Für die ÖVP geht es um alles. Also nimmt sie sich alles. Jetzt ist der ORF dran.
Wien | Am Freitag hatte ich in meinem „Salon Pilz“ in der Wiener Kulisse zum ersten Mal einen Ehrengast: Michael Nikbakhsh, den Journalisten. Mit ihm hat der Anstand jetzt auch “profil“ verlassen.
Ich wäre gerne bei dem „Gespräch“, das die ÖVP-Exekutoren Salomon und Grasl mit dem Journalisten geführt haben, dabei gewesen. Aber ich kann es mir auch aus der Distanz ganz gut vorstellen.
Es stimmt, auch früher hatte die ÖVP über Raiffeisen Einfluss auf den „Kurier“. Aber Raiffeisen-Generalsekretär Christian Konrad verfolgte neben der Hilfe für seine ÖVP noch ein übergeordnetes Ziel. Die Zeitung sollt durch den leichten ÖVP-Drall keinen Schaden erleiden.
Selten wurden Geschichten „abgestochen“, viel öfter wurde darauf hingewiesen, dass es ja auch „eine andere Seite“ der Geschichten gäbe und dass man doch etwas öfter auch „den Roten“ auf die Finger schauen könnte. Helmut Brandstätter hat das als „Kurier“-Chef mit Haltung, Christian Rainer als sein Pendant bei „profil“ mit Geschmeidigkeit durchgestanden.
Wegwerf-Tools
Jetzt ist alles anders. Den Kurz-Spezis bei Raiffeisen ist inzwischen völlig egal, ob „Kurier“ und „profil“ vor die Hunde gehen. Sie werden jetzt als „Tools“ für den Endkampf der ÖVP gebraucht. Für ÖVP, Raiffeisen, Benko und den Rest der Familie geht es erstmals um alles. Raiffeisen steht wegen drohender Wertberichtigungen von Moskau bis Wien unter Druck. Dazu drohen Sanktionen aus Washington. Bei Benko scheint nicht klar, wie und ob es weitergeht. Und an der Spitze der ÖVP machen die jüngsten Ermittlungen mehrerer Staatsanwaltschaften klar, dass ein großer Teil der Familie plötzlich wieder im selben Boot mit Sebastian Kurz in Seenot ist.
„Es geht um viel!“ Johanna Mikl-Leitners grotesk übercoachter Wahlkampfauftritt sprach es an: Ohne Schützenhilfe an der Medienfront kann die ÖVP alles verspielen: den Kanzler, das Innenministerium und die Chance, sich das Justizressort für den finalen Befreiungsschlag gegen die WKStA zurückzuholen.
Der „Kurier“ scheint verloren. „Profil“ ist durch den brachialen Einstieg der Grasl/Thalhammer-Partie schwer beschädigt. Um beide ist es schade. Aber erst mit dem ORF wird es wirklich ernst für die Pressefreiheit in Österreich.
Im Kurz/Kogler-Sideletter haben die Grünen den ORF der ÖVP überlassen. Seit damals führt der „Freundeskreis der ÖVP“ das Regime im ORF. An seiner Spitze steht Thomas Zach, ein Lobbyist, der wie viele andere sein Handwerk im Kabinett von Innenminister Ernst Strasser gelernt hat.
Fernsehbund „ORF“
Zachs Schloss in der Nähe von Toulouse dient als Stützpunkt seines „Beratungsunternehmens“ Zacon. „Wir entwickeln innovative Strategien“ steht als Begrüßungssatz auf der Zacon-Website. Im Juni 2019 kümmerte sich ein „High Level“-Seminar um eine Weichenstellung: „Die Zukunft des ORF – die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten am Scheideweg“. Gleich neben dem Seminartext steht das Foto des Hauptreferenten: Roland Weissmann.
In der Zwischenzeit hat Zach seinen Referenten zum ORF-Generalsdirektor gemacht. Zach weiß: Wenn er pfeift, wedelt Weissmann mit dem ORF.
Aber, lautet hier der Einwand, das würde sich im ORF niemand gefallen lassen. Von der Kanzlerpartei gelenkter Journalismus, Tarek Leitner mit türkisem Zaumzeug, Geschichten auf Bestellung – jeder, der das versucht, würde nur eines provozieren: einen Aufstand.
Also war es wohl so: Niemand in der Nachrichten-Beletage am Küniglberg hatte mitbekommen, dass der ORF seit Generationen von St. Pölten bis Bregenz gleich nach ÖAAB und Bauernbund als „Fernsehbund“ eine der wichtigsten Teilorganisationen der ÖVP ist. Als das neulich als „Affäre Ziegler“ mitten im Mikl-Leitner-Wahlkampf platzte, waren die Entsetzenschreie von Armin Wolf und vielen anderen weit über den Küniglberg hinaus zu hören.
Message Control und Kiwi
Hinter dem Rücken der Star-Moderatoren hatten sich Ziegler, Weissmann und andere jahrelang im ÖVP-Freundeskreis im Haus getroffen. Niemand hatte etwas bemerkt. Aber jetzt… Aber jetzt was?
Als wäre nichts geschehen, läuft alles weiter. Am 10. Februar 2023 leisteten sich Leitner & Co. eine ZiB 1 mit einem ausführlichen Bericht über den „Migrationsgipfel der EU“. Der Bericht hatte eine Schwäche: In Brüssel fand kein „Migrationsgipfel“, sondern ein Gipfel zu „Ukraine“, „Sanktionen gegen Russland“ und „Schutz der EU-Außengrenzen“ statt. Nehammers Versuch, daraus einen „Migrationsgipfel“ zu machen, war überall gescheitert, mit einer Ausnahme: die ZiB 1. Dort sagte der Moderator den ÖVP-Text auf.
Dann kam der längere Bericht über „Message Control“, das Buch des ÖVP-Medienstrategen und WKStA-Beschuldigten Gerald Fleischmann. Den Beiträgen war anzusehen, dass sich die Redakteurinnen bemüht hatten, aus ihren Aufträgen das journalistisch Bestmögliche zu machen. Es spielt keine Rolle, ob sich die Moderatoren bei ihren Aufsagern noch ein bisserl geschämt haben. Es geht darum, dass die ÖVP bestellen kann und der ORF liefert.
Weil es statt Aufschrei in den Redaktionen und Protesten des Redakteursrats prompte Lieferungen der gewünschten Beiträge gibt, wissen Fleischmann und Nehammer, dass es geht. Also werden sie die Schrauben weiter anziehen. Dabei profitieren sie von der Verschlechterung des ORF-Rufs. Je mehr Zuseher glauben, dass auch der ORF parteilich und käuflich ist, desto weniger werden ihm nachweinen, wenn er auf das reduziert wird, was ÖVP und FPÖ als „ORF“ dulden.
Mit der „Reform des ORF“ ist jetzt die zweite Front eröffnet. Das Unternehmen muss „sparen“. Was das im ÖVP-Deutsch heißt, wird man bald sehen.
Und die Grünen? Die laufen mit. Sie sind inzwischen zur Kiwi-Partei geworden: großer Schnabel, dicker Bauch, keine Flügel. Schade, denn sie würden gerade gebraucht.
Titelbild: ZackZack/Miriam Mone