Solidarität ist out. Unsere Vorbilder sind rücksichtslose Egoisten und Gesetzesbrecher. Wir beginnen nicht einmal damit, die Missstände auf unserem Planeten, die Ungleichverteilung von Nahrung, Ressourcen und Kapital zu beseitigen.
Vorgestern setzte ich mich das erste Mal an diesen Artikel. Ich vergebe immer zuerst einen Titel, auch, wenn ich noch nicht weiß, worüber ich schreibe – ein innerer Zwang.
Ich war sicher: Ich schreibe nicht über den US-Wahlkampf. Mir fiel nichts anderes ein, als MUSIK IST TRUMPF hinzuschreiben und ich dachte, ich würde den Titel später ohnehin ersetzen. Und dann sah ich, dass, wenn man aus MUSIK IST TRUMPF in jedem Wort einen bestimmten Buchstaben streicht, es sich in MUSK IS TRUMP verwandelt.
Anscheinend ist schon viel von dem eingesickert, was die Welt immer noch beklagt, als wäre es eine Ausnahme, eine Katastrophe, ein einzelner Missstand. Dabei ist die Katastrophe seit vielen Jahren ein Zustand. Seit Jahren kennen wir den Grund. Seit Jahren kennen wir die Dynamik und ihre Folgen. Wir wissen, warum und durch wen die Demokratie bedroht ist. Trotzdem spielen wir immer noch Demokratie, wo keine mehr ist. Oder wir spielen zumindest Wählen. Wir lesen täglich und überall und andauernd politische Manipulation und reden immer noch von der Freiheit der Medien. Wir wollen nicht wahrhaben, dass alles längst anders ist – und wissen es doch.
Die Unverantwortlichen
Solidarität ist out. Unsere Vorbilder sind rücksichtlose Egoisten und Gesetzesbrecher. Wir beginnen nicht einmal damit, die Missstände auf unserem Planeten, die Ungleichverteilung von Nahrung, Ressourcen und Kapital zu beseitigen. Wir beginnen nicht einmal damit, die Ausbeutung und Zerstörung unserer Lebensräume, die uns immer mehr zu schaffen macht, abzustellen. Wir leben so unverantwortlich, wie nur jemand sein kann, der bewusst verdrängt, dass es andere Menschen gibt, dass es Kinder gibt, die eine bessere Zukunft verdient haben: der Kapitalist. Er sitzt da und sagt: MIR geht es gut. Das reicht ihm.
Heute liest man oft, ein politisches Programm sei unrealistisch, weltfremd. Man prangert Linke und Ökologen als Ewig-Gestrige und veraltete Bewegungen an. Aber dieses Anprangern ist reaktionär und nur Taktik. Denn uns beherrscht in Wahrheit die älteste Macht: Geld. Heute regieren die Reichen so unangefochten wie nie zuvor. Sie sind reicher als je zuvor und immer weniger dazu bereit, am Gemeinwohl teilzuhaben. Wenigen von ihnen gehört mehrheitlich das Kapital auf dieser Welt. Sie kaufen Parteien, Staaten, Medien, sogenannte soziale Medien, die zum unsozialsten auf dieser Welt gehören. Sie haben ihre frühere Angewohntheit, wenigsten so zu tun, als seien sie Demokraten, längst abgelegt und sprechen offen totalitäre Ideen aus.
Der Adel von heute
Der Reichtum der Reichen beruht auf Ausbeutung: Ausbeutung von Menschen, Ausbeutung der Natur und Ausbeutung von Staaten, von denen sie sich finanzieren lassen und deren Gesetzgebung – wie etwa die Steuergesetzgebung –sie umgehen und aushebeln. Es sind Personen, für die Gleichheit nicht gelten darf, die in der Demokratie doch verfassungsmäßig festgeschrieben ist. Das kümmert sie nicht.
Noch schlimmer als die, die Reichtum selbst angehäuft haben und ihre rührenden Tellerwäscherbiografien erzählen, sind ihre Erben, die nun nicht einmal mehr in den Verdacht kommen, etwas für ihren Reichtum getan zu haben. Selbst Gandhi sprach sich für deren Enteignung im Sinne des soziale Zusammenhalts aus. Aber sie setzen, wie der einstmals herrschende Adel, darauf, dass ihre Abstammung ihre Position rechtfertigt. Sie stellen sich über andere und erwarten dafür Applaus und Zustimmung.
