Sonntag, September 8, 2024

Aufwachen: Wehe dem Volk, das Helden braucht

Die Medien geben Herbert Kickl die Macht, vor der sie warnen.

Daniel Wisser

Wien | Im Wahlkampf 2017 verkündete die FPÖ, eine Volksabstimmung zu CETA sei Koalitionsbedingung. Im Juni 2018 beantragte die SPÖ eine Volksabstimmung zu CETA im Nationalrat. Der Antrag wurde von den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ niedergestimmt. CETA wurde mit den Stimmen der FPÖ ratifiziert.

Im Juli 2017 warnte Generalsekretär Herbert Kickl vor dem Sicherheitspaket der ÖVP. Die Maßnahmen seien »DDR 4.0« und »das Ende des Rechtsstaates«. Kaum im Amt als Innenminister setzte Kickl dieses Paket um.

Die FPÖ ist gescheitert

Ich könnte mit der Aufzählung solcher Beispiele eine ganze Zeitung füllen. Gebrochene Wahlversprechen, gescheiterte Projekte, leere Ankündigungen: CETA, Überwachungspaket mit Bundestrojaner, Datenschutz-Anpassungsgesetz, Arbeitszeitverlängerung, direkte Demokratie, Moscheenschließungen, Sicherungshaft, Indexierung der Familienbeihilfe, berittene Polizei, Streichung von 2.500 Gesetzen, Änderung der Menschrechtskonvention, Wiedereinführung des Schulfachs Heimatkunde, bürgerwehrähnliche Ordnungswachen usw. usf. Die FPÖ ist gescheitert. Von ihrem Scheitern, sich zu Europapolitik wenigstens zu positionieren, und ihrer beschämenden und peinlichen Außenpolitik samt Niederknien vor Diktatoren brauchen wir wohl nicht zu sprechen.

Dennoch haben die Medien nichts anderes zu tun, als von der FPÖ zu berichten. Besser gesagt von Herbert Kickl, denn der Unfug des Personenkults und der Direktwahl wird inzwischen von Qualitätsmedien übernommen.

Unäre Logik

Die FPÖ ist gescheitert. Sie scheitert seit 1986 an konstruktiver Sacharbeit. Und die scheitert an ihrem eigenen Anspruch. Nach jeder Regierung mit der FPÖ war die Staatsverschuldung größer als bei ihrem Antritt und die Zuwanderungsrate höher als bei ihrem Antritt.

Mag sein, dass sich die FPÖ in der Opposition hie und da bei der Aufklärung von Korruption verdient macht. Das tut sie aber auch nur, wenn sie in Opposition ist. Kaum in der Regierung bekämpft sie Aufklärung und freie Berichterstattung. Dem System Kurz mit seiner Medienanfütterung hat die FPÖ erst in den Sattel geholfen. Jede Entrüstung über die ÖVP kann also nur ein Entrüstung über sich selbst sein. Die FPÖ ist überall gescheitert – außer bei der Presse. 

Zur Stichwahl im Präsidentschaftswahlkampf 2016 schickten an die 300 ausländische Redaktionen Berichterstatter nach Österreich. Die Hälfte von ihnen berichtete aber nicht. Der Skandal war ausgeblieben. Der Rechtspopulist hatte nicht gewonnen. Das ist die unäre Logik kapitalistischer Medien. Die Boulevardmedien bejubeln den Rechtspopulisten und drucken ihn auf dem Cover ab. Die Qualitätsmedien verteufeln den Rechtspopulisten und drucken ihn auf dem Cover ab.

Mit der Sensation dessen, vor dem man warnt, Quote zu machen und zu verdienen, ist die unäre Logik kapitalistischer Medien. 10.000 im Bürgerkrieg im Jemen getötete Kinder bringen keine Quote. Und selbst, wenn ein Beitrag darüber gemacht werden sollte – wenn ein Rechtspopulist einen Tag vorher eine auch noch so dumme Äußerung macht und damit einen Aufreger produziert, ist der Artikel sofort weg. Das ist die Macht, die man damit jenen gibt, vor deren Macht man warnt.

