Samstag, April 20, 2024

Wahlkrimi in Türkei: Erdoğan muss in Stichwahl 

Die Türkei hat gewählt – aber noch keinen Präsidenten, denn Amtsinhaber Erdoğan muss in die Stichwahl. Rund um die Wahl gab es Meldungen über Unstimmigkeiten. Ein Ultranationalist wird zum Königsmacher.

Ankara | Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan muss sich erstmals einer Stichwahl stellen. 99 Prozent der Wahlurnen im Inland und 84 Prozent der Auslandsstimmen seien bisher ausgezählt. Erdoğan kommt auf 49,4 Prozent, wie der Leiter der Wahlbehörde, Ahmet Yener, am Montag mitteilte. Dahinter folgt demnach mit 44,96 Prozent Oppositionsführer Kemal Kilicdaroğlu (Titelbild Mitte), der an Spitze eines Sechs-Parteien-Bündnisses steht. 5,2 Prozent entfielen auf den Ultranationalisten Sinan Oğan. 

Stichwahl folgt

Bei ihm ist unklar, für wen er sich in der Stichwahl am 28. Mai entscheidet. Eine solche Stichwahl gab es in der Türkei noch nie. Ogan wertete daher sein schwaches Abschneiden (rund 5,3 Prozent) als Erfolg. Mit seinen Anhängern will er nun beraten. “Wir werden niemals zulassen, dass die Türkei in eine Krise gerät”, sagte Ogan in der Nacht auf Montag.

Für einen Sieg in der ersten Runde am Sonntag wäre eine absolute Mehrheit notwendig gewesen. Wählerinnen und Wähler mit türkischem Pass in Österreich und anderen Ländern können bereits zwischen dem 20. und 24. Mai ihre Stimme abgeben.

Die Wahlbehörde gab das Ergebnis der Parlamentswahl zunächst nicht bekannt. Es zeichnete sich jedoch ab, dass Erdoğan Regierungsallianz ihre Mehrheit verteidigen konnte. Der Präsident hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 weitreichende Befugnisse, das Parlament mit seinen 600 Abgeordneten ist dagegen geschwächt.

Die Wahl galt als richtungsweisend. Es wird befürchtet, dass das NATO-Land weitere fünf Jahre unter Erdogan noch autokratischer werden könnte. Kilicdaroğlu trat als Kandidat für ein breites Bündnis aus sechs Parteien an. Er verspricht die Rückkehr zu einem parlamentarischen System, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Auch international wurden die Entwicklungen in der Türkei aufmerksam beobachtet wegen ihrer Bedeutung für Konflikte in der Region wie dem Syrien-Krieg und für das Verhältnis zur EU und Deutschland.

Zweifel an staatlicher Agentur

Schon zu Beginn der Abstimmung gab es Zweifel an den von der Staatsagentur Anadolu veröffentlichten Zahlen. Die oppositionellen Bürgermeister der Metropolen Istanbul und Ankara beschuldigten die Regierung, die Werte von Erdogan zu schönen. Kilicdaroğlu warf Erdoğans Partei AKP vor, die Auszählung in Hochburgen der Opposition mit Einsprüchen zu blockieren. Immer wieder war in Sozialen Medien von Unstimmigkeiten die Rede. Erdoğan warf der Opposition wiederum “Raub des nationalen Willens” vor.

Auch wenn Erdoğan in zwei Wochen noch immer gewinnen kann – für den 69-Jährigen ist das Ergebnis ein Rückschlag. Seit er 2003 zunächst zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hat er jede landesweite Wahl gewonnen. Seit 2014 ist er Staatspräsident. Die Aura des Unbesiegbaren geht ihm durch die Stichwahl jedenfalls verloren. Erdoğan zeigte sich in der Nacht zu Montag dennoch gut gelaunt vor jubelnden Anhängern in Ankara und stimmte ein Lied an.

Titelbild: BULENT KILIC / AFP / picturedesk.com

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9 Kommentare

  1. Hier kam vermutlich der gleiche Umfragetrick zur Anwendung wie bei uns bei den letzten Landtagswahlen?

    • Im Grunde genommen ist es für den Despoten eine gefühlte Niederlage in die Stichwahl zu müssen obwohl er alle Medien kontrolliert und alle ihm nicht gewogenen Journalisten mit aller Kraft einzuschüchtern versucht. Die Überzeugung der restlichen Welt dass die Wahl alles Andere als sauber abgelaufen ist tut ihr Übriges dazu. Den Mythos des Unantastbaren kann er sich zumindest schon mal abschminken.

      • Schlimm finde ich auch dass alle wahlberechtigten Türken in Österreich vorraussichtlich mit 75% für Erdogan voteten. Aber wundern tuts mich nicht. Sinds ja auch eingebettet in einer Gesellschaft wo der Ruf nach Autorität und Polizeistaat immer lauter wird.

        • @hr.lehmann
          Zu Kreiskys, Willi Brandts. Helmut Schmidts etc. Zeiten hatten z.B. die Kurden besonderen Schutz vor Verfolgung in D und A. Inzwischen hat sich die EU an Erdogan verkauft, schiebt Kurden ab und ÖVP und FPÖ unterstützen sichtbar die rechtsradikalen, rassistischen Grauen Wölfe. etc. pp.
          Und Ferdinand Hennerbichler dreht sich im Grab um. Es ist traurig und es gäbe noch viel zu viel zu sagen.

        • @hr.lehmann
          Die türkische Community diskreditiert sich auch gegenseitig. Erdogan hat seine österreichischen und deutschen Handlanger fest im Griff.

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