Samstag, Dezember 7, 2024

Breite Empörung über Kocher: „Das Unsinnigste seit Hartinger-Klein“

Nach dem „Kurier“-Interview von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) über eine mögliche Kürzung von Sozialleistungen für Teilzeitarbeitende kommt es zu breiter Kritik. Sogar vom Koalitionspartner.

Wien | Ein Interview des Wirtschafts- und Arbeitsministers Martin Kocher lässt derzeit die innenpolitischen Wogen hochgehen. Auslöser der Aufregung war die Aussage von Kocher im “Kurier”, wonach Menschen, die freiwillig weniger arbeiten, auch weniger aus dem Sozialtopf erhalten sollen. Außerdem forderte der Minister ein Umdenken der Sozialpartner bei den im Regelfall höheren Einkommen im Alter. Teilzeit-Arbeit sei zudem für den Minister ein „Privileg“.

“Unsinnigste, was er gehört habe, seit Hartinger-Klein”

Von der Opposition und den Gewerkschaften kommt breite Kritik. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch reagierte heute auf die Kocher-Aussage “in aller Schärfe”: “Gegen den Arbeitskräftemangel fällt der Regierung nichts ein, außer die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer per Gesetz zu verschlechtern. Dabei müsste es doch genau umgekehrt sein”, polterte er. Insgesamt sei Kochers Vorstoß ein unsozialer Angriff auf die Familien und “das Unsinnigste, was er gehört habe, seit die FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein behauptet hatte, man könne von 150 Euro im Monat gut leben”.

Für die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch zeigt die Aussage von Kocher “wie dieser familienfeindliche und neoliberale ÖVP-Minister wirklich tickt”. “Denn lapidar zu sagen, dass junge Mütter informiert werden sollten, dass sie bei längerer Erziehungszeit einen massiven Verlust bei ihrer zukünftigen Pension in Kauf nehmen müssen, zeugt schon von sozialer Armut”, so Belakowitsch.

“Frauenfeindlich”

Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, wurde ebenfalls deutlich: “Minister Kocher soll seine frauenfeindlichen Vorschläge zur Bestrafung von Teilzeitarbeit sofort zurückziehen.” Sie rechnet vor: “80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Viele Teilzeit arbeitende Frauen haben keine andere Wahl, weil die öffentliche Hand nicht ausreichend ganztägige Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stellt.”

Sogar Grüne mit Kritik

Aber auch der grüne Koalitionspartner kritisiert den ÖVP-Minister. „Eine Diskussion um eine Kürzung von Sozial- und Familienleistungen bei Teilzeit ist nicht nur unangebracht, sondern widerspricht auch der bisherigen Regierungslinie“, sagt Markus Koza, Arbeits- und Sozialsprecher der Grünen.

Der Bundesvorsitzende der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen im ÖGB (FSG), Rainer Wimmer, fordert gar, dass Kocher seine Arbeitsagenden abgeben solle: „Kocher hat erneut unter Beweis gestellt, dass er sich ausschließlich als Wirtschaftsminister versteht und ihm die arbeitenden Menschen egal sind. Kocher soll die Arbeitsagenden rasch abgeben.

NEOS: “Problem erkannt – Lösung falsch”

NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker hingegen sieht die Teilzeitfalle nicht richtig bekämpft: „Der Minister hat das Problem erkannt – aber die Lösung ist falsch, weil er das Pferd von hinten aufzäumt. Die Teilzeitfalle wird nicht bekämpft, indem man Bedürftigen die Sozialleistungen streicht. Damit sich Vollzeit voll auszahlt und diejenigen, die mehr arbeiten, nicht die Dummen sind, müssen vielmehr die Steuerstufen, die Absetzbeträge und die Versicherungsbeiträge angepasst werden. Derzeit sind Teilzeitkräfte ja beispielsweise zur Gänze von der Arbeitslosenversicherung befreit, obwohl sie die volle Leistung beziehen – an diesen Schrauben muss die Regierung drehen, wenn sie Anreize für Vollzeit schaffen und für mehr Gerechtigkeit sorgen will, nicht an den Sozial- und Familienleistungen.“ 

Titelbild:HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com

Autor

  • Benedikt Faast

    Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.

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