Der neue Ethikrat des ORF überprüft, ob Mitarbeiter des ORF den Ethik- und Verhaltenskodex des Rundfunks einhalten. Dabei spielen vor allem die Nebentätigkeiten von ORF-Angestellten eine Rolle, bei denen bis vor Kurzem noch überraschende Toleranz herrschte.
„Maßgeblich bei sämtlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit und Vereinbarkeit von Nebenbeschäftigungen ist der Eindruck, der in der öffentlichen Wahrnehmung entsteht. Es ist daher von Nebenbeschäftigungen Abstand zu nehmen, die geeignet sind, die Objektivität, Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des ORF und der betroffenen Mitarbeitenden, auch nur dem Anschein nach, zu gefährden“, so steht es im Juni 2024 in Kraft gesetzten Ethikkodex des ORF, der online abrufbar ist.
Die neuen Regeln sind dringend notwendig. So moderierte etwa Vera Russwurm Anfang 2023 den Wahlkampfauftakt der ÖVP Niederösterreich. Sie produziert als externe Zulieferin die Sendung „Vera“, die im ORF ausgestrahlt wird. Der ORF erklärte sich für nicht zuständig, da Russwurm nicht beim ORF angestellt ist. Programmgestaltend ist sie hingegen schon.
ORF-ZIB-Moderatorin Nadja Bernhard moderierte im November 2023 die Generalversammlung von Interpol, die vom Bundeskriminalamt organisiert wurde. Dieses ist dem Innenministerium unterstellt. Auf der Konferenz sprachen Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Karner (beide ÖVP). Die Nebentätigkeit war von den zuständigen ORF-Gremien genehmigt worden.
Der folgende Absatz wurde am 18.10.2024 um 12:26 um das Honorar Battistis ergänzt.
Auch Barbara Battisti, die damalige Chefredakteurin des ORF-Wirtschaftsressorts und zuletzt mit dem Fall Sagmeister in Verbindung gebracht, wurde im Mai 2022 für das Event „Finanz im Dialog“ im Finanzministerium als Moderatorin gebucht. Die Dialogreihe wurde von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ins Leben gerufen. Zu Gast war etwa auch der Chef des neoliberalen Think Tanks „Agenda Austria“, Franz Schellhorn. Battisti erhielt für die Moderation 3.000 €, wie aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung hervorgeht.
Barbara Battisti beantwortete eine ZackZack-Anfrage zu ihrer Nebentätigkeit nicht.
Wegen Nebentätigkeit gekündigt
Im Fall Sonja Sagmeister, der gekündigten ORF-Wirtschaftsjournalistin – ZackZack berichtete, argumentiert der ORF anders. Ihre Nebentätigkeit, ein Projekt namens Amabo in Kamerun, sei nicht mit ihrer journalistischen Tätigkeit vereinbar. Grund soll eine Firmenbeteiligung des österreichischen Unternehmers Hans Peter Haselsteiner sein. Dieser stieg im Jahr 2018 über die Firma ZMH GmbH mit einem geringen Geschäftsanteil in Sagmeisters Amabo ein. Amabo produziert Hausdächer für tropische Regionen und versteht sich als Entwicklungshilfeunternehmen, das die lokale Wirtschaft stärken soll. Ein Blick ins Firmenbuch zeigt, dass das Projekt keine Gewinne abwirft.
Gegenüber ZackZack gab der ORF an, Grund für die Kündigung Sagmeisters seien „mehrere Verfehlungen von Frau Sagmeister, welche mit ihrer dienstlichen Stellung als Journalistin des ORF nicht vereinbar waren.“ Das laut Sagmeister von Battisti bestellte Interview im Wirtschaftsministerium und ihre Weigerung dieses entsprechend durchzuführen, soll dem ORF zufolge bei der Kündigung keine Rolle gespielt haben. Sagmeister sieht das anders.
Ethikrat entscheidet
Die ethischen Richtlinien des ORF wurden von einer Ethikkommission erarbeitet, die von Generaldirektor Roland Weißmann nominiert wurde. Dabei wurde ein verstärktes Augenmerk auf Nebentätigkeiten von ORF-Direktoren, Moderatoren und Journalistinnen gelegt.
Für die Einhaltung des Verhaltenskodex, der dem Ethikkodex stark ähnelt, ist der ORF-interne Ethikrat zuständig. Dieser setzt sich aus je zwei Mitgliedern der Generaldirektion und des Redakteursrates zusammen. Sagmeister wirft dem Ethikrat im Gespräch mit ZackZack Willkür vor.
Seit Inkrafttreten der neuen Richtlinien im Juni 2024 gab es noch keine aufsehenerregenden Nebentätigkeiten von ORF-Mitarbeitern. Es wird sich zeigen, ob der neue Ethikkodex zu einer klareren Linie führt, als das alte Regularium. Sollte etwa erneut jemand im Finanzministerium ein Event moderieren, könnte das „Objektivität, Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des ORF und der betroffenen Mitarbeitenden“ dem Anschein nach gefährden.
Die Pressestelle des ORF wollte sich zum Thema Nebentätigkeiten im Rundfunk gegenüber ZackZack nicht äußern und verwies auf ein älteres Statement.
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