Mittwoch, Dezember 11, 2024

Olaf Scholz‘ kühner Plan

Kann das klappen? Wie der deutsche Kanzler trotz alledem die Wahlen gewinnen will.

Was war das für ein Mittwoch vergangene Woche: Man wachte auf und hatte die Nachricht am Display, dass Donald Trump wieder gewählt wurde. Und man ging schlafen mit der Dauernachrichtenschleife, dass die deutsche Regierung kollabiert ist, Olaf Scholz seinen Finanzminister Christian Lindner entlassen hat und man sich schon im Wahlkampf befindet. Und das war ja nur ein Tag. Die Welt fühlt sich gerade nach „alles geht den Bach runter“ an.

Am 23. Februar soll es jetzt also in Deutschland vorgezogene Bundestagswahlen geben.

Stratege Olaf Scholz

Was mich in den vergangenen Monaten immer wieder erstaunte – und auch ein bisschen beeindruckte – ist Olaf Scholz eigentümliche Zuversicht. Nicht, dass er sie artikuliert, aber er strahlt sie aus. Ich mag mich ja täuschen, aber ich glaube sie hinter einem schelmischen, wortkarg-einsilbigen Grinsen zu erkennen. Trotz der monatelangen desaströsen Bühnenshow seiner zerstrittenen Regierung, trotz der katastrophalen Umfragewerte der Koalitionäre, trotz verheerender Daten für seine deutsche Sozialdemokratie (SPD), die jetzt schon seit Monaten bei 16 Prozent dümpelt. Im Gesicht des deutschen Kanzlers sehe ich immer so eine heitere Selbstgewissheit, die sagt: „Ich werde es euch schon noch zeigen. Ich habe nämlich einen Plan.“

Der rote Phönix

Erinnern wir uns an das Jahr 2020/21: Auch damals lag die SPD bei 16 Prozent, Angela Merkel war noch Kanzlerin, aber es war klar, sie wird nicht mehr antreten. Olaf Scholz dagegen war sogar beim Wettbewerb um den Parteivorsitz unterlegen. Dann wurde er aber Kanzlerkandidat seiner Partei. Sein Plan war: Die Leute werden Sicherheit vorziehen. Als Finanzminister und Vizekanzler war er quasi der höchstrangige „Amtsinhaber“, der zur Wahl stand. Und tatsächlich hatte er am Ende einen hauchdünnen Vorsprung, mit rund 26 Prozent wurde die SPD stärkste Partei. In zwei, drei Monaten Wahlkampf hat Scholz das Ding gedreht.

Kanzlerbonus

Mein Eindruck ist: Diesmal verfolgt er einen ähnlichen Plan. Wir sahen in den vergangenen Tagen sogar schon, wie er diesen Plan entfaltet. Er lehnte Christian Lindners Vorschlag ab, gemeinsam Neuwahlen auszurufen. Denn dann wäre er der Loser gewesen, der sich von seinem Minister etwas aufzwingen lässt. Stattdessen hat er Lindner hochkant aus der Regierung geworfen, und sich damit als entschlossen Handelnder inszeniert. Vom stillen Moderatoren-Kanzler zum entschiedenen Staatsführer, der auch einmal laut wird – innerhalb weniger Stunden. Danach hat er die Story zum Geschehen geliefert. Diese Erzählung hatte zwei Hauptbotschaften. Erstens: Ich habe jahrelang versucht, Kompromisse zu finden, mich selbst verleugnet, nur dem Lande wegen. Ich war langmütig bis zum Exzess. (Botschaft: Ich bin ein verantwortungsvoll handelnder Kerl und außerdem habe ich sehr viel Selbstkontrolle). Zweitens: Jetzt reicht es aber, denn der FDP-Chef Lindner hat mich jetzt einmal zu oft betrogen. (Botschaft: Ich bin im Notfall auch entschlossen und entschieden, und dass es so kam, das ist nicht meine Schuld sondern die des Anderen…).

