Was kommt nach dem Sturz Assads? Internationale Pressemeldungen zum Ende der Baath-Diktatur in Syrien.
Auf der Webseite des Bundesministeriums für Inneres der Republik Österreich ist viel zu lesen über sogenannte »illegale Migration«; ein Begriff, den man uns seit Jahren von höchster Stelle locker hinwirft, ohne zu erklären, wie man denn einem mordenden autoritären Regime entkommen soll, ohne seine Gesetze zu brechen. Seit kurzem gibt es einen illegalen Migranten mehr auf der Welt: Baschir al-Assad. Noch dieses Jahr behaupteten Rechtsparteien und das Bündnis Sahra Wagenknecht, dass das angeblich von ihm regierte Land Syrien ein sicheres Land sei und man Flüchtlinge dorthin rückführen könne.
Wladimir Putins Russland wird in Assads Fall wohl von der Abschiebung absehen und die Sicherheitsbedenken des früheren Diktators ernst nehmen. Eine solche Behandlung widerfährt den restlichen vier Millionen Menschen (von insgesamt zweiundzwanzig Millionen Einwohnern), die nach konservativen Schätzungen vor dem seit 2011 Jahren tobenden Krieg in Syrien geflohen sind, nicht. Der Guardian beziffert ihre Anzahl höher:
Seit 2011 wurden mindestens 300.000 Menschen getötet und 100.000 sind verschwunden. Die Hälfte des Landes – etwa 12 Millionen Menschen – wurde aus ihren Häusern vertrieben, wobei etwa 5,4 Millionen Menschen im Ausland Schutz gesucht haben.
Ein friedlicher Neustart?
Ob den neuen Herrschern, die dem vertriebenen Assad folgen, wohl mit Vertrauen begegnet werden kann? Wer sind sie und was wollen sie bewirken? Le Monde schreibt heute:
Am Sonntag, den 8. Dezember, nur wenige Stunden nach dem Einmarsch der Rebellen in Damaskus, betrat Abu Mohammed Al-Julani, der Anführer der islamistischen bewaffneten Gruppe Hayat Tahrir Al-Sham (HTS), die hinter der Offensive stand, die der Herrschaft von Baschar Al-Assad ein Ende setzte, ebenfalls die syrische Hauptstadt. Nach einer kurzen Niederwerfung auf einem Stück Rasen begab sich der Rebellenführer in Hemd und Khakihose in die majestätische Umayyaden-Moschee, eine Hochburg des sunnitischen Islams und ein Juwel des syrischen Kulturerbes.
In The Times wird leise Hoffnung für einen demokratischen Neustart und ein neues friedliches Zusammenleben aller Syrer nach 54 Jahren Diktatur geäußert:
Die Zusammensetzung der Rebellen – Islamisten, von den Amerikanern unterstützte Kurden, von der Türkei unterstützte Milizen – mag wie ein Rezept für weitere interne Konflikte klingen, aber viele Syrer hoffen, dass sie gemeinsam an einer Ãœbergangsregierung und dann an Wahlen arbeiten werden. Anas Salkhadi, ein Rebellenkommandeur, der im Fernsehen auftrat, sagte: „Syrien ist für alle da, ohne Ausnahmen. Syrien ist für Drusen, Sunniten, Alawiten und alle Sekten. Wir werden nicht so mit den Menschen umgehen, wie es die Familie Assad getan hat.
Wer sind die neuen Machthaber?
Der Guardian zweifelt daran, dass es den Syrern unter der Herrschaft der Rebellen des HTS besser gehen wird:
Der Rebellenführer wurde am Sonntagnachmittag bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Sturz der Assad-Regierung in der historischen Umayyad-Moschee in der Altstadt von Damaskus gefilmt – ein Anblick, der noch wenige Tage zuvor undenkbar war. Für die Syrer war die Botschaft klar: Assad ist weg, und die Rebellen haben die Kontrolle übernommen. Einige Einwohner äußerten Vorbehalte gegenüber der islamistischen Gruppe, da sie nach Jahren des erbitterten Bürgerkriegs revolutionären Gruppierungen gegenüber misstrauisch sind, die behaupten, das syrische Volk zu vertreten – insbesondere islamistischen Gruppierungen. Sowohl die HTS als auch die SNA sind für ihre Menschenrechtsverletzungen und ihre autoritäre Herrschaft in den von ihnen kontrollierten Gebieten bekannt.
