Geht es nach den Wünschen von Industrie- und Energiekonzernen, soll Wasserstoff im Energiesystem der Zukunft eine tragende Rolle spielen. Doch der Energieträger ist ineffizient, ressourcenintensiv und teuer. Der Wasserstoff-Hype gefährdet die dringend notwendige Energiewende und bedient die Interessen der Gaslobby.
Von Emma Schrade und Elena Josten
Im Wahlkampf 2024 sprachen sowohl Karl Nehammer als auch Herbert Kickl in höchsten Tönen von der angeblichen Brückentechnologie Wasserstoff. Und die EU-Kommission will bis 2027 18,8 Milliarden Euro in die Finanzierung von Wasserstoffprojekten stecken.
Kein „grüner“ Wasserstoff in Sicht
Aktuell wird weniger als ein Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs tatsächlich mit erneuerbaren Energien hergestellt. Die übrigen 99 Prozent stammen aus fossilen Brennstoffen und tragen somit massiv zum CO₂-Ausstoßes bei.
Für die von der EU geforderte „grüne“ Wasserstoffproduktion wären absurde Dimensionen von Land und Wasser notwendig: Allein für einen – mit grünem Wasserstoff betriebenen – Flug von Frankfurt nach Tunis wäre 1 Gigawatt erneuerbare Elektrizität nötig. Das entspricht einer Fläche von etwa 2.100 Fußballfeldern (1.500 bis 1.800 Hektar) für die benötigten Solarpaneele. Für die 1,8 Millionen Tonnen Wasserstoff, die in Österreich hergestellt werden sollen, wäre nach Schätzungen ungefähr die halbe Fläche des Burgenlands nötig.
Vom aktuellen Wasserstoff-Hype profitiert vor allem die Gaslobby, die bestehende Infrastrukturen weiter nutzen und die „grüne“ Transformation Europas nur scheinbar unterstützen will. In Wahrheit dienen die Milliardeninvestitionen also primär dem Erhalt der fossilen Energiewirtschaft. Denn ein Großteil der Pipelines, die den Wasserstoff transportieren sollen, sind aktuell noch Gaspipelines, die teuer und aufwendig abgedichtet und umgebaut werden müssten. Um Wasserstoff möglichst lukrativ zu machen, werben Vertreter fossiler Unternehmen auch für den Einsatz von Wasserstoff in Sektoren, in denen die Nutzung bekannterweise ineffizient ist, wie etwa im Individualverkehr oder dem Heizen.
Falsche Entwicklungsversprechen
Besonders fragwürdig ist der Plan, den Großteil des Wasserstoffbedarfs durch Importe aus Ländern des Globalen Südens zu decken. Die Argumentation, dass diese „Wasserstoffpartnerschaften“ den dortigen Ländern durch Investitionen zugutekommen, hält der Realität kaum stand.
Die nötigen Landflächen würden von multinationalen Konzernen auf Kosten der Natur und der lokalen Bevölkerung beansprucht. Die Folgen sind etwa Landvertreibung, Wassermangel und unzureichende demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung vor Ort. Denn in den vorwiegend autokratisch regierten Ländern finden Kritiker kaum Gehör. So wurde etwa das Dorf Segdoud in Tunesien von der Regierung willkürlich beschlagnahmt und zu Staatseigentum gemacht, um ein Megaprojekt des französisch-marokkanischen Konzerns Engie-Narvea zu ermöglichen.
Die Produktion von grünem Wasserstoff ist – im Vergleich zu fossilen Energien – äußerst kostenintensiv. Um möglichst viele Investitionen anzuziehen, sollen daher die Steuersätze europäischer Energiekonzerne in wasserstoffproduzierenden Regionen gesenkt werden. Dies erhöht zwar ihre Gewinnmargen, doch die lokale Bevölkerung profitiert davon kaum.
Zusätzlich erschwert der hohe Energieverbrauch der Wasserstoff-Produktion die Energiewende vor Ort. Denn der grüne Wasserstoff wird ja für die energieintensive Industrie im Globalen Norden exportiert.
Demokratische Transformation der Energiewirtschaft
Der Europäische Rechnungshof kritisierte bereits im Juli 2024 die EU-Wasserstoff-Strategie und forderte eine Kurskorrektur: Die Ziele seien politisch motiviert und spiegelten nicht die tatsächliche Entwicklung von Produktion sowie Im- und Export wider. Die EU und Österreich sollten ihre Wasserstoffstrategie daher grundlegend überdenken. Ein Energiesystem, das sich an den Interessen der Gaslobby und internationaler Investoren orientiert, kann die Klimakrise nicht lösen. Genauso wenig ist den Arbeitnehmer*innen hierzulande wie in den Exportländern mit politischen Luftschlössern gedient, die eine gerechte sozial ökologische Wirtschaftswende nur verschleppen.
Wir brauchen eine gerechte Transformation der Wirtschaft, die sich nicht auf zwielichtigen Energiedeals mit autoritären Regimen stützt und zur sozialen und ökologischen Ausbeutung anderer Länder beiträgt. Diese Transformation muss mit einer grundlegenden Debatte über Energieeffizienz in der Industrie und dem maßvollen Einsatz neuer Energieformen einhergehen.
Es ist höchste Zeit für eine Demokratisierung des Energiesystems, von der lokale Gemeinschaften und Umwelt profitieren. Statt Konzerngewinnen müssen dabei Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Klimagerechtigkeit an erster Stelle stehen.
Emma Schrade und Elena Josten sind Energie-Expertinnen bei Attac Österreich
Attac Petition “Energieversorgung demokratisieren!”
Titelbild: Sarah Goldschmitt/Attac