Mittwoch, Dezember 11, 2024

Enteignet Musk!

Kann die Demokratie das Internet überleben? Wohl nur, wenn man es aus den Krallen von Oligarchen befreit.

Wenn heute der Aufschwung rechtsradikaler und faschistischer Parteien analysiert wird, kommt die Rede üblicherweise ganz schnell auf Aspekte wie die Wut politisch „Verlassener“, deren Gefühl, nicht mehr vertreten zu sein, auf die Erosion des hergebrachten Parteiensystems und die Unfähigkeit der etablierten politischen Klasse. Oder auf die regelrechte Angstepidemie durch die bedrohlichen „Polykrisen“ der Gegenwart. Und das ist ja alles auch sehr richtig, ebenso wie dutzende weitere wichtige Aspekte von Wohlstandsstagnation bis zur gegenwärtigen Krise der Industrie.  

Aber worüber komischerweise viel seltener gesprochen wird ist das Internet und damit der Strukturwandel von Öffentlichkeit und die Bedeutung von Social Media.

Mein Verdacht ist, dass das auch ein wenig an Routinen und Gewohnheiten liegt: Für die ausgetretenen Pfade der politologischen Debatten haben die Kommentatoren und wir alle unsere hergebrachten soziologischen und expertenhaften Begriffe und Kategorien bei der Hand.

Wir können schön erklären, dass es einen Überdruss am „System“ gibt, einen Wunsch nach Wandel, und dass dieser heute von den rechten Radaubrüdern repräsentiert wird, die anderen aber eher lahm sind oder sogar als Verkörperung des Etablierten erscheinen. Bei solchen Analysen kann man sich an Leitplanken anhalten, an Erklärungsmustern, die teilweise schon hundert Jahre am Buckel haben und nur da und dort leicht angepasst werden müssen. Die Auswirkungen der Kommunikations-Revolution sind dagegen noch – vergleichsweise – neu und verwirrend. Außerdem war die Bedeutung von Medien in den Analysen immer schon unterbelichtet. Eher wird so getan, als gäbe es den Wandel, die Konflikte, die soziologischen Gegebenheiten, die politischen Grabenkriege, den Aufstieg neuer sozialer Milieus – und Medien? Die bilden das halt ab. Die spiegeln das wieder. Es wird dabei immer schon viel zu wenig beachtet, wie die Funktionsweise medialer Kommunikation und deren technologische Seite diese Konflikte und Grabenkriege beeinflussen oder gar erst herstellen. Dabei wären die demokratischen Revolutionen ohne die Verbreitung der Zeitung als Massenmedium in den 1840er Jahren wohl ebenso unmöglich gewesen wie der Hurra-Patriotismus zu Beginn des ersten Weltkrieges oder der Aufstieg der Faschisten und die Perfektionierung ihrer Propaganda in den 1930er Jahren ohne elektronische Medien, ohne Radio, Film und Fotografie.

Der Albtraum von der „Schwarm-Dummheit“

Ich habe vor mittlerweile zehn Jahren einmal einen Vortrag mit dem damals ausgesprochen provokativen Titel gehalten: „Kann die Demokratie das Internet überleben?“ Vielleicht wäre er ja auch heute noch provokativ, aber wahrscheinlich würde man heute eher offene Türen mit der These einrennen, dass die Polarisierungsmaschinen und Gereiztheits-Technologien der Sozialen Medien Rattenfängern und Kurpfuschern ein mächtiges Instrument in die Hände geben.

