Sonntag, April 28, 2024

Ausgerechnet: Baustelle Kleinkindbetreuung 

Die Kinderbetreuung ist in Österreich immer noch eine große Baustelle. Auch die von Kanzler Nehammer angekündigten Kinderbetreuungsmilliarden bis 2030 sind zu klein gedacht, so das Momentum Institut exklusiv für ZackZack.

Von Sophie Achleitner

In Österreich ist die Betreuung von Kleinkindern nach wie vor Frauensache. In der Regel sind es die Mütter, die dafür zuhause bleiben. Das wirkt sich negativ auf ihre Karrierechancen, ihr Einkommen und ihre Pension aus – und trägt massiv zur Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt bei. Wer hier gegensteuern will, darf nicht auf einen Wertewandel warten, sondern muss aktiv an einem Ausbau und einer Verbesserung des bestehenden Angebots arbeiten.  

Im Sommergespräch vergangenen Montag plädierte Bundeskanzler Karl Nehammer dafür bis 2030 4,5 Milliarden Euro in die Kinderbetreuung zu stecken. Pro Jahr bedeutet die Summe aber genau 642 Millionen Euro. Ein Turbo-Boost bei der Aufholjagd ist das nicht. Vor allem, wenn wir uns ansehen, wie schlecht wir mit der Kinderbetreuung in Österreich aktuell dastehen.  

Österreich mit massivem Aufholbedarf 

Bereits 2002 einigte sich der EU-Rat darauf, dass sich bis zum Jahr 2010 jedes dritte Kind in Kinderbetreuung befinden sollte. Österreich hat dieses Ziel 2010 nicht erreicht, daher gab es dafür einen Aufschub bis 2020. Aber selbst mit über zehn Jahren Verspätung hatte Österreich das Ziel 2020 nicht erreicht. Das Ziel von 33 Prozent hat Österreich selbst mit drei Jahren Verzögerung 2023 immer noch nicht erreicht und hinkt im europäischen Vergleich deutlich hinterher. Heuer befanden sich nämlich nur 30 Prozent der unter 3-Jährigen in externer Betreuung. In Dänemark waren es im selben Jahr zum Beispiel 69 Prozent, in den Niederlanden sogar 74 Prozent. Das nächste Ziel? 2030 soll die Hälfte aller Kinder unter 3 Jahren in Kinderbetreuung sein. Für Österreich ist das noch ein weiter Weg. Der Grund dafür, dass wir so schlecht abschneiden: In Österreich fallen konservative Vorstellungen von Eltern- und Mutterschaft mit gravierenden strukturellen Mängeln zusammen. Vor allem Letztere sorgen dafür, dass das Angebot kaum angenommen wird. 

Damit Eltern ihre Kleinkinder in externe Betreuung geben, braucht es nicht nur genügend Plätze. Das Angebot muss allen offenstehen und leistbar sein, qualitativ hochwertig und flexibel. In allen Bereichen gibt es in Österreich mehr oder weniger gravierende Missstände. Plätze sind rar und mit langen Wartezeiten verbunden und die Einrichtungen oft nur halbtags geöffnet. Aufgrund eingeschränkter Öffnungszeiten, langer Ferienzeiten und vieler Schließtage ist außerhalb Wiens beispielsweise nur jeder fünfte Kindergartenplatz mit einem Vollzeitjob vereinbar. Und auch die Qualität des Angebots überzeugt viele Eltern nicht. Diese leidet nicht zuletzt unter den schlechten Arbeitsbedingungen für Elementarpädagog:innen. 

Skandinavische Vorreiter 

Dass es besser geht, beweisen zum Beispiel die skandinavischen Länder. Dort garantiert der Staat jedem Kind einen Betreuungsplatz. In Schweden beispielsweise ab dem vollendeten ersten Lebensjahr – und innerhalb von vier Monaten. Zeitgleich ist das Angebot für alle leistbar. Abhängig vom Einkommen zahlt man für das erste Kind aktuell maximal 150 Euro, inklusive aller Mahlzeiten. Mit jedem weiteren Kind verringert sich der Beitrag. Um beiden Eltern eine Vollzeitarbeit zu ermöglichen, müssen alle Betreuungseinrichtungen während einer Kernzeit von 7 Uhr früh bis 6 Uhr abends geöffnet sein. Zahlreiche Einrichtungen dehnen ihre Öffnungszeiten über die gesetzliche Vorgabe hinaus aus, manche haben fast rund um die Uhr geöffnet. Und schließlich besticht das Angebot in Schweden auch durch seine Qualität. Bereits Kleinkinder besuchen eine „Vorschule“, inklusive Lehrpläne und Zuständigkeit durch das Bildungsministerium.  

Auch das schwedische Modell ist nicht vom Himmel gefallen. Verantwortlich für den Ausbau des Angebots waren ab den späten 1960er-Jahren einerseits der Druck der aufkommenden Frauenbewegung und ihr Ruf nach Gleichberechtigung, andererseits der damals vorherrschende Arbeitskräftemangel. Und die Investitionen machten sich schnell bezahlt. Zwischen 1970 und 1998 verzehnfachte sich die Anzahl der Kinder in Ganztagesbetreuung, immer mehr Frauen drängten auf den Arbeitsmarkt. Bis heute befinden sich in Schweden so viele Mütter in (Vollzeit-)Beschäftigung wie in kaum einem anderen EU-Land. Und das, bei einer Geburtenrate, die zu den höchsten in ganz Europa zählt.  

