Freitag, Januar 17, 2025

Keine Rot-Blaue Koalition: Wie zeitgemäß ist die Vranitzky-Doktrin?

Im Jahr 1986 etablierte Altkanzler Franz Vranitzky in der SPÖ die sogenannte Vranitzky-Doktrin, nach der eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen wurde. Gilt sie heute überhaupt noch? Und was waren die Hintergründe?

Nicht immer war eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ undenkbar. Im Gegenteil. Ausgerechnet 1986, also in dem Jahr, in dem der damals frisch gebackene Bundeskanzler Franz Vranitzky die Regierungsgeschäfte von Fred Sinowatz übernahm, führte die SPÖ eine Bundesregierung mit der FPÖ an. Es sollte bis heute das letzte Mal sein, dass die Parteien gemeinsam eine Bundesregierung bildeten. Denn 1986 änderte sich etwas Grundlegendes – Vranitzky schloss eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene aus. Die Vranitzky-Doktrin war geboren.

Kritik an Vranitzky-Doktrin

Von 1970 bis 1999 gewann die Sozialdemokratische Partei jede Nationalratswahl. Seit sich die SPÖ eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ selbst verboten hat, wurde immer wieder Kritik an dieser Einschränkung laut. Die Ausgrenzung der Freiheitlichen hätte diese erst stark gemacht, lautet ein häufiger Vorwurf. Die Zahlen unterstützen diese These: Nach der Vranitzky-Doktrin legte die FPÖ bei den Wahlen entscheidend zu, bis sie 1999 mit 26,9 Prozent erstmals auf dem zweiten Platz landete.

Für Zähneknirschen in den Reihen der SPÖ sorgte die Entscheidung Vranitzkys auch aus verhandlungstaktischer Sicht. Sie stärkte die Position der ÖVP bei Regierungsverhandlungen, da diese als einzige Partei mit zwei Großparteien verhandeln kann. Das machte die SPÖ leichter erpressbar. Ein Ergebnis dieser schwächeren Verhandlungsposition kann man in der Regierung Faymann 2008 sehen: Zwar eroberte die SPÖ als Wahlsieger den Bundeskanzler, bekam aber kein einziges Schlüsselministerium. SPÖ-Urgestein Hannes Androsch sagte dazu in einem Interview: „Wenn in einem Spiel von dreien einer zwei Optionen hat und alle anderen nur eine, gewinnt immer der, der zwei hat, auch wenn er verliert.“

Gusenbauers Urteil

Spätestens seit der ersten SPÖ-Wahlniederlage seit über 30 Jahren – bei der Nationalratswahl 2002 – wurde der Unmut über die Vranitzky-Doktrin lauter. Auf Landesebene formierte sich in Kärnten 2004 erstmals seit 1986 wieder eine Rot-Blaue Koalition. SPÖ-Chef war damals Alfred Gusenbauer, der das Ereignis als lokale Besonderheit titulierte. Der grundlegende, weltanschauliche Schutzwall Vranitzkys gegen die rechtsaußen-Parteien bekam erste Risse. Gusenbauer bezeichnete die Vranitzky-Doktrin als „Fehler“. Im Jahr 2003 traf er Jörg Haider medienwirksam zu einem gemeinsamen Essen in der Steiermark.

Faymanns Lockerung

Auch der nächste SPÖ-Obmann, Werner Faymann, lockerte die Vranitzky-Doktrin auf. Er stellte es den Landespolitikern frei, eine Koalition mit der FPÖ einzugehen. Auf Bundesebene blieb er Vranitzkys Beschluss hingegen treu und erteilte einer Koalition mit der FPÖ eine Absage. Im Burgenland einigte sich der damalige SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl 2015 auf eine Koalition mit der FPÖ.

Kerns Intermezzo

Christian Kern versuchte in seiner Periode als SPÖ-Chef die Frage des Umgangs mit der FPÖ zu versachlichen. Es wurde ein Kriterienkatalog erarbeitet, der die Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der SPÖ klar festhielt. Kategorisch ausschließen wollte Kern eine Einigung mit der FPÖ nicht, sofern diese den 2017 ausgearbeiteten Kriterienkatalog der SPÖ einhalte.

Ära Rendi-Wagner

Kern-Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner ersetzte den Kriterienkatalog nur ein Jahr später durch den „Wertekompass“. Dieser schloss eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht aus. Ein entsprechender Antrag der sozialistischen Jugend am Parteitag wurde sogar abgelehnt. Doch solange die FPÖ Nähe zum Rechtsextremismus lebt, sorgen die Inhalte des Wertekompass für einen Ausschluss der FPÖ aus SPÖ-Regierungsverhandlungen. Rendi-Wagner selbst sagte, eine Zusammenarbeit mit einer „hetzerischen und menschenverachtenden“ FPÖ komme für sie nicht infrage.

Bablers Bekräftigung

Andreas Babler zeigt als SPÖ-Chef wieder stärkere Kante gegenüber den Freiheitlichen als seine Vorgänger. Als Repräsentant des linken Flügels in der SPÖ schließt er eine Zusammenarbeit mit der FPÖ aus ideologischen Gründen aus – und unterscheidet sich dabei von seinem burgenländischem Hauptrivalen Hans Peter Doskozil.

Nach dem schlechten Abschneiden bei der Nationalratswahl im September wurde wieder Kritik an der strikten Ausgrenzung gegenüber der FPÖ laut.

Die Geschichte der Vranitzky-Doktrin

Als Jörg Haider 1986 Norbert Steger an der Spitze der FPÖ ablöste, bedeutete das einen Rechtsruck in der freiheitlichen Partei, den Vranitzky nicht mittragen wollte. Haider hätte sich nicht eindeutig von Nationalsozialistischem Gedankengut losgesagt und die Zweite Republik als „ideologische Missgeburt“ bezeichnet, so Vranitzky. Im Interview mit der Krone 2024 erinnerte er sich an seine Gedankengänge damals: „Wenn du das beenden kannst, beende es so schnell wie möglich“.

Vranitzky im Interview mit der “Krone

Auf einem SPÖ Parteitag im selben Jahr wurde der Beschluss gefasst, eine Koalition mit der FPÖ auszuschließen. Es folgten 14 Jahre große Koalition, bis sich 2000 der Rechtsblock aus FPÖ und ÖVP formierte. Der Parteitagsbeschluss ist bis heute aufrecht. Aufgrund anderer Beschlüsse seit der Ära Kern ist jedoch nicht ganz klar, welche Gültigkeit er noch besitzt. Die Antwort auf die Frage, ob die FPÖ als Partner für die SPÖ denkbar ist, scheint seither Chefsache zu sein.

Herbert Kickl macht es der SPÖ einfach. Die FPÖ hat sich unter ihm zu einem Wohlfühlbecken der Verhetzer, Identitären und Neonazis entwickelt, mit der selbst die ÖVP nicht mehr koalieren will.

Trotzdem wissen viele in der SPÖ, dass nach der Ära Kickl die Debatte über den Umgang mit der FPÖ wieder an der Tagesordnung stehen wird.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Das Interview mit Franz Vranitzky führten Ida Metzger und Rainer Nowak von der Kronen Zeitung. Hier gibt es das Krone-Video mit Vranitzky zum Nachsehen.

Autor

  • Daniel Pilz

    Redakteur bei ZackZack. Studierte Philosophie an der Uni Wien und schreckt auch vor komplexen Themen nicht zurück.

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