Hampelmänner und Lobbyisten
In der Politik haben Milliardäre und Reiche seit 1989 einen neuen Weg eingeschlagen. Den Milliardären in Westeuropa und in den USA reicht ihr Reichtum nicht mehr aus und sein tägliches Anwachsen ist ihnen zu wenig. Die Demokratien, in denen sie ein gutes Leben hatten, hängen ihnen zum Hals heraus. Sie wünschen sich – zum Spaß, aus Sadimus, oder weil sie neidisch auf Diktaturen schielen, in denen Ausbeutung offen gelebt werden kann – die Demokratie weg. Um diese zu torpedieren halten sie sich Hampelmänner, die wie Politiker aussehen, aber in Wahrheit nur Lobbyisten sind.
Die Musks, Thiels, Benkös, Pierers, Wolfs, Dichands lassen Politik machen. Ihre Psychogramme mögen einzigartig sein. Ihr Wirken aber ist das Wirken von Nullen, das sich auf die Vermehrung der Nullen ihrer Kontostände beschränkt, die nicht einmal mehr Auswirkungen auf ihre Lebensrealität hat. Sie sind Karikaturen einer verfehlten Lebenseinstellung, die auf die Vermehrung von Besitz aus ist und die daraus resultierende Verelendung der Existenz nicht wahrnimmt oder eben in Kauf nimmt. Der Kapitalismus mag heute die Welt beherrschen, aber er ist weder eine Philosophie, noch ein Gesellschaftsmodell.
Die Systemfeinde
Dafür haben die von den Reichen gehätschelten und finanzierten »Systemfeinde« in der Politik ein Modell: Das Modell der Zerstörung. Von diesen »systemfeindlichen« Parteien werden gewonnene Positionen in Staaten nur dazu benutzt, um die Demokratie auszuhöhlen. Sie kennen und wollen keinen Diskurs. Ihre Aufgabe ist ganz klar. Was sie geschafft haben, ist allerdings, einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung – der Reiche bewundert, von ihrer Herrschaft aber nichts hat, sondern im Gegenteil durch sie materiellen Schaden nimmt – bei Wahlen hinter sich zu bringen.
Mag sein, dass Manipulation dabei eine große Rolle spielt. Aber das ist keine befriedigende Antwort. Es ist nicht einzusehen, warum Menschen aus der Unter- und Mittelschicht Parteien wählen sollten, die – wenn sie regieren – ihnen noch mehr Geld wegnehmen, Leistungen kürzen, durch Teuerung ihre Kaufkraft vermindern und ihre sauer bezahlten Steuergelder Menschen wie dem Herrn Benko schenken, die das Geld dann in Stiftungen in Liechtenstein parken, oder Menschen wie dem Herrn Pierer schenken, der sich damit selbst hohe Dividenden auszahlt.
Keine Mehrheit für Egalität
Noch gibt es Informationen darüber, noch kann frei gewählt werden. Aber die österreichische Nationalratswahl und die Präsidentschaftswahl in den USA zeigen uns, dass das Argument der Verteilungsgerechtigkeit, dass der soziale Ausgleich, dass alle Vorstellungen des Egalitären heute keine Mehrheit mehr finden. Darüber kann man nun entsetzt sein, oder traurig oder verzagt.
Wer dagegen aber wirklich Widerstand leisten will, kann sich nicht mehr bequemen Antworten hingeben. Die soziale Schere, die ungleiche Verteilung von Kapital, Ressourcen, Macht und Wohlstand ist das Problem unserer Welt und vor allem das Problem der Demokratie. Wenn dagegen nichts getan wird, wenn es nicht Bewegungen gibt, die gegen die Ungleichheit kämpfen – egal wie unrealistisch oder aussichtslos dieser Kampf im Moment erscheinen mag –, dann kann es auch keine Demokratie geben. Die Oligarchie, in der wir längst leben, ist die logische Staatsform aus dem ständigen Appeasement, das man den Verbrechern entgegenbringt, die die demokratische Welt auseinandernehmen.
Nicht argumentierbar
Korrigiert kann dieser Missstand nur werden, wenn sich die Schere der Ungleichheit wieder schließt. Das heißt: Es darf keine Milliardäre geben und es darf keine Oligarchen geben. Dass ein Mensch das Millionfache eines anderen Menschen besitzt oder das Tausendfache eines anderen Menchen verdient, ist weder durch Leistung, noch durch andere Kriterien wie Herkunft argumentierbar.
Es gibt die Möglichkeit, diese großen Missstände friedlich und unter Lenkung einer möglichst breiten Öffentlichheit zu beseitigen – oder ihre Beseitigung zumindest anzugehen. Passiert das nicht, besteht die Gefahr, dass sich widerständische Kräfte bilden, die an friedliche und demokratische Lösungen nicht mehr glauben. Über deren Entladung darf man sich dann auch nicht wundern.