Donnerstag, März 28, 2024

Erdbeben: Tragödie bringt Armenien und Türkei zusammen

Die Erdbebenkatastrophe in der Türkei löste breite Solidarität aus. Das könnte der konfliktbeladenen Region eine historische Normalisierung schwieriger Beziehungen ermöglichen. So nähern sich Armenien und die Türkei an.

Wien/Adıyaman | Nach der jüngsten Erdbebenkatastrophe in der türkisch-syrischen Grenzregion wurde das erste Mal seit dem Erdbeben von Spitak 1988 in Armenien der Grenzposten Alican in der türkischen Provinz Iğdır geöffnet. So konnten fünf LKWs mit humanitären Gütern aus Armenien über die Margara-Brücke in die Türkei fahren. Das ist bemerkenswert und historisch, da die beiden Nachbarländer bisher verfeindet waren.

Genozidleugnung als Klotz

Der Grund dafür: Türkei leugnet den Völkermord an den Armeniern (“Aghet”), einen der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhunderts. Unter der osmanischen beziehungsweise jungtürkischen Regierung wurden während des Ersten Weltkrieges schätzungsweise 300.000 bis 1.500.000 Armenier ermordet. Die internationale Staatengemeinschaft erkennt diesen Genozid größtenteils an. Türkei, Pakistan sowie Aserbaidschan dagegen leugnen den Völkermord.

Dazu kommt, dass die Türkei das “Brudervolk” in Aserbaidschan im laufenden kriegerischen Grenzkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach/Arzach unterstützt, sowohl diplomatisch-politisch, als auch militärisch.

Erdbebendiplomatie bringt Länder zusammen

Die Grenze zwischen Armenien und der Türkei ist seit 30 Jahren geschlossen. Die beiden Länder haben formell keine diplomatischen Beziehungen. Die armenische Botschaft in Wien betont gegenüber ZackZack, dass der armenische Premierminister Nikol Pashinyan Telefongespräche mit der politischen Führung der Türkei und Syriens geführt habe, um sein Beileid für die Erdbebenopfer auszudrücken. 

Armenische Rettungsteams wurden in die Erdbebengebiete der Türkei und Syriens geschickt, sowie humanitäre Hilfe entsandt.

Am 15. Februar besuchte Armeniens Außenminister Ararat Mirzoyan die Türkei und traf sich mit Türkeis Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Ankara. Die beiden Außenminister gaben dabei unter anderem bekannt, dass ihre Länder gemeinsam die historische Ani-Brücke an der Grenze restaurieren wollen.

„Es ist wirklich symbolisch, dass die seit 1993 geschlossene armenisch-türkische Grenze zum ersten Mal nach drei Jahrzehnten für armenische Lastwagen geöffnet wurde, die humanitäre Hilfe nach Adıyaman transportierten. Es ist wichtig anzumerken, dass die Grenze nie von Armenien geschlossen wurde und Armenien in den letzten 30 Jahren immer bereit war, die Beziehungen zur Türkei vollständig zu normalisieren, diplomatische Beziehungen aufzunehmen und die Grenze ohne Vorbedingungen zu öffnen“, verlautbarte die armenische Botschaft.

Weiter hieß es, dass armenische Rettungskräfte in Adıyaman drei Menschen aus den Trümmern hätten retten können. Sie führten außerdem Arbeiten zum Abriss geschwächter und hängender Strukturelemente von Gebäuden durch und entfernten Schutt mit Spezialgeräten.

Aufnahme von direkten Luftfrachtverkehr

Im Rahmen des Normalisierungsprozesses zwischen Armenien und der Türkei hatten 2022 vier Treffen zwischen Sonderbeauftragten der beiden Länder stattgefunden. Verglichen mit den Jahren davor ist das eine Menge. Im vergangenen Jahr hatte Armeniens Außenminister Mirzoyan am Antalya Diplomatic Forum teilgenommen, wo er seinen türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu getroffen hatte. Im Oktober 2022 traf der armenische Premierminister Pashinyan im Rahmen der Tagung der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Prag mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammen, bei dem die Parteien die Notwendigkeit einer raschen Umsetzung der von den Sonderbeauftragten erzielten Vereinbarungen betonten.

Am 1. Juli 2022 einigten sich die Sonderbeauftragten der beiden Länder darauf, den direkten Luftfrachtverkehr zwischen Armenien und der Türkei aufzunehmen, der im Januar 2023 in Kraft trat, „als die türkische Seite das Verbot des direkten Luftfrachtverkehrs zwischen Armenien und der Türkei aufhob“. Armenien gehe davon aus, dass die andere Vereinbarung, die auf demselben Treffen erzielt wurde – etwa Gewährleistung der Möglichkeit für Drittstaatsangehörige, die Landgrenze zu überschreiten – ebenfalls so bald wie möglich umgesetzt wird.

Chance auf nachhaltige Beziehungen

Vonseiten der armenischen Botschaft heißt es gegenüber ZackZack, man wolle den Annäherungsprozess ohne Vorbedingungen fortsetzen: „Armenien hat wiederholt sein Streben betont einen stabilen Frieden in der Region aufzubauen, die Beziehungen zur Türkei vollständig zu normalisieren, diplomatische Beziehungen aufzunehmen und die Grenze zwischen Armenien und der Türkei vollständig zu öffnen. Armenien ist der Vereinbarung der Parteien verpflichtet, den Normalisierungsprozess ohne Vorbedingungen fortzusetzen.”

Die armenische Seite habe auf verschiedenen Ebenen ihre Bereitschaft zu einer vollständigen Öffnung der Grenze zur Türkei und zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen angekündigt. Armenien sei außerdem daran interessiert, konkrete Schritte zu unternehmen, um so schnell wie möglich das Ziel einer vollständigen Normalisierung zwischen den beiden Ländern zu erreichen.

Die türkische Botschaft hat für die Beantwortung einer ZackZack-Anfrage aufgrund der herausfordernden Lage mehr Zeit erbeten. Ein entsprechendes Statement wird nachgereicht. ZackZack bleibt dran.

Kapak Resmi: ADEM ALTAN / AFP / picturedesk.com

Gabriel Hartmann
Gabriel Hartmann
Reporter für türkisch-österreichische Gschichten. Beobachtet die Entwicklungen und den Wahlkampf in der Türkei. Dil kılıçtan keskindir.
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