Selbst seriöse Medien bedienen sich unreflektiert dem Unwort der »Ausländerfrage«. Schleichend wird abwertende Sprache, wird rassistischer Übergriff, werden Gewaltparolen legitimiert. Die Folgen sind absehbar und nachlesbar.
In einem Artikel in der Tageszeitung Der Standard schreibt Thomas Mayer: »Wenn man in die Zeit Ende der 1980er-Jahre zurückblickt, als der EU-Beitrittsprozess in Österreich begann, spielte die Ausländerfrage noch kaum eine Rolle.« Das Wort »Ausländerfrage« steht nicht in Anführungszeichen. Der Artikel ist vom 11. Juni 2014. Man kann ihn bis heute online lesen.
Fast neun Jahre später schreibt Gerald John in derselben Zeitung am 23. Februar 2023: »Beim Auftritt in der Rieder Jahnturnhalle jedoch stand der angeblich so gemäßigte Landespolitiker seinem Parteichef Herbert Kickl an Scharfmacherei nicht nach. Bezeichnend war die Passage über die Ausländerfrage.« Das Wort »Ausländerfrage« steht nicht in Anführungszeichen. Man kann ihn immer noch online lesen.
Was ist die Fragen bei der »Ausländerfrage«?
Dann am 11. Juni 2024 geht Gerald John wenigstens zum Anführungszeichen über. »Die SPÖ braucht eine Antwort auf die “Ausländerfrage”« heißt sein Artikel. Was könnte aber diese Antwort sein? Und was ist die Frage? Das kann der Autor nicht sagen. Niemand kann es sagen.
Man fragt, wo sich der Rechtsruck in Österreich abspielt? Genau in diesem Sprachgebrauch. Eine Frage und eine Antwort dort zu suggerieren, wo es sich um viel komplexere Problemfelder handelt, wo genauere Definition nötig ist, lädt zur Einwortantwort, zum Plakatspruch ein. Beide gibt es im Wahlkampf. Sinnvoll sind sie nicht. Es gibt keine »Antwort auf die Ausländerfrage«, weil nicht einmal definiert ist, was ein »Ausländer« ist. Es gibt eine Antwort darauf, was Asyl ist und sein muss. Das ist nämlich in der Verfassung und unseren Gesetzen klar geregelt. Und darauf hat die SPÖ im Wahlkampf als einzige, rechtsgültige Antwort gegeben.
Wo spielt sich der Rechtsruck in Österreich ab?
»Ausländerfrage« und »Ruanda-Programm«. Es ist nicht viel Unterschied zur »Judenfrage« und der »Madagaskarlösung« von damals. Der Rechtsruck beginnt in der Sprache. Diese Sprache ist immer pauschal, also ungenau und soll es auch sein. Was Gerald John suggeriert, ist, dass FPÖ und ÖVP »Antworten« auf die »Ausländerfrage« gäben. Das tun sie aber nicht. Auch ist in ihrer gemeinsamen Regierungszeit weder Zuzug geringer, noch die Integration höher geworden. Sie haben sich zur Verhetzung von Muslimen durch das Veröffentlichen der Adressen islamischer Kulturzentren entschieden. Und heute ist die »Leitkulturdebatte« von Ministerin Raab die treibende Kraft für Hetze gegen Muslime, darunter auch Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft, also »Inländer«.
Diese Hetze wirkt bereits hervorragend. Innerhalb der EU ist nach einer Statistik Österreich das Land mit den meisten anti-muslimischen Übergriffen, Attacken und Diskriminierungen – gefolgt von Deutschland auf Platz 2. Wer ist muslimisch und wer nicht? Auch das ist letztlich nicht festzustellen und immer von der Antwort der betroffenen abhängig. Und natürlich sind Menschen, die Agnostiker oder Atheisten sind, aber in Ländern, wo die Mehrheit muslimischen Glaubens ist, oder aus Familien, in denen der Islam gepflegt wurde, kommen, mitgemeint. So und nur so kann das Luegersche »Wer ein Jud ist, das bestimme ich« auch hier gelebt werden. Und so bestimmt der offene Rassismus, der von der Sprache zur Tat übergeht, auch seine Ziele selbst.
Hetze ist keine »Antwort«?
Verhetzung ist allerdings keine Antwort. Der Ausländer, der im Wort »Ausländerfrage« gemeint ist, wird in keinem Kontext definiert. Denn es soll der Begriff ja gar nicht klar, sondern möglichst schwamming und universell einsetzbar sein. Das ist von jeher die Absicht eines Feindbilds gewesen. Denn selbst, wer aus einem anderen Land kommt und längst österreichischer Staatsbürger ist, kann damit bezeichnet werden. Und das passt dem Rechtspopulismus gut in den Kram.
