Montag, Januar 20, 2025

Junge Stimmen mit Barbara Neßler: „Grüne sind nicht die besseren Menschen“

Im Rahmen unserer neuen Interviewreihe “Junge Stimmen” interviewen wir junge Abgeordnete aller Parlamentsparteien. Den Anfang macht Barbara Neßler von den Grünen, die über die Koalition mit der ÖVP, das Leben als Politikerin und die Grüne Partei spricht.


Barbara Neßler (33) ist eine der jüngsten Abgeordneten der Grünen. Im Interview mit ZackZack spricht die Vorarlbergerin, politisch in Tirol beheimatet, die seit 2019 im Parlament sitzt, über die Koalition mit der ÖVP, den Weg in die Politik und soziale Medien.

Dank Frau Neßler konnten wir das Interview sogar im Nachbarraum des von Herbert Kickl als „Stasi-Verhörzimmer“ beschriebenen Raumes drehen, in dem die Sommergespräche 2023 stattfanden.

Warum bist du überhaupt in die Politik gegangen?

Also bei mir war es nicht so, dass ich mir gedacht hab, “wenn ich groß bin, werd ich mal Politikerin”, sondern das war vor über 10 Jahren, da hatte ich eine lebensbedrohliche Krankheit – Sepsis. Und ich hab mir damals gedacht, wenn’s jetzt vorbei wäre, dann wäre das einfach so sinnbefreit, weil ich nichts gemacht habe, wo ich das Gefühl habe, das hat jetzt einen Mehrwert für viele Menschen. Und dann hab ich mir damals selber versprochen, dass wenn ich das überlebe, dann mach ich dann irgendwas, was ganz vielen Menschen hilft.

Das heißt, du bist dann zu den Grünen gegangen. Hast du dir deinen Platz erkämpfen müssen?

Ja. Das muss man immer im politischen Kontext. Aber ich muss sagen, es war schon schön, dass meine Partei auch jungen Menschen- grad politisch unerfahrenen Menschen- auch eine Chance gibt. Ich finde das extrem wichtig für eine politische Partei.

Wenn du nicht in der Politik wärst… was würdest du sonst machen?

Ich hab’ eigentlich Lehramt studiert- Deutsch und Geschichte und politische Bildung. Aber früher wollte ich immer Kinderbuchillustratorin werden. *lacht*

Du hast jetzt schon die letzen 5 Jahre angesprochen. Ihr wart ja in einer Koalition mit der ÖVP… Was war das Schlimmste an der Zusammenarbeit?

Es war oft mühsam, bei Sachen, wo man denkt, das ist doch total sinnvoll, dass wir das machen. Da war es für die Gegenseite nicht so. Also zum Beispiel, wir wissen, dass in jeder Klasse durchschnittlich ein Kind sitzt, das von sexuellem Missbrauch betroffen ist und wir wollten dann die Kinderschutz Konzepte etablieren. Für mich war das total logisch, dass wir das machen. Das war für den Koalitionspartner leider nicht so. Sie wollten es zwar auch, aber in einer ganz abgespeckten Form, und und und.

Der Satz, den ich oft gehört hab ist auch “Kinder können nicht wählen”, ich find das ganz schlimm, weil auf der einen Seite, ja, natürlich machen wir Politik für Stimmenmaximierung, aber wenn Politik nur noch dazu da ist, dann wirds extrem schwierig.

Kam das von der ÖVP – “Kinder können nicht wählen”?

*nickt* 

Okay, und das war der Grund?

*nickt*

Wo wir schon bei der ÖVP sind, du stehst ja auch einer Großelternkarenz kritisch gegenüber, magst du kurz ausführen warum?

Wir müssen aufhören, Familie wirklich im Stich zu lassen, sondern wir müssen ihnen die Kinderbetreuung anbieten durch die wirklich jede Familie entscheiden kann, wie sie ihr Leben führen will und dass die Omas dann wirklich die Zeit mit den Kindern genießen können.

Du hast jetzt schon oft von einem Scherbenhaufen gesprochen, mit Blick auf die letzte Regierung. Hat die ÖVP euch geholfen, diese Scherben zu beseitigen, oder haben sie euch mehr Steine in den Weg gelegt?  

Unterschiedlich. Es ist darauf angekommen, um was es ging. Aber natürlich mussten wir für vieles extrem kämpfen um das durchzubringen und darum muss ich sagen, bin ich schon sehr stolz, was uns einfach alles gelungen ist, weil es einfach David gegen Goliath war. Weil wir ja gegen ganze Ministerien und Kammern und Bünde quasi gekämpft haben.

Bist du zufrieden mit der Arbeit, die die Grünen gemacht haben in der letzten Regierung? 

Ich bin tatsächlich sehr zufrieden, weil wir in so vielen Bereichen Sachen weitergebracht haben, wo ich mir selber nicht gedacht habe, dass wir das erreichen und es ist so viel, das wir geschafft haben, dass es einfach bei den Menschen noch nicht ankommt. Also wir haben schon wahnsinnig viel erreicht. Vorallem Sachen, die strukturell bleiben – wie die Valorisierung der Sozialleistungen. Das ist einfach so eine großartige Geschichte, weil wurscht ob es jetzt die Familienbeihilfe ist oder oder die Studienbeihilfe, es war bisher immer so, dass die immer gleich geblieben ist. Jetzt ist es so, dass das automatisch passiert, dass wenn die Inflation steigt, bekomme ich auch mehr Geld.

Was stört dich am meisten an deiner eigenen Partei?

Es ist schon oft so, dass man dann sehr lange diskutiert, und jeder und jede muss noch dringend unbedingt was dazu sagen, auch wenn es das exakt gleiche ist, was die Person davor schon gesagt hat, nur damit ja auch jeder und jede was gesagt hat. Ich find das ist ein bisschen entbehrlich. *lacht*

Und wenn du an der Parteispitze stehen würdest? Was würdest du gern anders machen?

Ich bin eigentlich grundsätzlich recht zufrieden mit der Partei… was wir schon gesehen haben, bei der letzten Wahl ist, dass natürlich Klimaschutz ein extrem wichtiges Thema ist. Aber natürlich müssen wir uns breiter aufstellen, und wir haben ja Lösungen auf alles mögliche, auch auf die soziale Frage, die ja auch mit der Klimafrage zusammenhängt. Wir haben da richtig gute Konzepte, und ich glaub die müssen wir auch noch mehr nach außen tragen. Ab und zu kommunizieren wir wahrscheinlich ein bisschen zu kompliziert.

Du hast schon vor einiger Zeit mal im Podcast “Im Off” Lena Schilling interviewt. Das war noch vor den Recherchen vom STANDARD. Rückblickend, hältst du die Reaktion von der grünen Parteispitze für richtig oder hättest du das anders gemacht? 


Na ja, da müssen wir nicht reden, dass da Fehler passiert sind und dass das Krisenmanagement natürlich nicht optimal war. Es war einfach zu der Zeit extrem schwierig für alle Beteiligten wahrscheinlich, wie mit dem umgegangen werden soll.

Es war für viele Journalistinnen ein großes Fragezeichen. Es waren für uns einfach große Fragezeichen. Ich hoffe einfach nur, dass das Beispiel jetzt nicht abschreckend ist für junge Menschen, die sich denken; “okay, na, ich möchte auch mal in die Politik.” Ich möchte da jetzt nicht die Lena Schilling entschuldigen oder sonst was, aber grundsätzlich sind natürlich Politiker und Politikerinnen Menschen wie alle anderen und machen Fehler und handeln nicht immer richtig. Und nur weil die Grünen denken, sie haben die besseren Konzepte, heißt es nicht, dass wir die besseren Menschen sind.

Was waren die größten drei Erfolge der Grünen?

Barbara Neßler: Auf jeden Fall das Klimaticket, die Valorisierung der Sozial- und Familienleistungen, weil Familien so einfach mehr Geld bekommen. Und natürlich schon auch die ganzen Antikorruption und Transparenzgeschichten, wir haben das Informationsfreiheitsgesetz, wir haben ein wirklich strenges Parteienfinanzierungsgesetz hergebracht.

Die Grünen haben ja bei der letzten Nationalratswahl ein Minus von 8,4 % bekommen. In Tirol habt ihr rund 24.000 Stimmen verloren. Verstehst du diesen Wähler:innenschwund?

Also es war natürlich extrem enttäuschend und ein extrem trauriger Abend, weil gerade in Tirol muss ich ja sagen, sind extrem viele Menschen mit mir gerannt, haben mich unterstützt, supportet. Und natürlich ist es dann extrem enttäuschend eigentlich, wenn du das Gefühl hast, wir haben fünf Jahre gekämpft, wir haben alles für den Wahlkampf getan und dann siehst du das Ergebnis.

Es wundert mich aber nicht. Also es ist enttäuschend, aber es ist ned überraschend das Ergebnis, weil wir sehen einfach weltweit, dass Regierungsparteien verlieren, da sind wir keine Ausnahme. Und ich sage immer, mit einem Wahlkampf kannst du ein bisschen was richten, aber die Großwetterlage ist einfach das Entscheidende. Und das Klimathema ist nicht das Thema Nummer eins. Die FPÖ war einfach sehr stark. Den Rechtsruck spüren wir in Österreich. Da ist es schwer, dagegenzuhalten. Ich glaube aber, dass es gerade jetzt umso wichtiger ist, dass es die konstruktiven Kräfte gibt, weil ich einfach unsere Demokratie in Gefahr sehe wie schon lange nicht mehr. 

Du machst ja sehr viel auf Social Media. Findest du, dass Social Media mehr schadet als es nützt?

Das ist eine lange Diskussion. Es ist eine Gratwanderung. Das Problem ist schon – was man gerade jetzt bei Tiktok ganz klar sieht – dass zum Beispiel viele Fundamentalisten, die Unsicherheiten von jungen Männern extrem ausnutzen für ihre Hasspredigten. Wir sehen zum Beispiel, dass auch bei harmlosen Dating-gurus ein extremer Frauenhass mitschwingt.

Und natürlich, was wir schon sehen, ist der Einfluss von Russland auf Social Media. Dass natürlich gewisse Parteien davon profitieren, was wir extrem unterschätzen. Es sind ja auch rechte Parteien, die sich ein Social Media Imperium aufgebaut haben. Die sind gerade auf Plattformen wie Tiktok sehr stark.

Du hast ja noch einen Account auf X, bist du noch auf X unterwegs oder bist du auf BlueSky übersiedelt? 

Ich bin, also ich war sogar auf BlueSky bevor BlueSky cool war und bin jetzt wieder auf BlueSky. 

Also BlueSky statt X, oder beides?

Na, BlueSky statt X.

Was würdest du jungen Menschen sagen, die sich von der Politik nicht repräsentiert oder verstanden fühlen? 

Ich verstehs, dass es jetzt keine einfache Zeit ist. Und natürlich sind da viele Gefühle von Unsicherheit, Schmerz, Enttäuschung.

Nur ich glaube, es ist wichtig, dass man sich trotzdem informiert, dass man sich nicht nur anschaut, wer redet wen schlecht, sondern wer ist wirklich daran interessiert, Lösungen zu bieten, dass Österreich wirklich weiterkommt, dass wir besser werden. Ich glaube, das ist der Punkt. 

Glaubst du an ein grünes Comeback in fünf Jahren? 

An ein grünes Comeback? Ja, natürlich. Sonst würde ich nicht tun was ich mache.


Das war die erste Ausgabe unserer neuen Interviewserie. Nächste Woche folgt Ausgabe 2 mit einem Abgeordneten der SPÖ.

Clubmitglieder können das vollständige, ungekürzte Interview hier ansehen: https://club.zackzack.at/2024/12/14/junge-stimmen-barbara-nessler/

Autor

  • Johannes Neumeister

    Johannes Neumeister studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Bei ZackZack ist er hauptsächlich für Videos zuständig. Er ist 23 alt und freut sich schon auf die Pension.

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