Normalerweise freut man sich, wenn man in fast allen Anklagepunkten freigesprochen wird. Nach dem heutigen Urteil sehe ich keinen Grund zur Freude. Es wird ernst für Pressefreiheit und parlamentarische Kontrolle.
Damit es kein Missverständnis gibt: Gerald Wagner ist ein erfahrener, unabhängiger Richter. Er hat mich heute in drei Punkten freigesprochen. Im vierten hat er mich verurteilt. Es war ein Fehlurteil mit Folgen.
Seit Monaten hat die ÖVP einen Plan. In seinem Mittelpunkt steht der § 301 des Strafgesetzbuches: die verbotene Veröffentlichung. Die ÖVP will, dass der § 301 ein Maulkorb für das Parlament wird. Ich bin heute verurteilt worden, weil ich den Maulkorb schon vor 14 Jahren nicht brav getragen habe.
Kampusch
Es geht um das Jahr 2010 und die Affäre „Kampusch“. Die Staatsanwältin verfolgte ein einfaches Ziel: Abgeordnete sollen bei nicht öffentlichen Verfahren denselben Geheimhaltungspflichten wie Beamte unterliegen. Dazu sollte ihnen das Beamtendienstrecht übergestülpt werden. Genau das hat der Richter zugelassen.
Für die ÖVP ist der § 301 die Trägerrakete, mit dem Knebel für Journalisten und Abgeordnete ins Strafrecht sollen. Jetzt haben Edtstadler & Co. grünes Licht von der Strafjustiz. Auch deshalb haben wir volle Berufung eingelegt.
Der grüne Abgeordnete David Stögmüller hat das alles heute im Gerichtssaal verfolgt. Wie viele seiner Kollegen ist er entsetzt, auch, weil er weiß, was jetzt von Nehammer, Kickl und ihren Parteien zu erwarten ist.
Kickl
Um Kickl ging es plötzlich auch beim Freispruch. Zur Erinnerung: Als 2018 ein fremdenpolizeiliches Protokoll verfälscht wurde, um einen – zu Unrecht – verhafteten, hervorragend integrierten Flüchtling abzuschieben, habe ich dem Bundesasylamt einen „amtlichen Mordversuch“ vorgeworfen. Das hat mir die Klage des Amtes eingebracht.
Das Urteil war heute eindeutig: Unser Wahrheitsbeweis ist gelungen. Ich darf auch weiter amtliche Mordversuche als solche bezeichnen.
Der Richter ist heute einen Schritt weitergegangen. Er wunderte sich über die gesetzeswidrigen Aktionen der Asylbeamten und fand eine Erklärung: „Man wollte damals zeigen, dass man bereit ist, auch nach Afghanistan abzuschieben“.
Sofort war klar, dass mit „man“ nicht das Amt, sondern nur der Verantwortliche dahinter gemeint sein konnte. Das war 2018 Innenminister Herbert Kickl.
Hat Kickl 2018 einen amtlichen Mordversuch zugelassen oder gar angeordnet? War er als Minister bereit, für eine harte Linie über einzelne Leichen zu gehen?
Das sollte geklärt werden, bevor er wieder an die Macht kommt.
Politjustiz
Trotz blamabel schlechter Vorbereitung und einiger peinlicher Schnitzer hat die Staatsanwältin ihren Job gemacht. Die ÖVP weiß jetzt, dass mit dem § 301 einiges geht.
Aber woher kam der Auftrag? Niemand kann mir einreden, dass diese Anklage auf dem Mist einer einzelnen Wiener Staatsanwältin gewachsen ist. Dazu war der Akt viel zu lange in Oberstaatsanwaltschaft und Ministerium verschwunden. Was ist dort passiert? Wer hat dort die Weichen gestellt? Und wer hat dafür gesorgt, dass eine Anklage ohne seriöse Ermittlungen durchgedrückt wurde?
Beim Verlassen des Gerichtssaals hat der grüne Abgeordnete David Stögmüller etwas Wichtiges gesagt. Abgeordnete müssten sich ab jetzt überlegen, was sie noch aufdecken, damit sie nicht wie ich zwanzig Jahre später vor Gericht stehen. Ich befürchte, dass damit die Politjustiz der Staatsanwaltschaft ihr erstes Ziel erreicht hat.
Titelbild: ZackZack