Die Staatsanwaltschaft klagt mich wegen meines Einsatzes für einen Schubhäftling an – doch sie hat nicht einmal versucht, seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen und ihn zu befragen. Ich habe gestern früh mit ihm gesprochen und ihn heute für ZackZack interviewt.
Ahmad N. kann sich noch gut an mich erinnern: „Hallo, ja, ich weiß noch, wie Sie mich damals in der Schubhaft besucht haben. Ich bin jetzt in Augsburg, arbeite als Fachinformatiker und bin froh, dass ich es geschafft habe.“
Am Freitag wird mir die Staatsanwältin drei Straftaten vorwerfen. Die dritte betrifft die Abschiebung von Ahmad N. in den fast sicheren Tod und meinen Vorwurf des „amtlichen Mordversuchs“ an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).
Kurzer Prozess
Ahmad N. war 2015 mit seinem Bruder Milad aus Afghanistan geflüchtet. Der Bruder konvertierte zum Christentum und durfte in Österreich bleiben. Ahmad N. stellte am 5. Februar 2018 einen Aufenthaltsantrag. Er hatte einiges vorzuweisen: seinen erfolgreichen Schulbesuch an der HTL für Energietechnik/Umwelt/Nachhaltigkeit in Wiener Neustadt bis ins laufende Abschlusssemester; seine Deutsch-Zertifikate A1, B1 und B2; seine ehrenamtliche Tätigkeit für die Caritas in Wiener Neustadt; und seine neue Arbeit, die er bereits in Aussicht hatte.
Bei der „Anhörung“ zur Erteilung eines Aufenthaltstitel beim BFA St. Pölten erschien die Fremdenpolizei, machte mit ihm kurzen Prozess, nahm ihn fest und steckte ihn im polizeilichen Anhaltezentrum PAZ am Hernalser Gürtel in Wien in Schubhaft.
„Schubhaft rechtswidrig“
Dann geschah etwas Außergewöhnliches: Am 23. April 2018 gab das Bundesverwaltungsgericht Ahmed recht: „Der Beschwerde wird stattgegeben, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft seit 06.04.2018 für rechtswidrig erklärt.“
Aber die Fremdenpolizisten dachten nicht daran, dem Gericht Folge zu leisten. Nur zwei Tage nach der Entscheidung des Gerichts, die Schubhaft aufzuheben, wurde Ahmad N. aus seiner Zelle geholt, in ein Flugzeug gesetzt und in Begleitung von drei Polizisten über die Türkei nach Kabul abgeschoben.
Während sich Ahmad N. in Kabul versteckte, hielt Rechtsanwalt Christian Schmaus in einer Stellungnahme an das BFA am 9. August 2018 fest: „Da der Antragsteller seinen Bruder aufgrund dessen Konversion zum Christentum und damit einhergehenden Abfall vom Islam (Apostasie) nicht ermordete – wie aber von deren Familie verlangt worden war –, fürchtet er nun ebenfalls von dieser als „Ungläubiger“ bzw. als vermeintlich zum Christentum konvertiert wahrgenommen zu werden und entsprechenden Verfolgungshandlung ausgesetzt zu sein.“
Heute früh habe ich mit Ahmad N. in Augsburg telefonisch ein Interview geführt.
ZackZack: Ihr Bruder hat im Dezember 2017 nach seinem Übertritt zum Christentum eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wie ist es Ihnen dann ergangen?
Ahmad N: Ich habe kurz nach meinem Bruder im Februar 2018 einen Antrag auf Aufenthalt gestellt und bin zur Anhörung nach St. Pölten gefahren. Ich wollte humanitäres Bleiberecht.
ZackZack: Wie verlief im April 2018 die Befragung im Asylverfahren im BFA St. Pölten?
Ahmad N: Die Beamten haben das Gespräch geführt und gleich selbst die Antworten gegeben. Ich habe gesagt, ich kann deutsch, aber die haben das ignoriert. Ich war in meiner Schule erfolgreich, habe ehrenamtlich gearbeitet und bereits einen Job in Aussicht gehabt. Aber das hat niemanden interessiert. Dann sind die Polizisten gekommen und haben mich mitgenommen.
ZackZack: Wie ist die Abschiebung verlaufen?
Ahmad N: Drei Polizisten haben mich in ein Flugzeug gesetzt und sind mit mir in die Türkei geflogen. Dort sind noch einige Personen an Bord gekommen. In Kabul hat dann eine schlimme Zeit begonnen. Ich habe mich zuerst in einem Hotel und dann in einer Wohnung versteckt.
Meine Familie durfte nicht wissen, dass ich da war. Das waren alle radikale Islamisten, einige waren bei der Polizei oder beim Militär. Die hätte mich sofort ausgeliefert.
ZackZack: Was hätte Ihnen gedroht?
Ahmad N: Steinigen, köpfen, im besten Fall Gefängnis. Ich habe mir dann eine SIM-Karte besorgt. Plötzlich war ein Cousin im Geschäft. Er hat mich nicht gleich gesehen. Aber der Verkäufer hat meinen Namen gerufen, da bin ich schnell weg.
In der Wohnung, in der ich mich zum Schluss versteckt habe, hat man mich gefragt, warum ich nicht zum Freitagsgebet in die Moschee gehe. Ich habe gesagt, ich bin krank. Aber warum ich dann im Ramadan am Zimmer rauche, haben sie gefragt. Ich war in den vier Monaten und zwei Wochen ständig unter Beobachtung und in Gefahr.
ZackZack: Wie sind Sie da herausgekommen?
Ahmad N: Ich habe Ibrahim kennengelernt und wir haben es mithilfe von Freunden nach Raipur in Indien geschafft. Dort habe ich meine erste Ausbildung als „Business Administrator“ erhalten. Dann haben mir Freunde in Deutschland und Österreich geholfen, dass ich ein Visum für eine Ausbildung in Deutschland erhalte. So bin ich nach Augsburg gekommen.
ZackZack: Wie ist es dort weitergegangen?
Ahmad N: Nach zwei Jahren Ausbildung arbeite ich jetzt seit einem Jahr als Fachinformatiker für eine Gruppe von Optiker-Fachgeschäften. Ich habe eine unbefristete Arbeitserlaubnis und eine Aufenthaltserlaubnis für vier Jahre. Ich bin froh, dass ich da bin, arbeiten und leben kann.
ZackZack: Sie wissen, dass mich eine Staatsanwältin wegen meiner Kritik am BFA anklagt.
Ahmad N: Wenn ich hier zur Aufklärung beitragen kann, bin ich gerne bereit, als Zeuge nach Wien zu kommen.
Titelbild: pixabay/Mohamed_hassan, ZackZack,