Der Fall Sonja Sagmeister wurde am Mittwoch und Donnerstag am Arbeitsgericht verhandelt. Die ehemalige ORF-Journalistin hatte den Rundfunk verklagt, weil sie nach einer – laut eigenen Darstellung – verweigerten politischen Intervention zu Unrecht versetzt und schließlich gekündigt wurde. Im Gespräch mit ZackZack zeichnet sie ein katastrophales Bild des ORF.
Am Mittwoch und Donnerstag wird am Arbeits- und Sozialgericht in der Causa Sonja Sagmeister verhandelt. Die ehemalige ORF-Journalistin hatte den ORF geklagt, weil sie eine nachteilige Behandlung nach einem kritischen Interview mit Wirtschaftsminister Kocher vermutete. Laut Darstellung Sagmeisters wurde sie nach einem Interventionsversuch der Ressortleiterin-Wirtschaft im ORF, den sie ignorierte, zunächst versetzt und dann gekündigt. In der Klageschrift, die ZackZack vorliegt heißt es: „Zusammengefasst wehrte sich die Klägerin gegen unzulässige politische Intervention im ORF betreffend ihre journalistische Tätigkeit. Als Konsequenz wurde sie im Februar 2023 (nach noch zu erläuternden weiteren Schikanen) versetzt.“ Im September 2023 wurde Sagmeister vom ORF gekündigt. In der Klage verlangt sie ihre Wiedereinstellung in der Wirtschaftsredaktion.
ORF-Ressort mit heißem Draht ins Wirtschaftsministerium
Im Oktober 2022 sollte die erfahrene ORF-Journalistin Sonja Sagmeister im Wirtschaftsministerium ein Interview mit Wirtschaftsminister Martin Kocher führen. Doch dann passierte etwas, das Sagmeister in ihrer langen Zeit als Journalistin noch nicht erlebt hatte.
Die Pressesprecherin des Ministers klärte die Journalistin vor dem Interview über die mit der ORF-Ressortleitung scheinbar abgesprochenen Themen auf: „Wissens eh – wie ausgemacht: Arbeitsmarkt und Budget.“ Auch den Sendeplatz wusste die Pressesprecherin von Minister Kocher an diesem Freitag im Oktober schon: „Sonntag ZIB 1“.
Doch Sagmeister hielt sich nicht an das bestellte Skript. Mit dem Hinweis „Wir sind hier nicht in Nordkorea“ stellte sie Kocher kritische Fragen zur grassierenden Teuerung, wegen der viele Menschen in finanzielle Engpässe geraten waren. Damals ahnte die Journalistin noch nicht, dass dieses kritische Interview ihr Ende als angesehene ORF-Journalistin einläuten sollte.
Am Abstellgleis
Noch am selben Tag musste Sagmeister ihre Vorgesetzte, die damalige Leiterin des Wirtschaftsressorts im ORF, Barbara Battisti, anrufen. Diese sprach laut Sagmeister von „Roten Linien“, die überschritten worden seien. Sagmeister erklärte ihr, mit bestellten Interviews nichts zu tun haben zu wollen: „Ich distanziere mich von dieser Art des Journalismus.“
Sagmeister schrieb ein internes Mail an ORF-Mitarbeiter, in der sie Interventionsversuche anprangerte und die Bedeutung der kritischen Arbeit von Journalisten unterstrich.
Danach ging alles Schlag auf Schlag. Mitte Dezember 2022 stand Sagmeister ohne Dienstplan für Jänner da. Sie sollte laufend ins ORF-Intranet schauen „ob sie gebraucht werde“. Die Journalistin vermutete einen Zusammenhang zwischen Kocher-Interview und dem fehlenden Dienstplan. Die Intervention Battistis wollte sie in einer internen Sitzung im Jänner 2023 zur Sprache bringen, bei der eine Vertreterin von „Reporter ohne Grenzen“ als Vertrauensperson anwesend war.
Die Sitzung, von der ZackZack ein Gedächtnisprotokoll von „Reporter ohne Grenzen“ vorliegt, endete ergebnislos.
Demnach warf Battisti Sagmeister nach dem Kocher-Interview „Vertrauensbruch“ vor. Besorgt zeigte sie sich laut Bericht weniger über die Unabhängigkeit des Journalismus im ORF, sondern darüber, wie sich Journalistinnen ihres Ressorts gegenüber Ministern verhalten. Dem Gedächtnisprotokoll zufolge sei sie mehr um das Außenbild, das der ORF bei Ministerien abgebe, besorgt gewesen, als um die journalistische Freiheit.
Dass Sagmeister ihre Fragen nach dem Redakteursstatut frei stellen könnte, bejahten die meisten Anwesenden und wollten keinen Zusammenhang zwischen dem Kocher-Interview und dem fehlenden Dienstplan sehen. Aus dem Gedächtnisprotokoll der Sitzung geht jedoch hervor, dass für Battisti eine reguläre Eintragung Sagmeisters in den Dienstplan fraglich gewesen sei.
Barbara Battisti wollte sich persönlich gegenüber ZackZack nicht zu den Vorwürfen äußern. Sie verwies in einer Anfrage auf die Pressestelle des ORF.
Im Jänner gingen laut Darstellung von Sagmeister Beiträge von ihr nicht mehr auf Sendung. Im Februar folgte die plötzliche Versetzung zu den Nachrufen. Vorschläge zu Recherchen rund um Russland-Sanktionen wurden abgelehnt. Im Juli klagte die Journalistin beim Arbeits- und Sozialgericht gegen die Versetzung und verlangte, wieder als Wirtschaftsjournalistin arbeiten zu können.
Im September 2023 unterschrieb Roland Weißmann als Generaldirektor – zunächst ohne nähere Begründung – den Kündigungsbrief. Die Kündigungsfrist betrug ein Jahr. Am 30. September 2024 wurde die Kündigung wirksam.
Weißmann, Ethikrat und Personalabteilung
Im Gespräch mit ZackZack zeichnet Sagmeister das Bild eines ORF, der „mehr als jedes andere große Medium in Richtung Ungarn unterwegs ist“ und zunehmend „Gefalljournalismus“ mache. Grund dafür sei das Zusammenspiel zwischen Generaldirektor Roland Weißmann, dem Ethikrat des ORF und dem stärker werdenden Einfluss der Personalabteilung in den Redaktionen.
Seit der Umstrukturierung der Organisationsstruktur im Jahr 2022 ist der ORF-Newsroom dem Generaldirektor direkt unterstellt. Dieser übt mittels „ethischer Untersuchungen“ durch die Personalabteilung Druck auf Journalisten aus, so Sagmeister. Ihr wird plötzlich vorgeworfen, ehrenamtliche Engagements und private Besitzverhältnisse nicht offengelegt zu haben. Als „Verhörsituation“ bezeichnet die Wirtschaftsjournalistin die Sitzungen im Personalbüro. „Sobald du aufstehst und sagst „Ich mach da nicht mit“ taucht plötzlich ein Personalchef auf“, beschreibt Sagmeister die Situation beim ORF.
Der Österreichische Journalistenclub (ÖJC) gab auf seiner Website folgendes Statement ab: „Sagmeister sieht sich als Opfer politischer Einflussnahme im ORF und verweist auf das ORF-Redakteursstatut, das die Unabhängigkeit des Journalismus im Österreichischen Rundfunk klar und deutlich schützt. Der ÖJC schließt sich dieser Auffassung voll inhaltlich an und wartet weiter auf eine Stellungnahme des ORF.“
Zeit im Bild-Moderator Armin Wolf beschwichtigt auf X hingegen: „Wäre es tatsächlich so wie hier beschrieben, würden Redaktionsrat, Betriebsrat und viele Kolleg.innen – auch ich – seit Monaten auf den Barrikaden stehen. Wie Sie in unzähligen Stellungnahmen des Redaktionsrates sehen können, reagiert er extrem sensibel auf polit. Interventionen.“
[Der folgende Absatz wurde am 11.10. um 13:39 abgeändert:]
Sagmeister sieht das anders. Im ORF wollte nach Darstellung Sagmeisters außer einer Redakteursrätin niemand offen für Sagmeister Partei ergreifen. Der eigentlich zuständige Redakteursrat wies darauf hin, dass Sagmeister bei Kocher alle Fragen gestellt hatte, die sie stellen wollte. Außerdem sei das Kocher-Interview Sagmeisters auf Sendung gegangen. Die scheinbar vorab festgelegte Absprache auf die thematische Eingrenzung des Interviews zwischen der Ressortleiterin und der Pressesprecherin Kochers thematisierte er nicht.
Der Betriebsrat wollte keinen offenen Konflikt mit der Führungsriege riskieren, gab Sagmeister gegenüber ZackZack an.
Nebentätigkeit als Kündigungsgrund
Der Rundfunk gibt als Grund für die Kündigung später „nicht genehmigte Nebentätigkeiten“ Sagmeisters an. Sagmeisters Anwalt Alois Obereder kontert am Mittwoch vor Gericht laut Standard mit tolerierten Nebentätigkeiten, „Verstrickungen“ und „Befangenheiten“ anderer ORF-Mitarbeiter, wie etwa dem ehemaligen Chefredakteur des ORF-Niederösterreich, Robert Ziegler.
Bei Ziegler, der laut dem Medium Dossier Journalisten massiv unter Druck gesetzt hatte und zugunsten der ÖVP interveniert hatte, gab es hingegen keine ernsthaften Konsequenzen, beklagt Sagmeister. Ziegler arbeitet immer noch im ORF.
Eine andere Person, die beim ORF tätig war und lieber anonym bleiben will, bestätigt Sagmeisters Schilderungen weitgehend. „Es war nicht mehr möglich, dass nach journalistischen Standards gearbeitet wird“, wird ZackZack auf Anfrage mitgeteilt. „Ich war bei keiner Partei dabei, damit konnte ich nichts erreichen. Es ist im ORF aber alles möglich, wenn man die richtigen Leute kennt.“ Auch den gestiegenen Einfluss der Generaldirektion auf die Arbeit der Redakteure bestätigt die anonymisierte Quelle. Die Stimmung in den Redaktionen sei angespannt.
„Nicht vereinbare“ Verfehlungen
ORF-Pressesprecher Martin Biedermann nimmt zur Kündigung Sagmeisters gegenüber ZackZack Stellung: „Im Ergebnis wurde festgestellt, dass die Vorwürfe von Frau Sagmeister unzutreffend sind und es zu keiner Einflussnahme auf die journalistische Tätigkeit von Frau Sagmeister gekommen ist. Der Grund für die Kündigung waren mehrere Verfehlungen von Frau Sagmeister, welche mit ihrer dienstlichen Stellung als Journalistin des ORF nicht vereinbar waren. Die erhobenen Vorwürfe stehen hingegen in keinem Zusammenhang mit der Kündigung.“
Der erste Verhandlungstag am Arbeitsgericht lieferte unterdessen wenig Ergebnisse. Sagmeisters Anwalt führte laut Standard an, dass die Journalistin „wahnsinnig gern wieder als Journalistin im ORF tätig sein“ will. Der Anwalt des ORF, Rupert Schrammel, verlautbarte jedoch, dass eine „Weiterbeschäftigung ausgeschlossen“ sei.
Am Donnerstag waren unter anderem ORF-Vizechefredakteurin Eva Karabeg und Personalchef Werner Dujmovits geladen. Karabeg sorgte beim Richter Andreas Freundorfer für genervte Nachfragen, nachdem sie Fragen zur Versetzung in das Themengebiet der Nachrufe nur ausweichend beantwortete.
Titelbild: EVA MANHART / APA / picturedesk.com