Stefan Pierer & Co. Die „Ganz Großartigen Männer“ (GGM), ein besonders gewinnender Charaktertypus der Gegenwart.
Es war eine reichlich amüsante Antwort, die Angela Merkel unlängst auf die Frage gab, was denn ihre ersten Gedanken beim deutschen Ampel-Crash waren: „Männer!“ – war die Replik der Langzeitkanzlerin.
Man kann das natürlich für eine etwas billige und auch eher unpolitische Pointe halten, aber wenn man sich in der Welt so umschaut, dann begegnet man natürlich dauernd irgendwelchen Männeregos, deren Selbstsicherheit umgekehrt proportional zu ihrer Genialität ist.
In Oberösterreich legte KTM, der Fahrzeugkonzern von Stefan Pierer, gerade eine kapitale Pleite hin. Alleine bei KTM zittern nun bis zu 3.600 Beschäftigte um Jobs und Existenz. Bis zu 2 Milliarden Euro – manche Beobachter schätzen sogar bis zu 3 Milliarden Euro – hat das Management an Schulden angehäuft, denen nur sehr viel weniger Aktiva gegenüberstehen. Zugleich sollen, so ist Berichten zu entnehmen, Fahrzeuge im Wert von bis zu einer Milliarde Euro unverkauft auf Halde stehen (Motorräder, E-Bikes). Mit der konjunkturellen Krise, Absatzproblemen und der verschlechterten Wettbewerbsposition der österreichischen Industrie durch die Kostensteigerungen (Inflation, Energiepreise, dem Lohnanstieg…) ist das bei weitem nicht zu erklären. Denn wenn sich der Geschäftsgang eintrübt, erkennt man das üblicherweise in einem Großunternehmen, bevor man krachend an die Wand fährt und bevor man fällige Rechnungen in Milliardenhöhe nicht mehr begleichen kann. Auch, dass die eigenen Produkte nicht mehr den erhofften Absatz finden, sollte sich andeuten, bevor sich ganze Hangar voller unverkäuflicher Zweiräder stapeln.
Zulieferer stehen im Regen
Es geht bei all dem schließlich nicht um das KTM-Unternehmen alleine, das gerade ins Trudeln gekommen ist. Hunderte oder tausende Zulieferer werden jetzt auf ihren offenen Rechnungen weitgehend sitzen bleiben – in der Insolvenz bekommen sie vielleicht noch 30 Prozent der Einkünfte, mit denen sie eigentlich gerechnet haben und für die sie schon Produktionskosten, Löhne, Vorprodukte bezahlt haben. Wenn es schlecht läuft, reißt das viele kleine Unternehmen in die Pleite und kostet viele hunderte Arbeitsplätze.
Mindestens die November-Löhne und -Gehälter der KTM-Beschäftigten wiederum werden nun aus dem Insolvenz-Ausgleichsfonds bezahlt, also ganz grob gesagt: von der Allgemeinheit.
All das ist unschön, tragisch für die Betroffenen, gleichzeitig kommt so etwas natürlich vor im Wirtschaftsleben. Was man von den Verantwortlichen freilich keineswegs hören will, sind gute Ratschläge.
Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren
Der von seiner Großartigkeit tief überzeugte Herr Pierer war ja immer schnell zur Stelle, wenn es darum geht, seine Lieblingskoalitionen zu pushen oder wirtschaftspolitische Schlaumeieren zu verbnreiten. Etwa, dass der „Faktor Arbeit“ entlastet werden müsse, dass eine unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik her muss mit einer Senkung der berühmten „Lohnnebenkosten“ und sowieso heutzutage alle viel zu faul seien. Nun werden aus den Lohnnebenkosten nicht nur die Sozialbeiträge – Arbeitslosenversicherung, Gesundheitssystem – bezahlt, sondern eben auch ein kitzekleiner Anteil der Lohnkosten in den „Insolvenzausgleichfonds“ überwiesen. Genau jener Fonds, der jetzt die Löhne bezahlt, die Herr Pierer nicht mehr stemmen konnte.
