Samstag, November 2, 2024

Die Sündenbock-Parade der blauen Stunde

Einiges wandelt sich von Mal zu Mal, wenn das blaue Gespenst der Unfreiheit wiederkehrt: unter Haider noch moderater, unter Strache schon radikalisierter, unter Kickl mit den rechtsextremen Identitären verschmelzend. Wer hier keine Linie zwischen Rechtsextremismus und der Demokratie zieht, zieht gar keine Linie mehr.

Elfriede Jelinek hat für eine Demonstration gegen Rechtsextreme geschrieben, sie höre ein Ungeheuer atmen. Ich kann es mittlerweile siegessicher röhren hören. Der Atem ist ein abgestandener, ewiggestriger, er riecht nach Verfall.

Es gibt willige Helferinnen und Helfer, die die blaue Agenda weiter und weiter pushen. Manche aus Eigennutz. Andere aus Gier. Manche, weil sie davon überzeugt sind, überzeugt sind von dem Rausch, Menschen in erste, zweite und dritte Klasse einzuteilen. Berauscht von der Erniedrigung anderer, denn wenn man Sündenböcke hat, muss man sich weder den Fakten stellen noch sich selbst oder die Situation verändern. 

Wer blaue Politik wählt, wählt die Spaltung. Wer blaue Politik wählt, wählt eine gescheiterte Politik. Die Freiheitliche Partei hatte nun unzählige Gelegenheiten, zu beweisen, dass sie auch langfristig  konstruktive Politik kann. Aber diese Gelegenheiten sind verstrichen. Wer blaue Politik wählt, wählt Menschen, die in Liederbüchern nach mehr Gas verlangen. Wer blaue Politik wählt, wählt Menschen, die einen Vertrag mit Wladimir Putin unterzeichnet haben. Wer also Putins Kolonne in Österreich verstärken will, der wählt blau. Wer Österreich damit in den Grundfesten untergraben will, auch. Warum ausgerechnet so etwas als patriotisch bezeichnet wird, erschließt sich nicht. Es ist eine Farce. Aber so vieles an Blau ist eine Farce. Man hat sich viel von Putin abgeschaut: Wer blaue Politik wählt, der unterstützt aktiv Behinderung der Pressefreiheit. Wer blaue Politik wählt, wählt Autokratie. Wer Kickl wählt, wählt die Untergrabung der Justiz. Es ist zu vieles bekannt, recherchiert, dokumentiert. Man muss es nur sehen und lesen wollen.

Wo die Freiheitlichen regieren, wird das Leben rauer. Für alle, die keine Parteigünstlinge sind. Für alle, die nicht blau wählen, sowieso. Absurderweise aber auch für sehr viele, die blau wählen und sich davon etwas versprechen. Gekürzt wird auch bei ihnen. Gekürzt wird bei Sozialem, bei Frauen, bei den Arbeitslosen. Der raue Wind, der ihnen nun ins Gesicht schlägt, sei verursacht von den anderen, wird die blaue Politik dazu sagen. Die anderen: Journalistinnen und Journalisten, Menschen, die geflüchtet sind, Menschen deren Wurzeln in anderen Ländern liegen, jüdische Menschen, ja, auch jüdische Menschen! Der Sündenbock hat so viele Gesichter, dass Janus neidisch werden könnte.

Aber einiges wandelt sich von Mal zu Mal, wenn das blaue Gespenst der Unfreiheit wiederkehrt: unter Haider noch moderater, unter Strache schon radikalisierter, unter Kickl mit den rechtsextremen Identitären verschmelzend. Wer hier keine Linie zwischen Rechtsextremismus und der Demokratie zieht, zieht gar keine Linie mehr.

Wir müssen nicht darauf warten, um zu erfahren, wie diese neue wiedergekehrte blaue Politik dieses Mal aussehen wird. Wir wissen es bereits. Sie sieht immer gleich aus und sie endet immer gleich. Es ist faszinierend, dass ausgerechnet die, die sich freiheitlich nennen, die größte Unfreiheit bringen. Es hat etwas von 1984. Das Ministerium der Liebe. Die Partei der Freiheit. Die Rechte der Frauen. Nein. Eher die Rechten der Frauen, die sie großflächig am liebsten hinter dem Herd sehen würden. Nicht ganz unähnlich den radikaleren Muslimen, auch diese wollen die Frauen auch am liebsten zu Hause sehen. Was immer es ist, was die FPÖ verspricht- es ist das Gegenteil davon. Auch wenn Herbert Kickl sich landauf und landab in geschönter Version mit dem George-Clooney-Filter drüber plakatieren lässt, um Frauen zu becircen: Glaubt ihm nicht. Das Hirn sollte nein sagen, Anbetracht all der bekannten Fakten zu dieser Partei.

Und, ganz besonders schmerzlich ist die Erkenntnis: Wer mit der FPÖ koaliert, der nimmt das alles in Kauf. Der ebnet dem allem den Weg. Jede- ausnahmslos jede- Partei, die sich als demokratische Partei definiert und wahrnimmt, darf hier keine Steigbügelhalterin sein. Denn jede dieser Parteien sollte das Ungeheuer wenigstens atmen hören. Das Duell von Kanzler Nehammer und Herbert Kickl deutet nicht darauf hin, dass der Kanzler sich als Vertreter des Cordon Sanitaire wahrnimmt. Das, was da geboten wurde, war ein Probepaarlauf. Im Unterschied zum destruktiven Gebrüll, den der Noch-Kanzler seinem Mitbewerber Andreas Babler zugedacht hatte. Das Ungeheuer ist zufrieden. Bald darf es frische Morgenluft wittern, wenn die Zahlen stimmen.  Es gibt noch ein paar Tage Zeit, es sich zu überlegen, was man wählen und was man stärken will.  Noch ist alles möglich. Ab dem 29.9. heißt es dann rien ne va plus. Wählt um euer Leben.

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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