährt heute nicht mit dem Rad, er geht zu Fuß Richtung Floridsdorf – so weit wie es eben geht, so weit, wie er Lust hat.
„Arrivederci!“ ruft ein bärtiger Mann einem beim Verlassen der Wärmestube nach. Die Hände, mit denen Manuela einem die eigenen mit guten Wünschen zum Abschied drückt, sind warm.
Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl