Während das Trollfegefeuer X gerade von Journalisten und Journalistinnen, von Personen öffentlichen Lebens, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und von NGOs aller Art demonstrativ verlassen wird beschliesst Karl Nehammer, sich dem großen Manipulator an den Hals zu werfen und ihn ausgerechnet für das zu loben, das er erfolgreich auf seiner Plattform gekillt hat, nämlich die Meinungsfreiheit.
Von einem hohen Würdenträger würde man sich eigentlich erwarten, dass er sich dem Amt entsprechend verhält. Würde man. In früheren Leben. In jenem Leben, das man seit einigen Jahren führt, nämlich das Leben in der Welt, die man post-truth nennt, ist das natürlich etwas völlig anderes. Hier geht alles. Sexuelle Gewalt. Betrug. Lügen, dass sich die Balken biegen.
Korruption. Skandale aller Art. Anything goes. Bis es „rien na vas plus“ heisst. Ernsthaft, hätte mir damals jemand erklärt, dass ich in zehn Jahren in einer absurden, nie enden wollenden Version von Idiocracy auf Dauerschleife leben würde, ich hätte diese weise, ja kassandrische Person herzhaft ausgelacht.
Und, tja leider, ich hätte völlig unrecht behalten. Und obwohl ich die Möglichkeiten der Social Media liebe, diese körperlose Begegnung mit anderen, das aneinander Wachsen, die real-time-Enthüllungen, das Investigative, den Austausch, die Inspiration und ja, auch den kritischen Diskurs- obwohl ich all die positiven Aspekte schätze- sehe ich, wie ebendiese Technologie das lokale Miteinander vergiftet, die Politik, ja global betrachtet das menschliche Zusammenleben.
Die Technologie vergiftet das Zusammenleben
Das ist nur möglich, weil einige wenige Superreiche, die diverse Plattformen betreiben, unkontrolliert ihre Manipulationen umsetzen können, weil es keine Handhabe dagegen gibt (oder zu wenig), weil die Politik vor ihnen in die Knie geht- dort, wo man fest und firm Grenzen setzen müsste. Opfer digitaler Gewalt werden immer noch zu oft alleingelassen. Facebook
zensiert lieber Brustwarzen, und von der Hölle namens X brauchen wir eigentlich nicht mehr zu reden, die Hassmaschine, die Musk angeworfen hat und die er als Perpetuum Mobile immer weiter anheizt, bis ihm die Welt um die Ohren fliegt, aber da glaubt er bestimmt schon auf dem Mars zu sein. Oder wenigstens in einem kuscheligen Bunker mit swimming pool. Und während
das Trollfegefeuer X gerade von Journalisten und Journalistinnen, von Personen öffentlichen Lebens, Wissenschaflter und Wissenschaftlerinnen und von NGOs aller Art demonstrativ verlassen wird (beispielsweise die Bildungsstätte Anne Frank) beschliesst Karl Nehammer, sich dem großen Manipulator an den Hals zu werfen und ihn ausgerechnet für das zu loben,
das er erfolgreich auf seiner Plattform gekillt hat, nämlich die Meinungsfreiheit.
Vor nicht allzu langer Zeit, als X noch Twitter war und es neben auch da schon vorhandenen Trollen und Aggro-Spezis tatsächlich viele verschiedene Meinungen dort gab, die sich auch lautstark und kritisch zu Wort meldeten, haben sich etliche ÖVP-Politiker noch sehr über Twitter
beschwert. Was soll also diese plötzliche Zuneigung- jetzt, wo Rechtsextreme, Bots und Desinfonetzwerke sich auf X breitmachen, als gäbe es kein Morgen, während weltweit vor dieser Entwicklung gewarnt wird? Der Beigeschmack macht sich jedenfalls breit wie Schimmel auf vergessenem Suppentopf.