Merz versus Scholz

Das ist der erste Schritt von Scholz‘ Plan: Im Rückblick soll er als der Gute, der Andere als der Charakterlose dastehen. Dieser erste Schritt ist schon einmal gut aufgegangen. 40 Prozent sehen die Verantwortung für das Ampel-Aus bei der FDP, nur 19 Prozent bei der SPD.

Schritt zwei von Scholz‘ Plan ist: In den Umfragen ein bisschen nach oben klettern. Noch liegt die SPD bei nur 16 Prozent, die Union unter Friedrich Merz bei mehr als 30 Prozent.

Schritt drei ist: In einem zersplitterten Parteiensystem den Wahlkampf auf ein Kanzlerduell zuspitzen. Scholz Wette, wenn man das so nennen kann: Wenn klar wird, dass die Alternative lautet, Scholz oder Merz, dann werden sich viele im Zweifel für Scholz entscheiden. Vielleicht weniger, weil sie Scholz so gut finden, sondern weil Merz eben Merz ist. Schließlich: Wer will am Ende schon Merz? „Es ist mir recht“, wenn Merz der Gegenkandidat ist, sagte Scholz zuletzt im ARD-Talk mit schelmischem Grinsen. „Ich finde, die Unterschiede zwischen uns sind groß. Im Charakter und Temperament.“

In einer solchen Duell-Zuspitzung hätten zudem auch die kleineren Parteien ein richtiges Problem, ins Spiel zu kommen. So könnten auch die Rechtsextremisten von der AfD und auch Wagenknechts Linkspopulisten klein gehalten werden – oder zumindest einigermaßen auf Abstand.

Wenn das alles nach dem Plan von Olaf Scholz läuft, dann liegt seine Partei vielleicht am Ende wieder bei 26 Prozent, die CDU/CSU unter Friedrich Merz bei 25 Prozent und Scholz bleibt Kanzler einer Großen Koalition (im Notfall unter Einbeziehung der „Grünen“). Denn andere Regierungsvarianten werden sich bei einem zersplitterten Parteiensystem sowieso nur schwer ausgehen. Die FDP wird es kaum mehr in den Bundestag schaffen, mit der Wagenknecht-Partei und der rechtsextremen AfD wird niemand regieren wollen. Ergo: Es kann nur eine Große Koalition geben und Kanzler wird, wer von den beiden Ex-Volksparteien die Nummer eins wird.

Krisenstimmung

Kann dieser Plan aufgehen? Nun, es ist nicht völlig ausgeschlossen. Der Plan hat allerdings ein oder zwei Haken. Erstens: Heute ist, als Langfristfolge von Covid-19, Krieg und Inflationskrise die gesellschaftliche Atmosphäre für Amtsinhaber extrem ungünstig. Das ist nahezu überall so. Die Regierenden werden für allen Unbill haftbar gemacht, selbst für den, für den sie nicht verantwortlich sind. Es gibt heute keinen „Kanzlerbonus“, sondern eigentlich nur mehr einen „Amtsinhaber“-Malus. Zweitens: Abgesehen von den inhaltlichen Botschaften (Mindestlohn, „Respekt für Dich“) war für den Scholz-Sieg 2021 das Empfinden verantwortlich, dass in einer sehr komplizierten Zeit hier ein Politiker antritt, der zwar nicht begeistern kann, weil er eine sehr hölzerne Art hat und auch sonst relativ fad ist, der aber weiß, wie man regiert. Dass man sich darauf verlassen kann, dass er sein Geschäft versteht, nämlich die Mikrophysik von Macht, Koalitionsführung, regieren. Dass bei ihm die Regierung in guten Händen ist. Das lange Tohuwabohu in der Ampel-Regierung, missglückte Gesetze, ein vom Verfassungsgericht aufgehobener Haushalt, die ganze Abfolge von Managementunfällen haben das Bild des pragmatischen Könners allerdings ordentlich zerzaust. Deswegen ist es doch unwahrscheinlich, dass Scholz auch diesmal das Wunder schafft.

Aber vollkommen ausgeschlossen ist es nicht.

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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