Das zeigt schön die Chuzpe der „ganz großartigen Männer“ (GGM) vom Typus Stefan Pierer: Erst den Sozialstaat anprangern, und ihm dann die Kosten für die eigene Misswirtschaft umhängen.
Aber die Maxime „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“ ist ohnehin die große Leitlinie, der die GGM ganz üblicherweise folgen.
Dummdreiste Phrasendrescher
Relativ weit oben auf der nach oben offenen Chuzpe-Skala dürfte die Kampagne rangieren, die die Industriellenvereinigung Oberösterreich gerade gestartet hat – wobei möglicherweise neben Chuzpe einfach viel Pech oder einfache Blödheit beim Timing zu diagnostizieren ist. „Kapitalismus oder Kommunismus?“ schreit die Industriellenvereinigung Oberösterreich gerade ins Internet, und empfiehlt „mach dir selbst ein Bild“. Macht man sich mit ein paar Klicks selbst ein Bild, dann erfährt man, dass ein möglichst ungezähmter Kapitalismus voll super ist, der kollektivistische Kommunismus dagegen total kacke. Nun bin ich mit den politischen Verhältnissen in Oberösterreich nicht ganz vertraut, ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass zwischen Steyr, Wels und Ried demnächst der Kommunismus ausbricht. Wie es auch sei, die Kampagne ist natürlich perfekt zu einer Zeit, in der Herr Pierer – immerhin der Präsident der Industriellenvereinigung des Landes – auf die Frage „Kapitalismus oder Kommunismus?“ gerade die Antwort gegeben hat: „Ich nehme das Beste aus beiden Welten, bitte die Gewinne in meine Tasche und die Verluste den Anderen umhängen…“
Es ist so dumm wie es dreist ist: Denn wir stehen ja gerade eben nicht vor der Alternative „Hemmungsloser Total-Kapitalismus oder kommunistische Staats- und Planwirtschaft“, sondern sollten einen einigermaßen optimalen Mittelweg finden mit privatem Unternehmertum, sozialstaatlicher Absicherung und öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Forschung, Zukunftstechnologien in jenen Sektoren, in denen der Markt üblicherweise versagt. Was wir sicherlich nicht brauchen, ist dagegen eine Propaganda, die so doof, vertrottelt und von einer geistigen Schlichtheit ist, dass es schon richtig weh tut.
Gigantomanie und Aufgeblasenheit
Wovon wir langsam auch geheilt sein sollten, sind die Ratschläge der aufgeblasenen „Ganz Großartigen Männer“, die dauernd für eine Kickl-Regierung plädieren, die glauben, sich die Politik kaufen zu können, die uns mit Millionen an Spendengeldern einen Sebastian Kurz und seine Buberlpartie eingebrockt haben und die ganz generell ihr Möglichstes getan haben, dass unser Land seit Jahren immer tiefer in die Sackgasse gerät. Und die dabei in milieutypischer Aufgeblasenheit und Gigantomanie stets den Superschlaumeier raushängen ließen, der sich wie selbstverständlich anmaßte, anderen Zensuren zu erteilen und den aus ihrer Sicht erfolglosen, wirtschaftsinkompetenten Normalbürgern erklärten, wo es langzugehen habe. „Es war eine Enttäuschung, das nehme ich zur Kenntnis“, sagte Pierer vor einigen Monaten in einem „Standard“-Interview um dann eine reizende Formulierung zu finden: „Meine Zeiten als Weltverbesserer sind vorbei.“
Weltverbesserer ist ein schöner Begriff für diese Welt aus Champagnisierern, Freunderlwirtschaftern, Aphatieren, die stets drei, vier Phrasen parat haben und sich daher sowohl für Staatslenkung als auch für Makroökonomie und Gemeinwohlfragen zuständig fühlen. Wenn irgendetwas an ihnen beeindruckend ist, dann ist das vor allem ihr beneidenswertes Selbstbewusstsein.
Mit Angela Merkel möchte man ausrufen: „Männer!“ – Die zwei, drei vergleichbaren Frauen sind mitgemeint.