Mittwoch, April 24, 2024

Briefe und Bomben – Skylla & Charybdis

Vielleicht haben sich die Unterzeichnenden nicht die Mühe gemacht, russische Staatspropaganda näher unter die Lupe zu nehmen: dort wird, schwarz auf weiß, all das gesagt, was derzeit das autoritäre System unter Putin wünscht, vorhat und plant: ein Genozid.

Wien | Sie haben es also wieder getan: einen Brief geschrieben, der Frieden im Text trägt. Und sie haben den Brief auch zahlreich unterschrieben. Von Sarah Wagenknecht über Alice Schwarzer bis Reinhard Mey oder Peter Weibel. Ein Brief voller Floskeln, Träume, Empörungen.

Im Zentrum zu finden jedenfalls ist: lasset die Verhandlungen beginnen, der Krieg hat Europa nun genug belastet! Übersetzt auch mit: Wir wollen endlich unsere Ruhe haben und Putin rasselt mit dem Atomsäbel. Der Frieden, den sie meinen, ist ihr eigener.

Aggressor aus der Pflicht entlassen

Es ist ein Aufruf, der den Aggressor aus der Pflicht entlässt, auch wenn er den Kriegszustand im Allgemeinen verurteilt. Dieser Krieg ist ein schrecklicher, einseitiger Krieg: Russland ist in die Ukraine eingefallen. Russische Soldaten haben schreckliche Kriegsverbrechen auf ukrainischem Boden verübt, an Soldaten und gnadenlos, erschreckend in der Brutalität, an Zivilisten und Zivilistinnen. Wer wollte, konnte die Bilder aus Butscha sehen, aus Mariupol, konnte den Berichten der Geflüchteten folgen, der Journalisten und Journalistinnen, die vor Ort ihr Leben riskierten. Es gab alles, was es auch in Tschetschenien gab: Vergewaltigungen, Folter, Massengräber. 

Schwer vorzustellen, dass all das an den Unterzeichnenden einfach vorbeigezogen ist wie ein luftiges Sommerwölkchen, das nur ganz kurz die Sonne verdeckt. Vielleicht haben die Unterzeichenenden sich nicht die Mühe gemacht, russische Staatspropaganda näher unter die Lupe zu nehmen: dort wird, schwarz auf weiß, all das gesagt, was derzeit das autoritäre System unter Putin wünscht, vorhat und plant: ein Genozid. Die Vernichtung des Landes Ukraine. Eine Auslöschung. 

Ein vorläufig ungelöstes Rätsel

Damit nicht genug, es wird offen mit Angriffen auf weitere Staaten gedroht. Eine halluzinierte Entnazifizierung, während man die eigenen Nazi-Söldner im aktuellen Kriegsgebiet auf Kinder loslässt. Ich verstehe nicht, was einen denkenden, fühlenden Menschen dazu verleitet, unter solchen Umständen ein „beide Seiten“ ins Spiel zu bringen. Auch die Unkenntnis der russischen Sprache ist keine Entschuldigung, es gibt auch übersetzte Videos der Staatssender. Ich verstehe nicht, warum dieser Brief auch von Menschen unterschrieben wurde, die ich sehr schätze. Die ich auch weiterhin zu schätzen versuche, weil ich annehme, dass dieser Beteiligung ein Irrtum vorangeht. Sie begreifen nicht, dass Putin nicht bei der Ukraine stehen bleiben wird. 

Der Frieden, von dem sie (manche sicherlich mit hehren, aber naiven Hoffnungen, manche mit egoistischem Zynismus) träumen, ist in der neuen Welt, die Putins Angriff erschaffen hat, nicht möglich. Es gibt eine ganz einfache Art, zu Frieden zu kommen: das russische Regime müsste die Ukraine verlassen. Und schon wäre der Krieg vorbei. Wieso fordert das nur keiner der Unterzeichnenden? Ein vorläufig ungelöstes Rätsel.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Julya Rabinowich
Julya Rabinowich
Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.
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1 Kommentar

  1. “Du kannst nicht mit jemandem über Frieden verhandeln, der gekommen ist um dich zu töten.”
    angeblich von Golda Meir (Israelische Ministerpräsidentin, geboren am 3. Mai 1898 in Kiew).

    und jetzt beschweren sich die unterzeichner*innen auch noch, weil sie angeblich a schlechte nachred haben.
    ma hat keine schlechte nachred, weil man für den frieden ist. die schlechte nachred hat man, weil man der unterwerfung der ukraine dem faschistischen russischen diktator das wort redet. grad linke müssten aus ihrer geschichte gelernt haben. statt “die waffen nieder” muss es heissen “wehret den anfängen”.

    no pasaran!

    https://www.hagerhard.at/blog/2022/05/no-pasaran/

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