Joe Biden ist amtsunfähig. Zumindest in Österreich gibt es kaum jemanden, der diesem Befund widerspricht. Karl Nehammer ist nicht amtsfähig. Davon ist hierzulande kein Wort zu lesen.
Bidens Amtsunfähigkeit betrifft die öffentliche Erscheinung. Ein Präsident, der von Wirtschaft bis Umwelt auf mehr Erfolge als die meisten seiner Vorgänger blicken kann, scheint jetzt zu alt zu sein.
Nehammers Amtsunfähigkeit hat nichts mit seinem Alter zu tun. 2019, als er das Innenministerium übernahm, war ihm schon dieses Amt zu viel. 2021, als er Bundeskanzler wurde, verschlimmerte sich der Zustand.
Joe Biden steht mit einer beeindruckenden sachlichen Bilanz stammelnd vor den Kameras. Nehammer blamiert sich mit leeren Händen. Biden ist zu alt. Nehammer ist zu dumm.
Biden konnte Präsident werden, weil er weit hinter seinem persönlichen Zenit immer noch beeindruckend war. Jetzt scheint er nicht mehr zu können. Nehammer war von Anfang an für jedes Amt ungeeignet. Er hat es nie gekonnt.
Viele erwarten von Biden, dass er weiß, was er zu tun hat. Von Nehammer erwartet das niemand. Das hat mehrere Gründe.
Grund 1: das Kabinett der Dodeln
Sebastian Kurz wusste auch beim Personal, was er tat. Er kannte die Regel autoritärer Regenten: Hol dir die Besten in einen kleinen, persönlich loyalen Kreis. Mit denen kämpfst du um die Macht und gegen die, die sie dir wieder wegnehmen wollen.
In die Regierung holst du die Minderbegabten, weil die am Arbeitsmarkt nur dich haben. Wenn jemand etwas kann, kann er sich auch gegen dich stellen, weil nicht nur bei dir ein Weg nach oben führt. Wenn jemand nichts kann, verdankt er nichts sich selbst und alles dir.
Bei der Auswahl seines Personals hat sich Sebastian Kurz eisern an diese Regel gehalten. Für Margarete Schramböck, Alexander Schallenberg, Klaudia Tanner, Christine Aschbacher, Susanne Raab und Karl Nehammer waren seine Regierungen geschützte Werkstätten.
Grund 2: Vermögenssteuern und SNU
Das alles ist mit freiem Auge gut sichtbar. Doch warum schreiben österreichische Journalisten neben Biden nicht auch Nehammer ab?
Mit wenigen Ausnahmen ist der Wiener Boulevard ein Strich. Kürzlich, als die Kronen Zeitung mit einem Fake-Artikel über eine ungeprüfte „Anzeige“ eines stadtbekannten Obskuranten ihr ÖVP-Geschäft bei Alma Zadic erledigte, landete das eine halbseitige BMI-Inserat in der Zeitung und das zweite in ihrer bunten Sonntagsbeilage.
Herausgeberinnen wie Eva Dichand scheinen nur noch zwei Fragen zu bewegen: Wer schützt mich vor Vermögenssteuern? Und wer hat von der WKStA genauso viel wie ich zu befürchten? So kommt man am Boulevard auf den Nehammer und neuerdings auf den Kickl.
Grund 3: Ostblock
Doch warum hat die ÖVP Sebastian Kurz durch keinen Besseren ersetzt? Es stimmt, die Personaldecke war schon 2021 völlig durchgewetzt. Claudia Plakolm galt als neuer Stern, Gerhard Karner konnte fehlerfrei „Dollfuß“ schreiben und Wolfgang Sobotka trauten sich die Mutigsten in der Partei nicht vorzuschlagen.
Der Grund findet sich in der politischen Sicherheitslage. Mit dem Russland-Loch und dem drohenden Ausschluss vom Dollarmarkt steht Raiffeisen am Abgrund; Strafverfahren der WKStA bedrohen inzwischen die ÖVP als Beschuldigte selbst; enge Verbündete wie René Benko sind drauf und dran, einige und einiges mitzureißen.
Dauerhafte Sicherheit für ÖVP, FPÖ und ihre Geschäftspartner gibt es erst dort, wohin es Viktor Orbán schon vor Jahren geschafft hat. Wenn Nehammer seine Boxerhände im Dreibundschwur auf die von Orbán und Serbiens Vucic legt, ist das gerade noch eine Spur verschämter als der offene Bund, den Kickl gerade mit Orbán geschlossen hat.
Was sich da zusammenbraut, habe ich in meinem neuen Buch „Ostblock“ beschrieben. Man muss nur die Programme lesen und die Absichten kennen, dann weiß man: Eine freiheitliche Staatspartei kandidiert unter dem Namen „ÖVP“ als Kopie, eine freiheitliche Straßenpartei als Original unter „FPÖ“. Bis zum Wahlabend werden zur Verwirrung des Publikums die Fetzen fliegen, dann ist die gemeinsame Bahn wie in St. Pölten und Salzburg frei.
Grund 4: V-Partei
Seit Kurz ist nicht mehr klar, wofür das „V“ im Parteinamen der ÖVP steht. Es gibt Vermutungen, von „Verbrenner“ bis zu anderen „Ver“-Worten. „Volk“ kann es nicht mehr sein, denn von Vermögenssteuern bis Renaturierung steht die ÖVP felsenfest gegen die große Mehrheit des Volkes.
Alma Zadic ist schon durch ihr Nichtstun zu einer großen Gefahr für die V-Partei geworden. Sie hat die Verfahren der WKStA nicht unterstützt, aber auch nicht wunschgemäß „daschlogn“.
Die Rettung der V-Partei liegt in der Übernahme des Justizministeriums. Wenn sich zur verlässlichen türkisen Kriminalpolizei eine verlässliche Strafjustiz gesellt, kann man endlich wieder statt der Täter die Aufdecker verfolgen.
Freie Bahn
Jetzt, am Beginn des Wahlkampfes, bekommen wir als Vorspeise den Vorgeschmack. Wöchentlich treffen neue Klagen in der Redaktion von ZackZack ein. Am Freitag musste ich mich erstmals als Angeklagter den Fragen einer Staatsanwältin, die nicht genau wusste, was sie tat, stellen. Nächste Woche, wenn die Pilnacek-Kommission der Justizministerin ihren Bericht vorlegt, wird wohl deren Leiter Martin Kreutner drankommen.
Die Fäden führen in den türkisen Schattenstaat: zur Oberstaatsanwaltschaft Wien, ins Innenministerium und ins türkise Bundeskriminalamt; und in die Fleischmann-Zentrale, die Nehammer von Kurz übernommen hat.
Diese Fäden verfolgen wir, auch, damit aus der Amtsunfähigkeit ein Amtsende wird.
Das Buch zum Sonntag gibt´s im ZackZack-Shop! Mit Widmung von mir, wenn gewünscht.
p.s. um 11.00 Uhr: Weil ich das auch loswerden will: Das gibt es nur im Fussball, dass man sein Land oft mehrmals binnen weniger Wochen wechselt. Die EM habe ich als Österreicher begonnen, war aus Gewohnheit ganz kurz in Italien und bin jetzt Spanier. Olé!