Freitag, April 19, 2024

Ich hab Polizei: Ein Tschetschene und ein Kiberer gehen viral

Treffen sich ein Polizist und ein Tschetschene in einem Café – das ist kein Witz, sondern das größte digitale Erfolgsmodell, das die Wiener Exekutive je hatte. Eine Reportage über zwei ungewöhnliche Influencer, Bubatz und Kriminalität.

Wien | Es geht zur Lagebesprechung mit der Polizei. Allerdings nicht ins Revier, sondern ins Café Monika im 20. Bezirk. Unter dem Codewort „Uwe“ wird man zu einem Tisch hinten im Eck geleitet. Da fallen sich gerade zwei auffällig ungleiche Personen in die Arme: „Uwe! Serwas!“ Dann setzen sie sich einträchtig nebeneinander und lächeln sich freundschaftlich an: Ahmad und Uwe.

Wer in Österreich aktiv auf Tiktok ist, wird den beiden mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest digital bereits begegnet sein. Ahmad ist 23 Jahre alt und Tschetschene. Uwe bringt mehr als doppelt so viele Jahre aufs Tableau. An seiner Uniform unschwer erkennbar: Der 59-Jährige ist Polizist. Und seit ein paar Wochen sind die zwei Social-Media-Stars. Sie verkörpern ein Glanzformat der Generation Tiktok: „Cop & Che“. Che steht für Chechnya. Übersetzt heißt die Serie also so viel wie „Der Kiberer und der Tschetschene“.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Einsatzzentrale Monika

Hier im Café Monika befindet sich quasi ihre Einsatzzentrale, hier planen sie die Videos. Das nahe der U6, neben dem berüchtigten Brigittapark und zwischen Gemeindebau, Friseur und einem Küchengeschäft namens „diamant“ gelegene Kaffeehaus hat apricotfarbene Wände und riesige Fenster, es sitzen mehrheitlich Pensionisten an sauberen, hellen Tischen, ein paar sind an diesem Montagvormittag schon beim zweiten Bier, eine Frau zahlt gerade ihren Latte Macchiato seelenruhig mit einem Hunderterschein. Uwe bestellt sich einen „Häferlkaffee“.

An einem Drehtag schaffen Ahmad und Uwe bis zu 14 Videos. Gedreht werden sie in der Millenium City am Wiener Handelskai. Die Kulisse vor einem Glas-Aufzug ist immer dieselbe. „Wir sind halt schon Profis“, sagt Uwe, und Ahmad ergänzt: „Die ersten drei kosten immer so ein bissl Überwindung, aber dann sind wir drin, der Rest ist Freestyle, dies das.“ Mit am Tisch sitzt der Wiener Jugendsozialarbeiter Fabian Reicher von der Beratungsstelle Extremismus (“Die Wütenden“), der die zwei im Hintergrund begleitet. Alle drei halten einen Stapel Zettel in ihren Händen. Es sind ausgedruckte Screenshots von Tiktok-Kommentaren. Die müssen jetzt diskutiert werden.

@ahmadtvie

Antwort auf @user9977478847 Der 👮‍♂️ Uwe und der 🐺 Achmad // schreibt uns eure Fragen in die Kommentare 👇👇 #fy #viral #germany #austria #polizei #mma #fyp #genshinimpact33 #flucht

♬ Run – AWOLNATION

Denn so funktioniert „Cop & Che“: Ahmad liest eine der zigtausenden Fragen vor, die User unter seinen Tiktoks stellen. Und Uwe beantwortet das Ganze aus Polizeiperspektive. Es sind Anliegen wie diese von „user9977478847“: „Ist meine Strafe noch höher, wenn ich vor Polizei weglaufe?“ Oder von „vivre la nuit“: „Was passiert, wenn man einen Polizisten beleidigt?“

“Mit Cannabis geht man immer meier”