Das Fortschreiten des Rechtspopulismus ist heute nicht bei der FPÖ und ihren Sympathisantinnen zu suchen. Dort tummelt er sich lange schon, ohne dass Haider, Strache oder Kickl jemals irgendwelche sachpolitischen Schritte gemacht hätten. Das wollen sie auch nicht, sonst fehlt ihnen ihr wichtigstes Feindbild. Desgleichen hat auch vor den Nationalratswahlen 2017 ein ÖVP-Minister Viktor Orbán angerufen und ihn gebeten, ja nicht weniger Flüchtlinge über die österreichische Grenze zu schicken, solange die Wahlen nicht vorbei sind. Der »Ausländer« ist ein Mensch, der politisch und wirtschaftlich benutzt und vernutzt wird und werden kann, wie es uns gefällt. Und so soll es bleiben.
Der Widerstandsgeist der Zivilgesellschaft
Von der FPÖ kommen seit 1986 neo-faschistischen Botschaften und – manchmal offen, meist unter vorgehaltenener Hand – Sympathie und Unterstützung für den Faschismus der Vergangenheit. Mit der Wahl Jörg Haiders zum Obmann der FPÖ und mit dem – vor allem von der Kronen Zeitung verbissen und gespickt mit antisemtischen und revisionistischen Wortmeldungen geführten – Wahlkampf für Kurt Waldheim als Bundespräsidenten, begann die Radikalisierung der Sprache.
Man kann sich heute nur darüber wundern, wie groß damals der Widerstand der Zivilgesellschaft gegen beide war, wie breit und demokratisch fundiert die Gegnerschaft beider dastand. Wohin ist sie hin? Der Widerstandsgeist der Zivilgesellschaft scheint heute gebrochen. Fast vierzig Jahre später, ist unsere Alltags- und Pressesprache durchsetzt von demokratiefeindlicher und menschenverachtender Sprache.
Was ist ein Ausländer?
Der Standard, einst das Licht einer Medienlandschaft in diesem Land, die nach Jahrzehnten des Darbens endlich parteiunabhängige, aufklärerische Töne entwickelte, verkündete 1988, er werde fortan täglich mit internationaler Schlagzeile und ohne Sportteil erscheinen. Dass er bald einen Sportteil bekam, sei verziehen. Dass aber in der heutigen Zeit sich niemand in diesem Blatt Gedanken darüber macht, was ein Ausländer ohne Anführungszeichen, was ein Zuwanderer, was ein Migrant, was ein Asylant, was ein Flüchtling ist und diese Begriffe auseinanderhalten will, muss schockieren. Man wirft alles in einen Topf. Herauskommen soll eine Antwort. Es ist ein Wort, aber ich sage nicht, wie es lautet. Bitte setzen Sie es hier ein:
Antwort auf die Ausländerfrage: ……………………………………………………………………
Keine Kritik der fossilen Gesellschaft
Da hat Kanzler Nehammer (nicht als ÖVP-Obmann, sondern als Bundeskanzler) dieses Jahr einen Gipfel einberufen, der zu dem Ergebnis kam: Österreich hält am Verbrenner fest. Man könnte sich ansehen, woher Flüchtlinge nach Europa kommen. Sie kommen zum größten Teil aus Ländern, in denen Diktaturen und Unrechtsregime herrschen, um dem Westen billiges Erdöl zu liefern, oder Kriege oder Bürgerkriege toben, die der Westen (teils über Stellvertreter) für billiges Erdöl führt.
Ob Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen, Jemen – die fossile Gesellschaft führt diese Kriege, liefert dorthin Waffen und leistet damit dort täglich Mithilfe zum Mord. Die fossile Gesellschaft stützt Unrechtsregime in der ganzen Welt, weil sie von ihrem Öl abhängig ist. Hier ist die größte Ursache für Migration. Die Kritik der fossilen Gesellschaft unterbleibt in Österreich. Die Medien, die sie nicht vornehmen, können sich selbst höchstens als Boulevardmedien bezeichnen; in der Tat haben sie deren Sprache längst übernommen. Österreich radikalisiert sich. Schleichend wird abwertende Sprache, wird rassistischer Übergriff, werden Gewaltparolen legitimiert. Die Folgen sind absehbar und nachlesbar.