Dabei hatte man zu Beginn des Web-Zeitalters eigentlich noch gedacht, das Internet sei ein Motor der Demokratisierung. In autoritären Regimes kann mit dem schwer kontrollierbaren Internet zumindest da und dort eine freie Kommunikation einsickern; die demokratischen Länder werden noch mehr demokratisiert, weil jetzt einfach jeder mitreden kann, weil nicht nur die einen senden und die anderen zuhören, sondern jeder in gewissem Sinne „Sender“ ist. Sogar von der „Schwarmintelligenz“ war die Rede, dass also sowohl die Debatten als auch die politischen Entscheidungen besser werden, wenn alle mitreden, weil sich jetzt wirklich die Weisheit der Vielen addieren werde. Ja, lachen Sie nicht: Ende der Neunziger, Anfang der Nuller-Jahre waren die Titelblätter der Magazine voll mit dieser romantischen Zuversicht.

Diese rosigen Ausblicke liegen heute vollständig in Trümmern, statt der Schwarmintelligenz regiert die Schwarmdummheit.

Je schriller, desto auffälliger

Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Schon das, was am Wandel der Öffentlichkeit positiv ist, hat sehr bald seine Schattenseiten gezeigt. Während sich normale, etablierte Medien an einer Art „Mainstream“ orientierten, und damit selbst abweichende oder sogar radikale Ansichten auf gemäßigte Weise zu formulieren konnten sich überspannte Radikale ihre eigenen Medien schaffen. Das Netz wurde ein Tummelplatz für Verschwörungstheoretiker, Rassisten, Islamisten, Dschihadisten. Es kam aber auch noch etwas anderes hinzu, nämlich radikal neue Anreize: Im Kampf um Aufmerksamkeit hatte das Schrille plötzlich Vorteile. Je lauter, je verrückter, desto eher klickte man etwas an. Ist etwas klug, aber ausgewogen oder gar maßvoll, ist es so fad, dass es im Datenmeer des Netzes keine Chance auf Aufmerksamkeit hat. Man stellte auch schnell fest: Im Netz dominiert das Rotzige, die Schimpfkanonade. Wir alle sind im Netz andere als wir normal sind. „Privat bin ich ja ganz nett, nur im Netz bin ich ein Arschloch“, sagte ich manchmal selbstironisch zu Gesprächspartnern. Wir lachten dann natürlich. Aber in dem sarkastischen Ausspruch steckt schon mehr als nur ein belangloser Scherz. „Der Moderate geht im Kampf um Beachtung unter – wahrgenommen werden die steilen Thesen“, schrieb ich schon 2007, was jetzt bald zwanzig Jahre her ist. Ich sage das nicht, um zu beweisen, welch hellsichtiger Kerl ich war, sondern um zu dokumentieren, dass sich das alles schon seit zwei Jahrzehnten abzeichnet. Dass das alles keineswegs neu ist, sondern die Medienpolitik diese Herausforderung seit Jahrzehnten verschläft.

„Je durchgeknallter, umso auffälliger“, schrieb ich damals, und verwendete den Begriff vom „Mob 2.0“, der bereits kursierte, also gar nicht von mir erfunden wurde. „…das Gerüchtestreuen, die täglichen Rufmorde, das Hochschaukeln, Anschwärzen, die Erosion aller Dämme, die zu beobachten sind, wenn anonyme Poster alles in die Welt setzen können. Denunzianten hatten noch nie so eine schöne Zeit…“

Dreckslöcher von Wut, Zorn und Emotionalisierung

Selbst in „neutralen“ und moderierten sozialen Netzwerken oder Posting-Foren herrschte bald ein aggressiver, negativer Ton vor, der sich dann selbst verstärkte, da jene, die dieser abstieß, vertrieben wurden oder leise und passiv blieben.

Twitter war natürlich auch schon ein Shithole – ein „Drecksloch“, bevor es Herr Musk übernahm.