Oder die inzwischen berühmt gewordene von „alex“: „Frag ihn bitte, ab wann man meya geht mit Cannabis? Hahaha“. Uwes Antwort: „Mit Cannabis geht man immer meier.“ – Ahmad: „Gibt’s da auch keine Toleranzmengen bzw. – wie nennt sich das – Eigenkonsum?“ – Uwe: „Nein, das gibt es nicht.“ – Ahmad: „Also sind das alles nur Gerüchte?“ Daraufhin erklärt Uwe das sogenannte Offizialprinzip, das besagt, das die Polizei zum Einschreiten nach dem Suchtmittelgesetz verpflichtet ist.

Es sind kurze Dialoge auf Augenhöhe. Respektvoll, und stets mit einem Augenzwinkern. Uwe – Erkennungszeichen Brille und Uniform – immer ein bisschen trocken, Ahmad – Erkennungszeichen Jogginghose und Bart – immer ein bisschen verschmitzt, die Fragen oft ein bisschen frech. Aber sie drehen sich stets um Dinge aus dem Teenager-Alltag.

@ahmadtvie

Antwort auf @alex Du hast Fragen zu #Regeln und #Gesetzen? Du wurdest von der #Polizei ungerecht behandelt und weißt nicht, was du dagegen tun kannst? Stell uns deine Fragen in die Kommentare und wir antworten drauf. 👮‍♂️🐺 #Wien #berlin #linz #copundchechene #no2drugz #chillen #haram #bruder

♬ Roller #2 – Apache 207

Andere Tiktoks handeln von Schlepperei („Wie kann ich meine couzengs schwarz nach Europa bringen“), Moped-Tuning, den Rechten gegenüber Beamten („Was passiert, wenn ich mich weigere körperlich kontrolliert zu werden“), Polizeiarbeit („Mussten Sie mal mit Ihrer Dienstwaffe schießen im Dienst“), Steuerhinterziehung oder den Grenzen im Strafrecht („Darf man als Albaner manchmal gegen Serben schlagen“).

Das Ergebnis ist immer authentisch. Ahmad zitiert den Kommentar, Uwe antwortet seriös, oft schiebt Ahmad eine spitzbübische Nachfrage hinterher und Uwe bringt noch einen Schmäh. Dass die beiden damit einen Nerv getroffen haben, das beweist der digitale Zuspruch: Fast zwei Millionen Likes hat Ahmad mit den Tiktoks, die ausschließlich auf seinem privaten Account herausgespielt werden, schon eingefahren.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Wie kam es zu dieser Verbindung zwischen Ahmad und Uwe? Und wie kann es sein, dass diese Videos einfach so unter Zuspruch von offizieller Seite und von ganz oben, sprich abgenickt von der Wiener Landespolizeidirektion (LPD), erscheinen dürfen?

Die Anfänge des Dreamteams

Das war nämlich nicht immer so selbstverständlich wie heute. Weder Uwes Chefin noch die Polizeidirektion waren zuerst erfreut über die plötzliche Social-Media-Karriere des Polizisten. Kennengelernt haben sich Ahmad und Uwe zum ersten Mal bei einer Veranstaltung im vergangenen Sommer, als Grätzelpolizisten im Rahmen der Initiative “Gemeinsam sicher” versuchten, Kontakt zur tschetschenischen Community im 20. Bezirk aufzubauen. Da hatte es ständig Probleme geben. Tiefes Misstrauen herrschte auf beiden Seiten, schlechte Erfahrungen im Umgang miteinander zementierten die Vorurteile immer tiefer.

Als von Seiten der Behörde der Vorschlag geäußert wurde, man könne doch ein Schachturnier miteinander veranstalten, platzte dem anwesenden Ahmad der Kragen. Von wegen Tschetschenen-Gangs, meinte er, Polizisten hierzulande hätten doch ein “geiles Leben”, Gangs wie in anderen Ländern gäbe es hier doch gar nicht. Und Jugendliche müsse man ganz anders erreichen, argumentierte er in seiner Brandrede. Damals erreichte ihn viel Lob, Tschetschenen sowie Polizisten klopften ihm voller Hochachtung für seinen Mut auf die Schulter. “Mann, danke Bro, danke!”, zollten ihm die Gleichaltrigen Anerkennung.

