Sonntag, September 8, 2024

Die Zukunft war gestern – Skylla & Charybdis

Des Kanzlers neue Rede wurde wie des Kaisers neue Kleider: sehr transparent. Aber nicht so, wie man es sich gewünscht hätte.

Wien | Eine Rede an die Nation hätte es werden sollen. Ein mutiger Wurf für die Zukunft. Ein Licht am Ende des Tunnels! So viele Hoffende, die an den Lippen des Kanzlers hingen, um visionären Plänen zu lauschen. Frisch bestuhlt und beklebt! Aber Mensch denkt (leider längst nicht alle dieser Spezies) und Gott lenkt und des Kanzlers neue Rede wurde wie des Kaisers neue Kleider. Sehr transparent. Aber nicht so, wie man es sich gewünscht hätte. Der möglichen Kritik war jedenfalls viel Material geliefert, sie blieb auch nicht aus. No future und so. Aus diesem Grund wagen wir hier das Unerwartete und suchen nach guten Momenten dieser Rede.

Alles im Griff

Ein erfreulicher Höhepunkt war beispielsweise erreicht, als der Kanzler weder sich noch seine Partei als Hure der Reiche bezeichnete. Was liegt, das pickt! Vor einem Jahr hätte es eventuell anders ausgesehen! Dass der Kanzler annahm, die Österreicher hätten oftmals zwei gesunde Hände, das war auch ein guter Punkt. Von den Beinen wurde zwar nicht gesprochen, aber vielleicht bei der nächsten Zukunftsrede.

Dann könnte der Österreicher sogar seine g’sunden Beine in die g’sunden Hände nehmen. Bevor die Maschine den Menschen kontrolliert. Programmierlehrpersonal soll aber dagegen helfen, unterrichtende Programmierer sind wie der Knoblauch gegen Vampire. Unersetzlich. Hätte der Arnie als Terminator gegen einen Programmierlehrer antreten solle, hätte die Blechbüchse absolut keine Chance gehabt.

Alles egal

Doch weiter im Programm: Frauenschicksal Kinder, Küche, Kirche war auch nicht explizit ein Punkt der Zukunftsagenda. Die konkreten Pläne zur Lösung von Kinderbetreuung zwar auch nicht, aber wir wollen mal nicht so sein. Immerhin betrachtet Johanna Mikl-Leitner solche konkreten Pläne als standortschädigend. Gendern ist aber nix, das wissen wir jetzt ebenfalls.

Alles für die Stimmen

Ganz wichtig auf des Kanzlers Agenda: die Versöhnung. Die Handreichung. Die Gräbenüberwindung. Die FPÖ hat derzeit ivermectingestärkt die Lizenz zum Schwurbeln, und die ÖVP hätte ihr diese gerne abgejagt. Seit Sebastian Kurz nicht mehr den Deckel auf alle möglichen Missstände draufhalten kann, ist es stimmgewinnbringender, sich auf die blaue Seite der Macht zu schlagen.

Ich stelle mir vor, wie der Kanzler auf einen Galgenträger mit „Impfjude”-Abzeichen zugeht und ihn in bärig-liebevolle Umarmung schließt. „Es tut mir so leid”, haucht ihm der Kanzler ins Ohr. “Wenn ich gewusst hätte, wie teuer es mich kommt, hätte ich dir noch mehr ermöglicht.” Vielleicht verbrennen sie mit vor Rührung tränenden Augen gemeinsam rituell ein paar Masken, Teambuilding ist ja so wichtig!

Alles beim Alten

Dass der Kanzler zwar absolut kein Davos-Niveau erreichte, dafür aber durchaus Davos-Standard mit mindestens vier Luftfiltern auf seiner Bühne, das lassen wir besser im Mantel der Gnade verschwinden. Wenn die Liebe halten soll, sind little white lies erlaubt. So gerät das Land von Plan A zu Plan Omega. Österreichs Zukunft ist, kurz zusammengefasst: der Automotor, der Grenzzaun und das generische Maskulinum. 

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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