Nach den Chats von Wolfgang Fellner, Eva Dichand und Richard Grasl liegt der Journalismus erstmals neben der Politik am Boden. Aber auch in den Medien scheint nicht klar, wie man wieder auf die Füße kommt – und auf welche. Zur gleichen Zeit entscheidet sich, ob der Selbstmordversuch in der SPÖ gelingt.
Wien, 23. April 2023 Österreich hat zwei Probleme, auf die es nur eine Antwort gibt. In der Reihenfolge ihrer Bedeutung heißen die Probleme „Zukunft des Verbrennungsmotors“ und „Chaos in der SPÖ“. Die Antwort lautet „ÖVP“.
Es stimmt, momentan gehen die Spitäler zugrunde und immer mehr Menschen können den Mai nicht mehr erwarten, weil sie dann das warme Wetter anstelle der kalten Regierung ein halbes Jahr von den unleistbaren Heizkosten befreit. Aber das und noch viel mehr passiert in der realen Welt und nicht am Futtertrog der öffentlichen Meinung.
2 Komponenten-Fütterung
Dort sammelt sich alles, was berichten und kommentieren kann, zur täglichen Mediensoap: dem „Schreiben der Lämmer“. Themen werden gemeinsam mit Kanzlerfotos ausgegeben. Wenige Stunden später wird über die Themen berichtet, alles tanzt „Verbrennungsmotor“, und nur zwei Zeitungen haben ein Foto, das nicht aus dem Kanzleramt stammt. Am Ende der Woche lässt Claudia Reiterer das Wichtigste durch handverlesene Gäste zusammenfassen.
Lämmer werden gefüttert, mit Themen, Fotos, „Hintergründen“ und Regierungsinseraten. Ab und zu, wenn ein Problem wie das neue Buch des Medienführers der ÖVP dazukommt, übernimmt die ZiB 1. Medienförderung ist eine 2 Komponenten-Medizin: Nur wer die Themen schluckt, bekommt auch das Geld.
Zum gemeinsamen Besten spielen alle „Regierung und Medien“, und viele der Beteiligten nehmen sich dabei ernst. Das ist gar nicht so einfach, wenn man von Grundsatzreden bis Verbrennern und Kinderabschiebungen den Bocksprüngen des vielleicht dümmsten Kanzlers der Zweiten Republik folgen muss. Aber was soll man tun, die Redaktionen sind nur noch dünn besetzt, immer mehr Geschichten werden von APA und anderen Agenturen abgeschrieben, und in der Zeit, die für eine eigene Recherche draufgeht, kann man fünf Hand-Outs von Kanzleramt und ÖVP zu Artikeln machen.
Nase außer Reichweite
Die Aufgabe der Lämmer liegt längst nicht mehr im Detail. Sie erzeugen den „Gesamteindruck“, dass eine ernstzunehmende Regierung ernstzunehmenden Journalisten gegenübersteht. Aber diese Fiktion ist aus mehreren Gründen immer schwerer aufrechtzuerhalten:
- Die ökologischen und sozialen Probleme sprengen den Rahmen, den die ÖVP vorgibt. Der Neusiedlersee trocknet aus, die Gletscher verschwinden, Tornados ersetzen Landregen, Pflegerinnen brechen zusammen, Menschen, die ihr Leben lang Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt haben, müssen um Spitalsbetten und Zuschüsse betteln. Gleichzeitig werden ÖVP-Spezis Regierungsmillionen zugeschoben und ihre explodierenden Vermögen vor Steuern geschützt.
- Tanner, Raab, Karner, Plakolm und Polaschek sollten einige dieser Probleme lösen. Aber jeder weiß, sie sind talentloser als ihr Kanzler. Wer ernsthaft über ihr Tun berichtet, droht sich selbst lächerlich zu machen.
- An diesem Punkt reichte es bisher, sich in die Pose „Ja, die Politiker sind eben so“ zu flüchten. So abgehoben, so selbstsüchtig, so korrupt. Aber die Beweise für die flächendeckende Inseratenkorruption hat das Bild „saubere Medien – schmutzige Politik“ zerstört. Seit den Schmid-Chats wissen alle: In Österreich kann man Politiker und Journalisten, Parteien und Zeitungen kaufen, nicht alle, aber erstaunlich viele. Die Grundfarbe der politischen und journalistischen Schafe ist schwarz.
- So, und jetzt beginnt die Empörung der „guten“ Journalisten: „Wie kommst du dazu, uns alle mitverantwortlich zu machen?“ Ganz einfach: Weil alle, die in Medien etwas zu reden haben, mitverantwortlich sind. Als die verräterischen Chats von „Die Presse“-Chef Rainer Nowak auftauchten, machten alle eine Bogen um sie. Krähen hacken anderen Krähen keine Augen aus, das ist das Gesetz der Branche. Hätten wir in „ZackZack“ nicht darüber berichtet, wäre Nowak heute noch „Presse“-Chef und Anna Thalhammer seine rechte Hand.
- Und damit bin ich beim letzten Punkt. Die Empörung der „sauberen Journalisten“ gilt der Regierung und ihrem Missbrauch der Presseförderung. Wenn ich – wie neulich in einer Puls 24-Diskussion – frage, was denn die Medien selbst gegen die allesfressenden schwarzen Schafe unternähme, kommt eine überraschende Antwort: Die Zeitungen seien privat, da könne man sich nicht einmischen. Die eigenen Nase ist nach wie vor außer Reichweite.