Die kommerziellen Plattformbetreiber merkten auch schnell: Wut, Zorn, Exzess und schlechte Stimmung nützen ihnen, da negative Emotionen die User viel mehr als positive Emotionen oder emotionale Neutralität anstachelten, aktiv und involviert zu bleiben. Ärgern wir uns, bleiben wir bei der Stange. Das heißt: mehr Negativismus nützte ihren Geschäftsinteressen, weniger Negativismus schadete ihnen. Sie passten ihre Algorithmen daran an: Sie zeigten uns vornehmlich das, von dem sie annahmen, dass es uns empören oder erregen würde. Und wir passten uns auch an: Wer im Netz wahrgenommen werden wollte, wusste, er muss die User „triggern“ – und das macht man am besten, indem man sie aufs Blut reizt.

Spätestens dann war es auch mit der Neutralität zu Ende. Autokratische Regimes merkten, dass sie mit Trollarmeen – den berühmten „Bot-Farms“ – die politische Atmosphäre in anderen Gesellschaften viel effektiver beeinflussen können, als sie das früher mit Agenten oder Propaganda geschafft hätten. Und rechtsextreme Oligarchen entdeckten, dass die Technologie, Architektur und die inneren Gesetze der Social-Media-Kommunikation mächtige Instrumente dafür sind, ihre politische Agenda zu verfolgen. Elon Musk, der mit X heute versucht, in alle Wahlen überall auf der Welt einzugreifen, ist nur ein besonders durchgedrehtes Beispiel dafür. TikTok, das die Gehirne der jungen Generation vergiftet, ist ein weiteres.

Milliardäre kaufen sich Politiker und Wahlergebnisse

Es wird oft kritisiert, dass die Linken oder progressiven Kräfte das Internet verschlafen hätten oder einfach nicht gut genug darin seien, eine Netzpräsenz aufzubauen, die es mit der Propagandawelle der Rechtsextremisten und ihrer Milliardär-Finanziers aufnehmen könnte. Aber die Art, wie soziale Medien funktionieren, ist in sich schon vorteilhaft für alle, die Missgunst, Hader, kopflosen Zorn schüren wollen und nicht für vernünftige Argumente gemacht. Ganz zu schweigen von der Ambiguität, dem Für und Wider, das klugem Nachdenken innewohnt.

In jedem Fall sind sie eher Orte des Frusts und taugen nicht zu Orten der Hoffnung.

Und dass das Netz zu Beute von milliardenschweren Oligarchen wird, die merken, dass sie sich Regierungen und Wahlergebnisse kaufen können, macht die Sache noch einmal übler. Progressive und linke Netzkommunikation ist zwar dennoch notwendig, da man im Kontext der Realitäten agieren muss, die man vorfindet, aber niemand soll sich täuschen: Es ist wie ein Fußballmatch, bei dem die eine Mannschaft steil bergauf spielt und die andere bergab. Oder wie eine TV-Diskussion, bei der der einen Seite das Mikrofon immer laut gedreht wird, und immer abgedreht wird, wenn die andere Seite spricht. Mit Ausgewogenheit hat das schon lange nichts mehr zu tun. Die Milliardäre und Geldsäcke haben sich von dem verabschiedet, was die Nachkriegsdemokratien ausgezeichnet hat. Sie glauben vielmehr, sie können sich Populisten, Möchtegern-Tribune und Schreihälse halten, die dafür sorgen, dass ihre Geschäfte ungestört laufen.

Enteignet Musk!

Letztendlich gibt es die große ungestellte Frage, an die sich offenbar niemand herantraut, gewissermaßen der Elefant im Raum. Müssten Demokratien die sozialen Medien einfach abschalten, um sich zu verteidigen? Oder diese heute so wichtige Infrastruktur der Demokratie dem brutalen Griff extremistischer Geschäftemacher entreißen, indem man sie enteignet und in öffentlich-rechtliche Plattformen verwandelt?

Es sagt auch viel über die Verrücktheit unserer Zeit aus, dass die Forderung „Enteignet Musk“ wohl schon als „zu extrem“ angesehen würde, während es offenkundig als „normal“ gilt, dass milliardenschwere Extremisten die Infrastrukturen der Demokratie einfach kapern und den ganzen Planeten verhetzen dürfen.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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