In Michigan geht der US-Wahlkampf mit Auftritten von Kamala Harris und Donald Trump zu Ende. Auch die grüne Kandidatin Jill Stein ist noch im Rennen. Sie wird zwar ziemlich sicher nicht Präsidentin werden, in manchen Staaten könnten den Demokraten aber ihre Stimmen fehlen.
Ronald Reagan und Präsident Carter, deren ohnehin schon enges Rennen sich durch die Debatte am vergangenen Dienstag noch verschärfte, schienen zwei Tage vor den Präsidentschaftswahlen in der Wählergunst fast gleichauf zu liegen. […] Herr Reagan, dem sein Auftritt in der Debatte in Cleveland eindeutig geholfen hat, schien die Befürchtungen der Wähler, dass er das Land in einen Krieg führen könnte, gemindert zu haben, so die letzte Umfrage der New York Times und CBS-News vor den Wahlen.
So stand es am Montag, 3. November 1980, auf Seite 1 der New York Times. Was am nächsten Tag folgte war ein sogenannter landslide victory des Republikaners Ronald Reagan: Er gewann in 44 Bundesstaaten. Die Kriege und das Aufrüsten radikaler und kriegsführender Militärs und Para-Militärs wie der Taliban in Afghanistan, des Regimes von Saddam Hussein im Irak, der Contra-Rebellen in Nicaragua und vieler anderer spielte sich aus US-Sicht im Ausland ab. Daher galten sie nicht als Kriege.
Der Siegeszug des Neo-Konservatismus nahm, nach dem Wahlsieg der Tories unter Thatcher 1979 in Groß-Britannien, mit Reagans Triumph weltweit Fahrt auf. Der Krieg aber war immer woanders. Seit dem Januar 2021 ist man sich bei den Republikanern in den USA allerdings nicht mehr sicher, ob sie ihn nicht im eigenen Land wollen. Besorgniserregende Berichte finden sich en masse. Fabian Fellmann berichtet etwa in der Süddeutschen Zeitung aus dem Swing State Pennsylvania:
Eduardo Chama ist besorgt. Das Wohnzimmer des Opernsängers und Professors quillt über vor Bildern und Plastiken. Dean Koontz, Pablo Picasso. Er sei schon 63 Jahre alt, sagt der Bassbariton mit den kurzen ergrauten Haaren und dem grau melierten Bart, doch noch nicht zu alt zum Kämpfen. „Baby, wir müssen uns ein Gewehr kaufen“, habe er seiner Frau gesagt, nachdem ein befreundeter Anhänger der Demokraten sich eine Pistole beschafft hatte. „Sollen wir uns etwa mit einer Gabel verteidigen, wenn sie uns heimsuchen?“, fragte er. „Wir brauchen wenigstens Gummischrot oder Salzkugeln.“
Sie, das sind die Nachbarn mit den Trump-Schildern. An Chamas Eichen hängen „Harris-Walz“-Plakate. „Das erste Poster war plötzlich weg“, erzählt er. „Also habe ich vier neue bestellt und eine Überwachungskamera angebracht.“ Er erstattete Anzeige.
Die Gegenwehr der Demokraten erscheint zögerlich und effektlos. Ihre Partei hat nach den Wahlniederlagen von Jimmy Carter 1980, Walter Mondale 1984 und Michael Dukakis 1988 selbst einen Rechtsruck durchgemacht. Alle drei traten mit Programmen an, die aus heutiger Sicht geradezu unglaublich progressiv waren. Damit konnte man keine Wahl gewinnen. Erst Bill Clinton zog daraus seine Lehren. Wer aber wird endlich die US-amerikanische Demokratie und ihr geradezu haarsträubend veraltetes Wahlsystem reformieren, die marode Infrastruktur und das kaputte Sozial- und Gesundheitssystem sanieren und die arbeitenden Menschen vor den Auswirkungen regelmäßiger Kollapse an den Finanzmärkten schützen?
Auch so funktioniert Rechtsruck: Die Angst und der Terror, mit dem er das Land überzieht, überschattet jede wirkliche Politik. Bleibt nur noch die Angst vor der Angst. In einem weiteren Swing State, nämlich Michigan, beenden Kamal Harris und Donald Trump ihre Wahlkampftouren. Noch ist auch die Kandidaten Jill Stein für die Grünpartei der USA im Rennen, die bereits von 16 Ökoparteien in Europa aufgefordert wurde, ihre Kandidatur zurückzuziehen und eine Wahlempfehlung für Kamala Harris abzugeben. Adam Gabatt für The Guardian aus Lansing, Michigan:
In Michigan sind etwa 240.000 muslimische Wähler registriert, von denen die Mehrheit 2020 für Biden stimmte und ihm zu einem knappen Sieg über Donald Trump verhalf. Aber arabische und muslimische Amerikaner in diesem Bundesstaat haben ihre Unzufriedenheit über die Haltung des Vizepräsidenten zum Krieg Israels gegen den Gazastreifen zum Ausdruck gebracht, und Umfragen deuten darauf hin, dass diese Wähler zu Jill Stein, der Kandidatin der Grünen Partei, tendieren.
Kamala Harris kündigte dort an, alles für ein Ende des Kriegs in Gaza zu tun. Auch Donald Trump wird noch kommen und irgendetwas sagen, wenn er noch weiß, wie ihm geschieht. Jedenfalls weiß er oft nicht mehr, wo er ist. Adam Nagourney, Katie Glueck und Michael Gold in The New York Times:
Herr Trump wirkte am Sonntagmorgen besonders müde; seine Stimme war heiser und sein Tempo langsam, als er seine von Missständen und gelegentlichen Vulgaritäten geprägten Ausführungen machte. Bei seiner zweiten Station des Tages, in Kinston, N.C., war Trump relativ zurückhaltend und hielt sich enger an das Skript seiner vorbereiteten Bemerkungen, mit gelegentlichen Ablenkungen, obwohl er manchmal hustete. Einmal rief er von der Bühne aus dem republikanischen Senatskandidaten von Pennsylvania zu, korrigierte sich dann aber, als er merkte, dass er woanders war.