@ahmadtvie

Antwort auf @user9977478847 🐺👮‍♂️Gibt es in #Wien #Österreich auch #Clankriminalität wie in #Berlin #Deutschland? Was macht die #Polizei dagegen? Was ist deine Meinung zu #Familienclan ? Schreib es uns in die Kommentare 👇👇 #CopUndChe #polizeieinsatz #blaulicht #polizeiösterreich #blaulicht #aufstreife #vienna #omeirat #elzein #remmo #abuchaker

♬ Berlin – AK AUSSERKONTROLLE

Auch Afghanen-“Copaganda” geplant

Aber Ahmads Idee bestand nicht aus leeren Worten. Er nahm das Zepter in die Hand. Diskutierte sich mit Uwe zusammen und dann recordeten sie einfach das erste Video und luden es auf Tiktok – nicht abgesprochen mit der Wiener Polizei. Die musste erst überzeugt werden, ließ sich dann doch darauf ein. Und das Wagnis ist geglückt.

Die “Cop&Che”-Videos funktionieren so gut, dass man inzwischen sogar daran denkt, ähnliche Formate zu realisieren, heißt es. “Wir denken da zum Beispiel an Afghanen”, meint Dominik Grabner von der LPD Wien. Der große Wert bei diesen Videos bestehe darin, auf eine Art und Weise mit migrantischen Communitys in positiven Kontakt zu kommen, wie man es sich vorher nie hätte vorstellen können. Bei manchen Videos muss Grabner zwar ein Auge zudrücken, meint er. Aber: Man lässt Uwe und Ahmad grundsätzlich gewähren. Schließlich liegt der geheime Erfolg vermutlich auch darin begründet, dass die Tiktoks nicht über die offiziellen Polizei-Kanäle nach draußen gehen.

An diesem Vormittag beschäftigen insbesondere Spielotheken und Wetten die Runde. Auch Grabner von der LPD Wien hat sich dazugesellt. Während Ahmad von seinen Zocker-Ausflügen mit 16 berichtet und Uwe väterlich schmunzelt, sitzt er – zuständig für Pressearbeit, geschätzter Mittdreißiger mit langen, zu einem Dutt zusammengebunden Haaren – tief über sein Handy gebeugt da und sucht laufend die geltenden Rechtsbestimmungen heraus. Ab wie viel Jahren darf man eine Spielothek überhaupt betreten? Darf man mit 15 in einem Wettbüro Hausaufgaben machen? Was passiert, wenn Minderjährige am Einarmigen Banditen erwischt werden? Immer wieder ziehen sich Uwe und Ahmad gegenseitig auf. Nie wird es unhöflich.

Wann Bubatz legal?

Dann widmet sich die Diskussion dem Thema Familienclans und Kriminalität, schweift ab zur Frage, ob man mit einer „gefundenen“ Bankomatkarte Tschikautomaten leerräumen darf, bis man beim – für viele User offenbar massiv drängenden Thema – „Bubatz“ anlangt. Ahmad pocht darauf, es erneut in einem Tiktok aufzugreifen, es gebe zu viele Fragen: „Ich muss die Fan-Base zufriedenstellen.“ Bubatz ist seit des viral gegangenen Tweets aus der Handytastatur des deutschen FDP-Chefs Christian Lindner („wann bubatz legal“) ein gängiges Synonym für Marihuana. Uwe sagt: „Den Begriff hab sogar ich erstmal googlen müssen.“ Ihm ist wichtig, sich in den Tiktoks nicht politisch zu positionieren. Einschätzungen zu Legalisierungen aller Art seien Aufgabe der Legislative.