Hütchen im Sattel
Richard Grasl, Eva Dichand, Wolfgang Fellner, Martina Salomon, Christoph Budin – sie hätten alle längst ihre Hüte oder Hütchen nehmen müssen. Aber sie sitzen fest im Sattel, weil man nur von Politikern den Rücktritt erwartet.
In mehr als dreißig Jahren als Abgeordneter habe ich gelernt: Der Journalismus ist die andere Seite der Politik. Er ist selten besser und fast nie schlechter als die Politik, die er abbildet. Seit zwanzig Jahren sind beide miteinander bergab gerutscht. Ob es einen Boden gibt, der jetzt irgendwann erreicht wird, weiß ich nicht.
Die Pabü
Und jetzt doch noch ein Wort zur SPÖ. Wenn der Ausweg aus einer schweren Krise „mehr Demokratie“ heißt, ist das viel besser als nichts. Tausende treten bei, weil sie neue Hoffnung schöpfen. Die Hoffnung ist einfach beschrieben: „Die SPÖ wird gerade noch rechtzeitig zum Gegenpol gegen den kommenden Rechtsblock. Sie kann die Wende schaffen.“
Diese Wende ist mit Doskozil, Babler und vielleicht auch immer noch mit Rendi-Wagner möglich. Wenn einer gewinnt, müssen die beiden anderen dafür sorgen, dass daraus ein Sieg für die SPÖ gegen ÖVP und FPÖ wird. Aber darum geht es leider noch nicht, weil diese Chance gerade sabotiert wird, und zwar vom Genossen Deutsch. Der Genosse Deutsch ist der Kopf der Parteibürokratie, die ich jetzt mit „Pabü“ abkürzen werde. Im Gegensatz zur Partei interessiert sich die Pabü ausschließlich für die Innenwelt. Sie hat ein einziges Ziel: sich selbst.
Die Pabü ist lieber Pabü einer einflusslosen isolierten Partei am Rande des Geschehens als keine Pabü. Ihr Sein bestimmt ihr Bewusstsein, und ihr Sein besteht aus ihr selbst und den Sesseln, an denen sie klebt.
„keine der genannten…“
Wenn jetzt die Mitglieder befragt werden, besteht die Gefahr, dass der falsche Kandidat hoch gewinnt. Das beschäftigt die Pabü, und sie kommt zu einem Schluss: Rendi-Wagner ist die Kandidatin der Pabü. Damit hat sie schlechte Karten. Babler ist der Kandidat der Herzen. Mit ihm kehrt die SPÖ zu ihren Wurzeln zurück. Die Pabü weiß nicht, wie viele Herzen es derzeit in der SPÖ gibt. Doskozil ist der Kandidat der Vernunft. Mit ihm kann die SPÖ den Kanzler erobern. Die Pabü weiß, dass das für die meisten Funktionäre ein entscheidendes Motiv ist. Aber es gibt noch ein Motiv: Fast allen in der SPÖ geht der öffentliche Streit ihrer Parteispitzen auf die Nerven.
Also schreibt die Pabü zu den drei Namen noch eine vierte Möglichkeit auf den Stimmzettel: „ungültig“ oder, wie das im Deutsch von Deutsch heißt: „Ich bin dafür dass keine*n der genannten Bewerber*innen“. Die Pabü weiß, dass vielen ihr Frust das Kreuz genau da machen lässt. Doskozil und Babler verlieren auf diese Art mindestens zehn, vielleicht deutlich mehr Prozente. Die Pabü verkündet das Ergebnis und stellt fest, dass niemand wirklich gewonnen habe. Weil auch nach der „Umfrage“ alles unklar sei, müsse die Pabü jetzt den Parteitag ordentlich vorbereiten.
An dem Punkt schlägt Hoffnung in Enttäuschung und Mobilisierung in Lähmung um. Aber man muss die Pabü verstehen: Es gibt Situationen, in denen nur der Selbstmord der Partei das Überleben der Pabü sichert.
Salzburg
Fast hätte ich auf die Wahl dort vergessen, daher mein Nachtrag um 9.50 Uhr: Ein paar Tage vor der Wahl haben wir auf „ZackZack“ die Mails über die Parteibuchwirtschaft von Herrn Haslauer und der „Halleiner Connection“, einer üblen ÖVP-Partie, die weite Bereich der österreichischen Polizei beherrscht, veröffentlicht. Die Kronen Zeitung hat die Geschichte auch gebracht, auf Puls 24 ist Haslauer mit den Mails konfrontiert worden. Sonst – nichts. Kurz vor der Wahl ist es unüblich, Fakten, die der ÖVP schaden könnten, zu veröffentlichen.
Salon Pilz
Von der Herausgeberin Dichand bis zum Genossen Deutsch – über all das berichte ich am Freitag, den 28. April, im „Salon Pilz“ in der Wiener „Kulisse“. Mein Gast ist Michael Nikbakhsh, der der Grasl/Thalhammer-Säuberung in „profil“ zum Opfer gefallen ist. Ein paar Karten gibt es noch hier.