Seit 1945 kämpfte Österreich darum, eine westliche Demokratie und kein kommunistisches Land zu sein. Nun ist es auf dem Weg, sich den post-kommunistischen Ländern im Osten anzugleichen. Und das just unter dem zerstörerischen Einfluss der Konservativen und Rechten.
Ein Schulkollege von mir ging im Jahr 1987 für ein Jahr in die USA. Am ersten Tag in seiner neuen Schulklasse wurde er dort vom Lehrer den anderen Schülerinnen und Schülern vorgestellt. Der Lehrer erklärte der Klasse, aus welchem Land der neue Schüler sei und fragte ihn dann vor allen: »And now can you tell us, please: Is Austria still a Communist country?«
In Geschichte und Geographie schrieben alle bald vom neuen Schüler aus Österreich ab, denn er kannte die Entwicklung der USA besser als die einheimischen Schülerinnen und Schüler und auch die amerikanischen Bundesstaaten, deren Namen und geographische Lage den meisten kein Begriff waren. Wie konnten sie auch ein Bild von einem fernen Land wie Österreich haben, wenn ihnen schon ein anderer amerikanischer Bundesstaat unbekannt war?
Die Regeln ändern
Regelmäßig denke ich heute an diese Geschichte. Und sie befördert in mir einen Gedanken: Wie wichtig war es in Österreich einmal, sich vom Kommunismus abzugrenzen! Die Neutralität war eine Errungenschaft. Der Zusammenhalt, wenn es darum ging sich 1956 (Ungarn) oder 1968 (Tschechoslowakei) zu positionieren, war überparteilich. Es gab Anstrengungen zwischen den militärischen Blöcken zu moderieren; so zum Beispiel, als Breschnew und Carter 1979 in Wien zusammenkamen.
In wenigen Jahren aber, wird Österreich – wenn es so weitermacht – dastehen, wie ein postkommunistisches Land. Von Ungarn, Estland, Moldawien unterscheidet uns nicht mehr viel. Hinter Moldawien sind wir im Ranking der Pressefreiheit sogar schon zurückgefallen. Noch vor einem Jahr hat der Abstieg Österreichs in diesem Ranking die für Medien zuständige Ministerin dazu verlasst, zu verlautbaren, man werde sich »das Bewertungssystem genau anschauen«. Für Ministerin Raab war also klar: Wenn Österreich im Fußball schlecht ist, sind die Fußballregeln falsch. Doch auch diese Ankündigung blieb nur eine Ankündigung. Heuer ist Österreich weiter abgesackt.
Horrende Preise für schlechte Leistungen
Für zukünftige Generationen wird es so sein, wie für die US-amerikanischen Schülerinnen und Schüler der Achtzigerjahre: Ob Österreich einmal kommunistisch war, wird herzlich egal sein. Was sie sehen werden, wird ein Land sein, in dem große Betriebe an der Nadel der staatlichen Förderung hängen, es nur staatlich gelenkte Medien gibt und der Konsument ein lästiger Teil der Wirtschaft ist, der froh sein muss, dass er überhaupt etwas bekommt, und den Mund halten soll.
Wer sich heute von Bahn oder Austrian Airlines befördern lässt, erfährt das regelmäßig. Wer Hotelgast ist und miterleben muss, wie bei einer jährlichen Teuerung von fünfzig bis fünfundsiebzig Prozent die Leistung permanent sinkt, der kann sich nur wundern, dass man überhaupt horrende Preise dafür bezahlt, schlecht behandelt zu werden. Einst war die Versprechung des Kapitalismus, dass er Frieden und Freiheit bringt: Meinungsfreiheit, aber auch die Freiheit, zwischen konkurrierenden Angeboten wählen zu können, und damit Wettbewerb zu fördern und Qualität zu erhöhen. Geblieben davon ist nichts: in der Wirtschaft nicht und in der Politik nicht.
Politik ist Regulierung
Die heutige kapitalistische Politik tritt sogar gegen ihre frühere Politik an: Wo sie uns den Beitritt zur europäischen Union als wichtigsten politischen Schritt verkauft hat, ätzt und wettert eine Partei wie die Österreichische Volkspartei jetzt gegen diese Union: »Überregulierung« ortet der Kanzler in der EU. Nun, Regulierung ist geradezu die Kernaufgabe der Politik. Die Regulierung des Zusammenlebens ist Politik. Doch die ÖVP ist mehr um die Zerstörung der Union bemüht – ganz wie die FPÖ, die das ja sogar plakatiert. Eher sollte man wohl den Österreich-Wahnsinn stoppen und die Überregulierungen der blau-schwarzen Regierungen. Doch diese Widersprüche werden nicht thematisiert. Die Medienlage ist dafür nicht günstig.
Is Austria still a communist country? Es ist eine Ironie, dass die heutige Kommunistische Partei Österreichs, die sich zurzeit des Bestehens der UdSSR nicht von deren KP emanzipieren konnte, heute führend darin ist, durch Basisarbeit und soziale Interessensvertretung zu punkten. Freilich sind das bisher regionale Erfolge, doch sie verdienen Beachtung, vor allem, weil sie die auf Propaganda und Presse-Anfütterung reduzierten Wahlkampfmethoden der rechten Parteien desavouieren und zeigen, dass es auch anders geht.
Das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer. Doch es wird nicht ausreichen, um in unserem Land einen Erkenntniswandel herbeizuführen. Fast alle post-kommunistischen Staaten sind Pseudo-Demokratien – die meisten unter dem Protektorat Russlands. In Österreich hört und liest man wenig über ihre Gesellschaft und politische Struktur.
Mauern bauen
Das langersehnte Ende des Kommunismus in der UdSSR und in Osteuropa, das von Kennedy bis Reagan (»Mr. Gorbachev, tear down this wall!«) mit maximaler Propaganda befeuert wurde, brachte dem Westen, der sich nur für die Rohstoffe aus den ex-kommunistischen Ländern interessierte, kein mehr an Demokratie. Heute werden große Mauern und Zäune geplant: in den USA und in Österreich. Und so gut sich die USA stets gegen Angriffe von außen verteidigen konnten, so wehrlos wirken sie nun, gegen Angriffe auf ihre Demokratie von innen.
Wo und was Österreich ist, weiß in den USA auch bis heute kaum jemand. Wir aber wissen es: Österreich ist ein Land, das absinkt und abstinkt: in Demokratie, Pressefreiheit, Wirtschaft, Außen- und Friedenspolitik. Im Zusammenhalt. In politischer und gesellschaftlicher Vision.
Sich wehren
Mitverantwortlich dafür ist, dass zu wenige in Österreich aufstehen und sich gegen das aussprechen, was in den letzten sieben bis acht Jahren in Österreich passiert: Demokratie, Parlamentarismus, Justiz und Medien werden angegriffen. Ihre Freiheit wird angegriffen. Dagegen muss man sich deutlich wehren. Das muss man ansprechen, auch wenn es schmerzhaft ist.
Und man muss sich auch gegen verlogene Lobhudelei wehren, wie sie jetzt wieder angesichts des angekündigten Rückzugs Wolfgang Sobotkas aus der Politik ausgebrochen ist. Sobotka hat seine demokratiefeindliche Haltung selbst zum Ausdruck gebracht. Als Erster Parlamentspräsident ist er eine Schande. Jeder seiner Tage in diesem Amt ist eine Beschädigung für Österreichs Demokratie. Das ändert sich auch nicht, wenn er ankündigt, nicht mehr bei den Nationalratswahlen zu kandidieren.
Titelbild: Miriam Moné