Telefonzellen und Ziersträucher

Die Stammwählerschaft der FPÖ ist klein. Sie besteht aus Reichen und Großindustriellen einerseits, und Deutschnationalen andererseits. Der große Rest ist eine schwer qualifizierbare Menge. Sie werden zu dem verlockt, was in Österreich der Volkssport der Reaktionäre ist: Zerstöre den Staat, von und in dem du gut lebst. Ein derartiger Reaktionär ist René Schimanek, einst Wahlkampfleiter Nobert Hofers, später sein Kabinettsleiter. Er marschierte mit der VAPO, um den Staat Österreich zu bekämpfen, von dem er sich als Ministerialbeamter bestens bezahlen ließ. Früher waren das jene Menschen, die Telefonzellen zertrümmert haben, aber auf jeden losgingen, der in ihrem Vorgarten unabsichtlich einen Zweig ihres Zierstrauchs abgeknickt hatte.

Herbert Kickl gehört nicht zu ihnen. Er war nie Burschenschafter. Er hat es nicht geschafft, ein politischer Vertreter jenes Milieus zu werden, aus dem er stammt. Herbert Kickl ist ein Werbetexter ohne Produkt, der nur eines geschafft hat: seine Sprüche schaffen es auf Plakate und Schlagzeilen.

Wie man Kickl verhindert

Wie man Herbert Kickl verhindert? (Richtig muss es ja heißen: Wie man die FPÖ verhindert) 1. Man wählt sie nicht. 2. Man koaliert nicht mit ihr. In Punkt 2 ist die ÖVP schwach. Sie hat ja schließlich auch Herbert Kickl gemacht. Sie hat ihn zum Minister gemacht und sieben Misstrauensanträge gegen ihn niedergestimmt.

Das Frappante ist, dass in den Medien jetzt die SPÖ für die angebliche Stärke der FPÖ verantwortlich gemacht wird. Der »FALTER« schreibt auf dem Cover: »Der Aufstieg des Herbert Kickl. Er führt in den Umfragen, die SPÖ ist ratlos, […]« Sollten nicht eher ÖVP und Grüne ratlos sein? Ach so, nein, die sind ja in Opposition. Hat nicht die SPÖ mit der Übernahme der FPÖ durch Jörg Haider die Koalition mit der FPÖ aufgekündigt und nie wieder eine Koalition gebildet? Hat man nicht 2017 die SPÖ und ihren Kanzler Kern mit billigem Spott und billiger Häme demontiert, damit Platz wird für die Desasterregierung, die angeblich »alternativlos« war und damit den Copycat-Kickl Kurz gekürt?

Unwahrheiten und Mystifikationen

Auch dazu liefern Qualitätsmedien Unwahrheiten und Mystifikationen. Thomas Mayer schreibt im »Standard«: »Das Problem ist, dass die Ex-Großparteien SPÖ und ÖVP so schwach sind. Sie bekriegen einander lieber [..]« Hier setzt er eine Unwahrheit der Kurz-Ära fort: Die ÖVP hat ein Koalitionsabkommen unterzeichnet und es dann nicht eingehalten. Die SPÖ bekriegt niemanden. Sie nimmt legitimerweise ihre Aufgabe als Oppositionspartei wahr.

Mayer weiter: »Und was macht er [i.e. der Bundespräsident (Anm. DW)], wenn die FPÖ Nummer eins wird und dann Norbert Hofer als Bundeskanzler vorschlägt [..]« Geschätzter Herr Mayer: Erster zu werden, heißt nicht, dass man im Nationalrat eine Mehrheit hat und eine Regierung bilden kann. Wie konnte sonst Wolfgang Schüssel nach der NRW 1999 als Drittstärkster Kanzler werden, die stärksten Partei aber musste in Opposition gehen?

Ruf nach dem starken Mann

Es ist klar, was eigentlich gesagt wird: Nur die SPÖ kann dieses Land regieren. Nun plötzlich ruft man nach ihr und will gleichzeitig eine demokratisch gewählte Vorsitzende wegschreiben wie einst Kern. Jetzt rufen alle nach dem starken Mann.

Ein starker Mann gehört her, ein Populist an der Spitze der SPÖ, der täglich eine provokante Meldung für die Schlagzeile liefert und quartalsmäßig die Summe für Inserate weiter erhöht! Und wenn er keine absolute Mehrheit schafft, macht er eben für ein oder zwei Jahre eine Koalition mit der FPÖ. Das ist bald wieder vergessen. Dieser starke Mann wird ein Held. Ich sage dazu nur mit Brecht: »Wehe dem Volk, das Helden braucht!«

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

373 Kommentare

373 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Sicherheitsrisiko „Kickl“

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!