Wenn führende Persönlichkeiten mit einer Koalition zwischen ÖVP und FPÖ liebäugeln, so scheinen sie nicht zu wissen, was sie tun. Verfassungsjurist Heinz Mayer analysiert.
„Programmatisch wäre man dieses Mal schon zusammengekommen – auch wenn das ÖVP-Sekretär Christian Stocker nun anders sieht … Aber es scheitert am Persönlichen. Die ÖVP-Führung traut Herbert Kickl einfach nicht …“ Mit diesen Worten gibt Oliver Pink in seinem Leitartikel in der Presse vom 17. Oktober 2024 nicht bloß seine eigene Meinung, sondern auch das wieder, was die meisten österreichischen Medien seit Monaten verbreiten. Inhaltlich gebe es nicht viele Differenzen zwischen FPÖ und ÖVP, aber Kickl ist das Hindernis für eine Koalition mit dieser Partei.
Damit greifen die Medien unreflektiert das auf, was maßgebliche ÖVP-Politiker seit Sebastian Kurz unverdrossen erzählen: Mit der FPÖ gebe es sehr viele inhaltliche Überschneidungen, eine Koalition mit dieser Partei sei ganz leicht zu bilden und solle angestrebt werden. Medien, die derartige Erzählungen ständig kommentarlos wiederholen, verfehlen ihre wichtigste Aufgabe: den Schutz der Demokratie („public watchdog“). Sie weisen die FPÖ als normale Partei im demokratischen Spektrum aus (das ist sie, spätestens seit der Übernahme durch Kickl, nicht). Trotzdem teilen auch maßgebliche Vertreter der Wirtschaft und insbesondere der Industrie diese Einschätzung und wünschen sich eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ.
ÖVP hat klare parlamentarische Wurzeln
Sucht man eine inhaltliche Begründung für diese „Verwandtschaft“, so besteht diese im Wesentlichen darin, dass weder ÖVP noch FPÖ Steuererhöhungen oder Vermögenssteuern befürworten; beide Parteien treten für harte Migrationspolitik ein. Ist das alles, was an Gemeinsamkeiten besteht? Und genügt das für eine Koalition? Versucht man Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Parteien zu finden, so versteht sich die ÖVP seit ihrer Gründung im Jahr 1945 als Partei, die sich klar zur parlamentarischen Demokratie bekennt, in wirtschaftspolitischer Hinsicht an der katholischen Soziallehre und an marktwirtschaftlichen Konzepten orientiert.
Die ÖVP versteht sich als Partei des liberalen Rechtsstaates in einer offenen Gesellschaft sowie als europäisch; wenn auch bei manchen Vertretern zunehmend nationalistische Tendenzen feststellbar sind („Diktat aus Brüssel“ etc).
Warum die FPÖ rechtsextrem ist
Die FPÖ hat sich seit der Machtübernahme von Jörg Haider und vor allem in den letzten Jahren unter Herbert Kickl zu einer rechtsextremen Partei entwickelt. An dieser Einschätzung führt kein Weg vorbei; legt man die Kriterien an, die das Bundesministerium für Inneres (DSN) als maßgeblich ansieht: Fremdenfeindlichkeit, Verharmlosung und Relativierung des Nationalsozialismus, völkischer Nationalismus, antidemokratische und antipluralistische Gesellschaftsauffassungen und Ablehnung des demokratischen politischen Systems. Dafür liefern von Kickl abwärts führende Funktionäre der FPÖ ausreichend Beispiele. Kickl beansprucht für sich und seine Partei, „das Volk“ zu vertreten und bezeichnet alle anderen Parteien als „Einheitspartei“. Österreichische Staatsbürger mit Migrationshintergrund will er weder in Spitälern noch bei der Polizei sehen. Die Rolle der Frau ist im Haushalt, wo sie „Weihnachtsbäckerei zaubert“. AfD und FPÖ bezeichnet er als Beschützer der Demokratie; seine besondere Bewunderung gebührt Orban. „Machen wir es dem Orban nach, liebe Freunde. Bauen wir die Festung Österreich …“. Eine Gleichstellung von Homosexuellen wird abgelehnt.
Seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Kickl im Jahr 2021 wurden mehr als 15 Vorfälle registriert, die klar nationalsozialistisch konnotiert waren. In mehreren Fällen wurden Funktionäre der Partei wegen Verletzung des Verbotsgesetzes verurteilt. Die rechtsextremen Identitären werden als unterstützungswürdige NGO von rechts verharmlost.
Drohungen gegen EU-Vertreterinnen
Seit 2002 wurden mehr als 10 Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder bekannt, für die Funktionäre der FPÖ strafrechtlich verurteilt wurden. Für eine Partei, die „volle Härte gegen Kinderschänder“ fordert und Migranten gerne in die Nähe von „Vergewaltigern“ rückt, durchaus beachtlich. Neben Vergewaltigungen betreffen diese Fälle schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen, Missbrauchsdarstellungen, Körperverletzungen bis hin zu Mord; weitere Verfahren sind anhängig. Eine klare Gewaltaffinität zeigt auch eine verbale Drohung von Harald Vilimsky gegen die Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola, die EZB-Präsidentin Christine Lagarde und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (Juli 2024).
Ein FPÖ-Landesparteichef sagte öffentlich, er wolle eine Landesrätin vor sich „herprügeln“. Dem Sozialismus will Kickl „eine auf’s Hosentürl“ schlagen. All diese Fälle finden sich in öffentlich zugänglichen Quellen (https://www.stopptdierechten.at; Horaczek: „Kickl beim Wort genommen“). Die Beispiele ließen sich leicht vermehren und zeigen, dass Kickl einen anderen Staat will: Ein autoritäres System und eine Zerstörung der Europäischen Union, von der er unsere „Souveränität zurückholen“ will. Er will anstelle der EU ein „Europa der Vaterländer“.
Wer einer solchen Partei den Weg in die Regierung ermöglicht, fördert einen solchen Umbau. Ein Orban, der am 23. Oktober seine ungarischen Landsleute dazu aufgerufen hat, sich der „Besatzung“ durch die EU so entgegenzustellen, wie 1956 gegen die Sowjetunion (bei diesem Kampf starben mehr als 3.000 Menschen, 20.000 wurden verletzt). Dass die FPÖ in diese Richtung tut, was sie sagt, zeigte sich zuletzt im Parlament: eine Woche nach seinem Amtsantritt empfing der eigentlich als eher besonnen geltende Walter Rosenkranz öffentlich wirksam Orban im Parlament vor den Fahnen Österreichs und Ungarns; die Fahne der EU bleibt im Keller.
Konservative mit Tunnelblick
Wenn heute führende Persönlichkeiten mit einer Koalition zwischen ÖVP und FPÖ liebäugeln, so scheinen sie nicht zu wissen, was sie tun. Die Fokussierung auf gewünschte Gemeinsamkeiten der beiden Parteien im Bereich der Steuern und der Migration verrät einen Tunnelblick. Wer hofft, dass es der ÖVP gelingen könnte, die FPÖ in einer Regierung „einzuhegen“, sollte sich daran erinnern, dass das bislang noch nie gelungen ist. Weder am Ende der Weimarer Republik noch nach dem 2. Weltkrieg in Italien, Frankreich, England oder den Niederlanden. Die Erfahrung zeigt, dass gemäßigt konservative Parteien, die sich mit Rechtsextremen ins Koalitionsbett legen, entweder verschwinden (Italien) oder in die Bedeutungslosigkeit versinken. Wenn sich die ÖVP auf eine derartige Koalition einlässt, wird sie mit Sicherheit weiter nach rechts rücken und einen Teil ihrer Wähler mitnehmen. Dann ist es nicht mehr weit bis Ungarn.
Titelbild: Heinz Mayer, ZackZack, Montage: ZackZack