@ahmadtvie

Antwort auf @Kurdischer61 Der 👮‍♂️ Uwe und der 🐺 Achmad // schreibt uns eure Fragen in die Kommentare👇👇#fy #fyp #wien #polizei #polizeigewalt #mma #islam #christentum #religion #tolleranz #zusammenhalt

♬ Nasheed – S Time

Eines ist Uwe außerdem wichtig: Er möchte nicht „Kommissar“ genannt werden, ein Titel, den ihm die User ständig verhängen, der aber real in Österreich gar nicht extistiert. Uwe, der in den nächsten Wochen sein 40-jähriges Dienstjubiläum begeht, sieht sich als Grätzelpolizist, sagt er, und dabei wischt er beiläufig über seine drei Sterne auf den Uniform-Schulterklappen.

Ahmad, der Bro

Beide werden mittlerweile mehrmals am Tag auf Wiens Straßen erkannt, dauernd wollen Menschen Selfies mit ihnen machen. Ahmad sieht den plötzlichen “Fame” seiner Person neutral. “Es nervt nur, wenn ich es mal eilig habe”, sagt er – und wieder präsentiert er sein rebellisches Lächeln. Er definiert seine Rolle mehr als “Bro”, meint er. “Am Anfang haben mich viele gefragt, wieso ich überhaupt mit der Polizei, dies das, rede, aber inzwischen bezeichnen sie mich als Vorbild und wollen einen guten Rat von mir.” Es wirft ihm auch niemand mehr vor, dass das ganze nur “Fake” sein. Im Gegenteil, für die tschetschenische Community seien die Videos inzwischen sehr wichtig worden. Ahmads Geschichte führe ihnen vor Augen, dass man – auch wenn man als Jugendlicher kriminell wurde – “die Kurve kratzen kann”.

Was schätzt der 23-Jährige an Uwe? Ahmad holt Luft. “Er hat nicht diese Einstellung wie andere ältere Leute, er denkt nicht: ‘ich bin älter, ich weiß es besser’.” Er überlegt. “Ich darf alles sagen, es ist alles cool mit ihm, alles gechillt.” Und Ahmad mag “das Menschliche” an ihm – “obwohl er Polizist ist”. Uwe sei kein eiskalter Typ und “kein durchschnittlicher 08/15 Wiener Polizist”. Der tiefe Respekt füreinander spricht aus Sätzen wie diesen. Privat chatten außerhalb des Tiktok-Projekts muss aber nicht sein, setzt er schmunzelnd nach, man muss ja vielleicht nicht jeden Tag so viel Zeit mit der Polizei verbringen.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Und Uwe? „Mich begeistert, dass Ahmad mit so riesiger Begeisterung dabei ist“, meint der. Und dass sie beide ein gemeinsames Ziel haben. Uwe hat selbst zwei Kinder, 25 und 29 Jahre alt. Vom allerersten Video an waren sie Fans, „natürlich“. Und: „Sie sind begeistert, dass der Papa ein Tiktok-Star geworden ist.“ Das Format will der Polizist so lange mit Ahmad betreiben, bis es keine Fragen mehr in den Tiktok-Kommentaren gibt. Wenn man sich den brutalen Zulauf auf der Social-Media-Plattform anschaut, dürfte das Ganze also noch sehr, sehr lange gehen.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Titelbild: ZackZack/ Christopher Glanzl

Anja Melzer
Anja Melzer
Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.
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7 Kommentare

  1. Die Tschetschenen werden dringend zuhause gebraucht um Tschetschenien wirtschaftlich voran zu bringen.

  2. Sehr leiwand!!! Danke an die Exekutive und Danke an die zugewanderten Mitbürger! So geht Integration!!

  3. Wie schön, dass es auch noch Positives zu berichten gibt.
    Wenn man will findet man Wege.
    Wenn man nicht will findet man Ausreden.

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