In einer akkordierten Aktion haben viele österreichische Journalistinnen und Journalisten am Wochenende vom Mikroblog Twitter zu Bluesky gewechselt. Schön wäre es, wenn man den wirklichen Grund für den Twitter-Exit auch ausspräche: Die Super-Reichen und Super-Rechten zerstören jede öffentliche Plattform, die sie für bedeutsam halten.
Nun scheint die Welt der öffentlich-selbstrechtlichen Meinungsschlachten wieder so zu sein wie anno 2009, als auf Twitter meist Personen des öffentlichen Lebens halbwegs vernünftig diskutierten. Aber Bluesky gibt es schon länger. Ich habe dort immer wieder meine Artikel gepostet und auch viele Menschen und Plattformen gefunden, von denen ich regelmäßig lese: Doro Blancke, die Media-Watch-Plattform Kobuk, Hagerhard, das Momentum-Institut und viele andere. Die Stimmung war bisher gut. Die Rechthaberei und Aggression, die auf Twitter herrschte, gabs hier nicht. Und man musste auch nicht ständig lesen, dass sich der Zug nach Dingshofen um drei Minuten verspätet hat oder ein Sitzplatz in der ÖBB-App nicht reserviert werden konnte.
Es war aber auch sehr ruhig auf Bluesky. Das scheint sich zu ändern. Plötzlich wurde bekannt, dass Elon Musk ein widerlicher Faschist und nicht nur Medieninhaber sondern auch strammer Parteipolitiker ist. Letzteres unterscheidet ihn zwar nicht von den meisten österreichischen Medieninhabern, aber: Die Zugvögel sind angekommen. Alle Vöglein sind dem Gezwitscher entflohen und versprechen sich das Blaue vom Himmel. Auf Standard.at berichtet Harald Fidler am Sonntag:
Armin Wolf, Ingrid Brodnig, Florian Klenk und Dutzende weitere österreichische Journalistinnen und Journalisten legen ihre Accounts auf “X” aus Protest gegen die “Hate-Speech-Schleuder” X (Wolf) still. Sie wechseln in einer konzertierten Aktion unter dem Hashtag #eXit auf die Plattform Bluesky.
Alle Vöglein sind schon da
Damit sind die Leitfiguren des Umzugs genannt. Die Größe der Vogelschar ist das, worum es eigentlich geht:
Die Journalistinnen und Journalisten haben auf “X” hunderttausende Follower, Armin Wolf etwa kam zuletzt auf 640.000, Florian Klenk auf rund 349.000 und Corinna Milborn auf mehr als 160.000.
Ausländische JournalistInnen werden erst zweitgenannt:
Am #eXit beteiligen sich neben ORF-Anchorman Armin Wolf und STANDARD-Koluministin und Autorin Ingrid Brodnig etwa Florian Klenk (Falter), Gerold Riedmann (DER STANDARD), Martin Kotynek (Media Forward Fund), Stefan Kappacher (ORF), Barbara Toth (Falter), Euke Frank, Dieter Bornemann (ORF), Thomas Mohr (Puls 4/Puls 24), Corinna Milborn (ProSiebenSat1Puls4), Stefan Kaltenbrunner, Cathrin Kahlweit (Süddeutsche Zeitung), Oliver Das Gupta (SPIEGEL/STANDARD), Patrick Gruska (ORF).
Die Spitze der „Meinungsmacher-Elite“, die für Der Standard aus Armin Wolf, Ingrid Brodnig und Florian Klenk besteht, hat für Die Presse eine nur leicht andere Zusammensetzung:
Es galt lange als Plattform der Meinungsmacher-Elite. Nun legen mehrere österreichische Journalisten ihre Accounts auf der Kurznachrichtenplattform X still. Darunter ORF-Journalist Armin Wolf, der Chefredakteur des Wochenmagazins „Falter“, Florian Klenk, und Puls4-Moderatorin Corinna Milborn.
Und die Ankunft von Amsel, Drossel und Fink beginnt mit Werbung:
Damit verabschieden sich nicht nur zwei meinungs-, sondern auch reichweitenstarke Persönlichkeiten von der Plattform. ORF-Anchorman Armin Wolf folgten auf „X“ mehr als 639.000 Menschen. Bisher hat der Journalist mehr als 126.000 Postings abgesetzt. Seit Februar 2009 war er auf der Plattform. Bevor er seinen Abschied verkündete, meldete er sich am Sonntag noch mit einer Art Werbeeinschaltung in eigener Sache zu Wort: „Noch 37 Mal schlafen, dann ist Weihnachten. Falls Sie gerne Bücher verschenken, hätte ich 2 Tipps für Sie: „Der Professor und der Wolf“ (…) und ganz neu – „Praktischer Journalismus“. Hinzu fügte er die Links.
Von Kultur ist nicht die Rede
Freilich kommt der Zeitpunkt nicht von ungefähr. In den USA hatten sich zuvor schon viele Prominente öffentlich von Twitter abgewandt. Tobias Burtscher in der Kleinen Zeitung:
Paukenschlag in der heimischen Twitter-Blase: Nicht nur etliche internationale Prominente, wie etwa Elton John, Whoopi Goldberg, Jim Carrey oder Gigi Hadid haben dem Musk-Netzwerk bereits den Rücken gekehrt. Auch zahlreiche namhafte österreichische Journalisten und Meinungsmacher, die besonders viele Follower im fünf- und sechsstelligen Bereich besitzen, haben sich für Sonntagabend „verabredet“, um das Soziale Netzwerk um Punkt 18 Uhr unter dem Hashtag #eXit zu verlassen. Fast alle wechseln zu Bluesky.
Leider, leider ist niemals von Kultur die Rede; nicht von Film, Theater, Literatur und Kunst, sondern immer nur von Politjournalismus. Und darin liegt auch der wunde Punkt aller Plattformen, die statt redaktionell Qualität zu fördern, algorithmisch Quantität fördern.
Die Medienvereinnahmung wütet weiter
Auch kann man Uhren und Kalender nicht auf das Jahr 2009 zurückstellen. Seither hat eine beispiellose Welle oligarchischer und parteipolitischer Medienvereinnahmung gewütet. Vergessen wir nicht, dass in den letzten Jahren mit der Wiener Zeitung die Regierung ohne Not eine Qualitätszeitung von historischem Wert eingestellt und dafür rechtspopulistische Onlinemagazine gefördert hat; dass der Verband der österreichischen Zeitungsverleger ORF.at, Österreichs größtes Online-Medium, zerstört hat und dass sich Österreich in der Rangliste der Pressefreiheit im freien Fall befindet. Und Medienvereinnahmung und Medienausverkauf wüten weiter. Das ist eine große Bedrohung für die demokratische Welt.
Hinter der Flucht von Twitter steckt vor allem eines: Rechte Super-Reiche wie Elon Musk zerstören jeden öffentlichen Raum, den sie für wichtig halten. Und das werden sie auch mit Bluesky tun, wenn es ihnen groß und bedeutsam genug erscheint.
Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com