Auch Tomas Avenarius in der Süddeutschen Zeitung macht klar, dass die sogenannten Rebellen weder für Frieden, Demokratie, Menschenrechte, Frauenrechte und Freiheit stehen, noch überhaupt als homogene Gruppe angesehen werden können:
Was die neuen Herrscher Syriens wollen, wird sich zeigen. Ebenso, ob sie sich untereinander überhaupt einigen können: Denn »die Rebellen« gibt es in Syrien nicht. Die Aufständischen sind ein zusammengewürfelter Haufen. Darunter sind islamistisch und dschihadistisch eingefärbte Milizen, fast immer in irgendeiner Form unterstützt von der Türkei. Dazu kommen kleine lokale und regionale Gruppen. Und natürlich die wenigen überlebenden Aktivisten der Zivilgesellschaft sowie eine uneinige und aufgeblasene Auslandsopposition.
Die Welt und Deutschland
Droht also Syrien nach der »Befreiung« ein ähnliches Chaos zu stürzen wie der Irak oder Libyen? Hier rächt sich die bigotte Haltung des Westens zum Islamismus und vor allem zum IS. Sowohl die Republikaner, die der Meinung sind, man müsse sich aus dem Konflikt heraushalten und dennoch Milliardengeschäfte mit Waffen machen, die der IS von US-Handelspartner bekommt, als auch die Demokraten, deren scheidender Präsident Biden nun Ziele in Syrien bombardieren ließ, agieren verlogen. Die Präsidenten und Außenminister beider Parteien konnten weder in Afghanistan noch im Irak oder in Libyen dafür sorgen, dass man den Boden für Frieden und demokratische Verhältnisse bereitet. Das wird auch die NATO nicht schaffen, vor allem nicht, solange die Türkei, die immer noch Kurden in Syrien angreift und tötet, ihr Mitglied ist.
Nicht so viele Gedanken über die Welt, sondern ausschließlich über sich selbst, macht man sich offensichtlich in Deutschland. Dort werden aus Weltnachrichten sofort Wahlkampfmunition und Propagandagranaten geschmiedet. Roland Nelles im SPIEGEL:
Naturgemäß beginnt damit die politische Debatte, wie es nun für die Geflüchteten aus Syrien in Deutschland weitergehen soll. Ende 2023 lebten laut Statistischem Bundesamt rund 712.000 syrische Schutzsuchende in der Bundesrepublik. Niemand weiß, ob sich die politischen Verhältnisse in Syrien bald so weit stabilisieren werden, dass diese Menschen dorthin zurückkehren könnten. Viele Syrer haben sich in Deutschland zudem längst erfolgreich ein neues Leben aufgebaut. Warum sollten sie gehen? Alles ist offen: Nicht ganz auszuschließen wäre sogar, dass der Bürgerkrieg erneut aufflammt und eine neue Flüchtlingswelle entsteht.
So oder so melden sich bereits mehrere Politiker von Union und AfD zu Wort, die fordern, dass keine weiteren Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen werden sollten. Auch wird über erste Szenarien zur Rückkehr der Geflüchteten diskutiert. Dagegen warnt der SPD-Außenpolitiker Michael Roth »vor einer populistischen Debatte mit dem Tenor: Jetzt müssen alle sofort wieder zurück«. Meinem Kollegen Christian Teevs aus unserem Hauptstadtbüro sagte Roth: »Ich fürchte, dass neben der AfD und dem BSW auch einige in der Union das im Wahlkampf fordern werden.«