Sonntag, April 14, 2024

Wirecard-Prozess: Markus Brauns Spiel mit dem Feuer 

Markus Braun wartete in seiner ersten Aussage vor Gericht mit bemerkenswerten Aussagen zu Jan Marsalek auf. Warum die Verteidigung des Ex-Wirecard-CEO auf tönernen Füßen steht. Analyse:

Wien | War Markus Braun der „dümmste CEO Deutschlands“, wie manche spöttisch über seine Verteidigungsstrategie urteilen, und hat er Vorstandskollege Jan Marsalek quasi selbständig fuhrwerken lassen? Oder war Braun der allmächtige Boss, wie vor allem auch ehemalige Kollegen behaupten? Der Wirecard-Prozess soll das aufklären. 

Am Montag sprach der einstige DAX-Überflieger Braun erstmals vor Gericht. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft. Verdacht: gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Marktmanipulation, unrichtige Darstellung, Untreue. Mitangeklagt sind Ex-Dubai-Statthalter Oliver Bellenhaus (Kronzeuge) sowie der ehemalige Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa.

Während Marsalek seit Sommer 2020 untergetaucht ist, wird Braun von Bellenhaus schwer belastet. So habe Braun gewusst, dass Zahlen gefälscht wurden, um die übertriebenen Erwartungen des Chefs zu erfüllen, wie „Capital“ es zusammenfasst. Brauns Verteidigung: Bellenhaus sei ein „professioneller Lügner“. Noch ist unklar, ob es Braun eher schadet oder nützt, dass sein ehemals kongenialer Partner Marsalek weiterhin flüchtig ist. 

Guter Jan, böser Jan

Ganz schlau wird man aus dem ersten Braun-Auftritt insgesamt nicht. Einerseits habe er Marsalek, so Braun, als brillanten Kopf angesehen, der junge Landsmann sei ein „Glücksgriff“ gewesen. Andererseits wollte, ja musste, sich Braun von seinem Zögling distanzieren. Das tat er, zumindest ein bisschen. Aufgrund der stockenden Sonderprüfung der Wirtschaftsprüfer von KPMG sei Braun letztlich misstrauisch geworden, habe über eine Entmachtung Marsaleks nachgedacht. Zuvor habe ihn Marsalek noch „eingefangen“. Wenn das stimmt, hatte Braun offensichtlich ziemlich spät ein schlechtes Gefühl, denn die KPMG-Sonderprüfung ist datiert auf das Frühjahr 2020 – sie war der Auslöser für den Zusammenbruch wenige Monate später. 

Ein CEO, der sich fast bis zum bitteren Ende auf einen mutmaßlichen Milliardenbetrüger verlässt, der ganze zehn Jahre zuvor zum Vorstand gemacht worden war? Laut „Wirtschaftswoche“ ließ der Richter an Brauns Darstellung bereits Zweifel erkennen, obwohl die Befragung des betont ruhig und fachkundig auftretenden Managers erst am kommenden Donnerstag beginnt. 

Alles rein beruflich

Interessant sind Brauns Darstellungen auch an anderer Stelle. Demnach habe es sich um ein „rein berufliches“ Verhältnis gehandelt. Von den Umtrieben des damaligen Asien-Vorstands in der sogenannten Münchner „Marsalek-Villa“ will Braun nichts mitbekommen haben. Er sei „nie dort gewesen“, die Firma IMS Capital, die von der Villa aus Geld aus dem Wirecard-Konzern abgesaugt haben soll, will Braun nicht gekannt haben. Eine bemerkenswerte Aussage, da Marsalek am Ende seiner Wirecard-Zeit fast nur noch in der Villa zugegen gewesen sein soll. 

Die „James-Bond-Seite“ Marsaleks habe sich Braun nicht erschlossen. Mit Geheimdiensten will der Ex-CEO „persönlich keinen Kontakt“ haben. In der Tat war es immer wieder Marsalek, der im Kontext von Geheimdiensten auftauchte – sei es im Umfeld des damaligen BVT, mit russischen Diensten oder bei rauschigen Festen mit einem ehemaligen libyschen Agenten. Es gibt jedoch Vorgänge rund um dieses Halbwelt-Milieu, die auch Braun in Bedrängnis bringen könnten – zumindest indirekt, da es nachweislich Kooperationen Wirecards mit Sicherheitsbehörden gab. 

Zentrale Frage Drittpartner-Geschäft

Während man beim deutschen Auslandsnachrichtendienst BND auf Distanz geht (Marsalek wollte einen Jahresdatensatz für den BND haben – diesen habe man dort „nachprüfbar nicht erhalten“), hat das Berliner Bundeskriminalamt eingeräumt, Wirecard-Kreditkarten für Tarn-Identitäten benutzt zu haben. Auch das österreichische Innenministerium hat Zahlungsdienstleistungen von Wirecard genutzt. Dubiose Ex-Geschäftspartner von Wirecard arbeiten teils heute noch mit Behörden zusammen. Hat Braun all das ebenso nicht mitbekommen?

Für den Prozess ist der Sicherheits-Strang eher nicht entscheidend. Die Anklage stützt sich auf das Drittpartner-Geschäft in Asien und die Frage, ob die Milliarden tatsächlich nicht existierten. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist Braun Kopf einer kriminellen Bande, die Wirecards Erfolg schlicht erfand, um bei Investoren und Anlegern als Überflieger dazustehen. Braun hat jetzt noch bis mindestens Ende des Jahres Zeit, Marsalek überzeugend als Kopf einer Bande zu beschreiben, die am CEO vorbei den Konzern plünderte. 

Der erste Auftritt Brauns lässt eine Verteidigungsstrategie auf tönernen Füßen vermuten. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Aussagen des bisweilen emotionalen Kronzeugen Bellenhaus dem Marathon-Prozess standhalten.

Titelbild: ERIC PIERMONT / AFP / picturedesk.com

Ben Weiser
Ben Weiser
Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4
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5 Kommentare

  1. Hmmm. Riskant allemal, sich an Marsalek abzuputzen. Aber eine andere Chance hat er ja wohl eher nicht, abseits vom Schuldbekenntnis.

    • Ja und so putzt sich auch das “System” an ihm ab.
      So wird er wohl als alleiniger Schuldiger für das “System” bald strafrechtlich hingerichtet werden.
      Nicht dass ich ihn nicht für schuldig halten würde, aber eben noch mehr das wieder freigehende System.

  2. Auch hier wieder Behördenversagen wohin man nur schaut.
    Bereits bei der Anzeige im Jahr 2010 hätten bei allen hier Prüfenden die Alarmglocken läuten müssen, bei einem Börsenotierten Betreib muss man sich einmal vorstellen. Genauso wie beim Commerzialbank Mattersburg Skandal.
    Aber vermutlich hatte hier der Geheimdienst und die Politik auch die Finger mit im Spiel.
    Ob es in Deutschland einen Immunitätserlass gibt, weiß ich nicht, aber beim österreichischen Behördenversagen spielt dieser ganz sicher eine zentrale Rolle…

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