Betreuungsgarantie für Österreich 

Dass in Österreich nach wie vor viele Mütter zuhause bleiben, um ihre Kinder zu betreuen, liegt zu einem guten Teil am mangelhaften Angebot. Es ist höchste Zeit, dass auch in Österreich eine flächendeckende Kinderbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr garantiert wird. Ein solches Angebot muss allen Kindern offenstehen, leistbar sein und auch beiden Elternteilen eine Vollzeitarbeit ermöglichen. Um die Qualität zu steigern, müssen außerdem die Arbeitsbedingungen für Elementarpädagog:innen massiv verbessert werden. Das wären nicht zuletzt probate Mittel, um mehr Frauen in Österreich eine (Vollzeit-)Arbeit zu ermöglichen. 

Sophie Achleitner hat Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der University of South Australia studiert. Sie brennt für die Themen Bildung und Geschlechterungleichheiten und verknüpft diese mit budget- und steuerpolitischen Fragestellungen.

Titelbild: Miriam Moné / ZackZack

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4 Kommentare

  1. Über 50% der Kinder haben Migrationshintergrund und werden überwiegend im Familienverbund betreut. Für die Konservativen Parteien bedeutet das, dass die Einheimische Bevölkerung ausreichend versorgt ist, die meisten «anderen» sind eh nicht wahlberechtigt.

  2. Mittlerweile sollte ja jeder vernunftbegabte Bürger in Österreich begriffen haben, dass in puncto Kinderbetreuung Staat, Länder und Kommunen weit hinter zeitgemäßen Standards herhinken. Meiner Meinung nach passiert dies mit voller Absicht und perfider Weltanschauungspolitik. FPÖVP sind in dieser Beziehung nach wie vor irgendwo im Weltanschauungsmodell des Ständestaates, also in den Dreißigerjahren hängen geblieben, die SPÖ zeigt auch keine großen Ambitionen etwas zu unternehmen, was die NEOS als sehr (neo?)liberale Partei wollen, ist mir bislang verborgen geblieben. Vielleicht wissen sie es selbst nicht so genau. Die größte Enttäuschung sind aber leider die GRÜNEN. Seit dem Sündenfall, sich mit der ÖVP ins gemachte Koalitionsbett zu legen, haben sie sich politisch fast gänzlich abgemeldet. Nehmen jede noch so abstruse ÖVP-Idee resigniert zur Kenntnis und machen diese zu Gesetzen.
    Ein weiterer kluger Schachzug der Blockierer einer zeitgemäßen Kinderbetreuung ist die Aufteilung der Zuständigkeiten auf Bund, Land und Kommune (Föderalismus in modo Austriaco). Da kann man sich dann ganz bequem die Schuld gegenseitig zuweisen. So vergehen die Jahre und die Jahrzehnte und essentiell ändert sich wenig bis gar nichts. Warum sind wohl die Geburtenraten in Skandinavien und Frankreich deutlich höher als z.B. in Österreich, Deutschland, Italien etc? Weil man dort – in dieser Beziehung – politisch richtig und vorausschauend agiert hat. Wahlberechtigte Pensionisten zählen bei uns halt leider viel mehr als Kinder und Jugendliche. Sollte Ihnen diese Aussage als einseitig erscheinen, ich bin selbst Pensionist und weiß, wovon ich rede. Viele der weiblichen Mindestpensionen wären heute nicht notwendig, hätte die SPÖ Alleinregierung mit Frau Dohnal als Frauenministerin in den 1970er Jahren begonnen, das damals noch weit verbreitete “Frauen gehören hinter den Herd!” energischer zu bekämpfen. Für die Zukunft habe ich auch wenig Hoffnung, dass es wesentliche Verbesserungen geben wird. Der immer deutlicher werdende Rechtsruck in der politischen Landschaft wird die zeitgemäße Kinderbetreuung wohl weiterhin als “Orchideenthema” betrachten. Viel wichtiger ist es, mehr als 16 Mrd. € in neue Waffenkäufe zu stecken und die stagnierend niedrige Geburtenrate dem Hedonismus der gebärfähigen Frauen anzulasten.

  3. Und die rückständigen, reaktionären Fundis machen weiter mit Frauenfeindlichkeit und Einschränkung der Freiheit der Frauen. Seit fast 50 Jahren immer wieder die gleichen Forderungen und immer wieder die Frauen als Verliererinnen. Seit Johanna Dohnal kein Fortschritt in der Frauenpolitik. Schlechteste Bezahlung und fehlende Unterstützung der engagierten Elementar-Pädagoginnen. Wer will überhaupt noch unter diesen Bedingungen den Beruf ergreifen?
    Mit dieser reaktionären Wirtschaftspartei aus und immer noch im 19 Jhdt. wird uns in Österreich eher der Himmel auf den Kopf fallen ehe die Versklavung der Frau endet.
    Alle Frauen sollten nur 1Tag solidarisch die Arbeit niederlegen. Damit meine ich auch jegliche Kinderbetreuung, Pflege- und Altenbetreuung, Hausarbeit etc. pp.

  4. Dazu passt: In Oberösterreich feiert sich die Landesregierung als kinderfreundlichstes Bundesland. Zugleich werden die flexibleren Tagesmütter finanziell ausgehungert.

    Das zuständige ÖVP – Regierungsmitglied: eine Frau!

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