Samstag, November 2, 2024

Randnotizen: So sind wir

Die Geschichte der FPÖ ist verwirrend, verworren und voller inhaltlicher Hundertachtzig-Grad-Schwenks. Sie ist keine Partei gefestigter Haltungen. Sie ist keine Katastrophe, sondern eine Erscheinung der Demokratie. Die Katastrophe ist, dass sie gewählt wird.

Kaum wurde Walter Rosenkranz zum Ersten Nationalratspräsidenten gewählt, agiert er nicht überparteilich, sondern höchst parteilich. Er bricht eine Lanze für die Welt, aus der er kommt: Die Burschenschaften, die Lieder wie »Südtirol bleibt frei, bleibt deutsch« singen und damit die Schuld Deutschlands und Österreichs am Ersten Weltkrieg und seinen Ausgang leugnen. Seine Burschenschaft zeichnet Bewegungen aus, die den Untergang Nazi-Deutschlands bedauern. Dennoch sagt Rosenkranz laut orf.at:

Der erste freiheitliche Nationalratspräsident Walter Rosenkranz vermisst die öffentliche Aufklärung über Burschenschaften, die wesentlich für die Republik seien, sagte er im Interview mit der APA. „Sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil in der Geschichte der Staatswerdung, der Demokratie und der Verfassung in Österreich, aber da fehlt es sicherlich an Aufklärung“, so Rosenkranz weiter zur Rolle studentischer Verbindungen während der Bürgerlichen Revolution 1848.

Gleich daraufhin ist er entsetzt, dass die Kultusgemeinde mit ihm nicht ins Gespräch treten will. Was für ein Wunder! Die Schande der Nationalratspräsidenten, die mit Elisabeth Köstinger begonnen hat und mit Wolfgang Sobotka einen vermeintlichen Gipfel erreichte, ist, was rein parteipolitisches Agieren betrifft – gerade das, was ein ÖNR-Präsident nicht tun darf –, noch einmal getoppt.

Dabei war die Haltung der FPÖ zu den Burschenschaften wilden Schwankungen unterworfen. Haider, der sie zuerst brauchte, wollte ihren Einfluss durch Knittelfeld abschütteln. Aber seine Splitterpartei BZÖ war eine kurze politische Farce, die im sogenannten Team Stronach ihre verdiente politische Verelendung fand.

Auch die weltpolitische Haltung der FPÖ ist wilden Schwankungen unterworfen. Es gab eine Zeit, da ließ sich Jörg Haider in den Medien beim Besuch von Harvard-Abendkursen zeigen und entwarf mit seinem Adlatus Kickl Pläne für den NATO-Beitritt Österreichs. Heute ist es ganz anders: Die FPÖ unter Kickl ist eine FPÖ der Burschenschafter und wenn sie nicht dem Kaiserreich oder dem Untergang der Nazi-Diktatur nachweinen, wenden sie sich nach Russland, wo ein Diktator werkt, der »in der UdSSR ausgebildet wurde« – diese Phrase stammt aus einer Presseaussendung der FPÖ, in der die deutsche Journalistin Cathrin Kahlweit für das geschmäht wird, was die FPÖ an Putin bewundert.

Die FAZ ortet, angesichts der Tatsache, dass die FPÖ den ersten Platz bei der Nationalratswahl errang und heute den Ersten Nationalratspräsidenten stellt, eine gewisse Sprachlosigkeit in Österreich:

Da das Wahlergebnis ziemlich genau den Prognosen entsprach, klang manche Erschütterung ein wenig wohlfeil. Immerhin lehnte die international bekannteste Autorin des Landes, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, eine Stellungnahme gegenüber der österreichischen Nachrichtenagentur APA mit der Begründung ab, es sei bereits alles gesagt: „Angesagte Katastrophen finden statt.“

Nun, eine angesagte Katatrophe, ein Menetekel, also jenes Unheil, das geheimnisvoll angekündigt wird, aber unausweichlich ist, gibt es in der Demokratie nicht. Denn solange es noch Wahlen gibt (auch wenn die Parteien hier Gesetzesübertretungen bei der Wahlkampffinanzierung begehen und Österreichs Medien mehrheitlich längst nicht mehr objektiv berichten, da sie von Geldern aus der Politk abhängig sind), solange kann es nur eine Katastrophe geben: Die Wählenden. Der FAZ-Artikel weiter:

In Zeiten, in denen auf EU-Ebene der Postfaschismus salonfähig gemacht wird, blickt Österreich in dieser Disziplin auf eine lange Tradition. Und ziemlich beste Feinde, das sind die FPÖ und die Kulturszene seit Langem, mit allen eingespielten Reaktionsmustern, die wechselseitig bedient werden. Seit Jahrzehnten sind die Rechtspopulisten das Feindbild schlechthin. Die FPÖ wiederum stilisiert sich als Opfer einer Verschwörung der linken Kulturschickeria, auf die sie mit der Errichtung einer medialen Gegenöffentlichkeit reagiert hat.

Das stimmt. Den Postfaschismus in der EU jedenfalls haben aber die Konservativen, allen voran die CDU, salonfähig gemacht. Die Unvernunft, mehrheitlich eine inhaltlich nicht gefestigte Partei zu wählen, ist aber keine Taktik, wie es die Anbiederung der Konservativen an die Neo-Faschisten ist: Von der Leyen macht Meloni aus taktischen Gründen salonfähig und Nehammer hofiert Orbán aus taktischen Gründen. Das ist vielleicht nicht dumm, aber unvernünftig und demokratiefeindlich. Die Vernunft in Österreich vermutet die FAZ woanders:

Noch gibt es Stimmen der Vernunft wie etwa jene von Johanna Rachinger, der Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek. Sie warnt vor einer „Orbánisierung“ und „Renationalisierung“ des Landes. Mit Blick auf den autoritären Umbau der Nachbarländer Ungarn und Slowakei, in denen die Abschaffung der Kunstfreiheit vorangetrieben wird, sind das Tendenzen, die auch Österreich drohen, da sie auf der Agenda der russlandfreundlichen FPÖ stehen.

Es gibt keinen Grund, sprachlos zu werden. Und es gibt keinen Grund, die Katastrophen woanders zu sehen. Ein österreichisches Volk, das so wählt, wie es gewählt hat, ist die Katastrophe, vor der es selbst ständig warnt. Im Jahr 2019 hat mit dem ersten Aussprechen des Satzes »So sind wir nicht« der Bundespräsident unseres Landes den Beweis dafür geliefert, dass man Dinge nur umkehren muss, um zur Wahrheit zu gelangen. Richtig muss es heißen: »So sind wir.«


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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