Montag, Januar 20, 2025

Die alternativlose Alternative

Der deutsche Bundeskanzler Scholz stellt heute im Bundestag die Vertrauensfrage. Die geradezu wahnwitzigen taktischen Manöver, die bei dieser Abstimmung erwartet werden, lassen die deutsche Politik nicht gut aussehen – vor allem die Opposition nicht.

Zuerst möchte ich eine traurige Meldung weitergeben, die in der deutschsprachigen Presse leider keine Rolle spielt: Der indische Tabla-Meister und vierfache Grammy-Gewinner Zakir Hussain ist gestern in San Francisco verstorben.

Ein anderer, gewaltsamer Tod, ist der der deutschen Ampelkoalition. Schon heute könnten Neuwahlen auf den Weg gebracht werden. Caroline Ferstl berichtet im KURIER über die innenpolitische Lage in Deutschland:

Die einst als »Fortschrittskoalition« angetretene Ampel-Regierung ist längst Geschichte: Der Wahlkampf läuft, das Datum für die Neuwahl des Bundestages steht (23. Februar), die Druckereien arbeiten an den rund 60 Millionen Stimmzetteln. Dabei steht eine unbedingte Voraussetzung für Neuwahlen noch aus: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) muss im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt und verloren haben.

Liberale machten sich lächerlich

Heute ist es also so weit. Aus einem Grund: Die FDP, die schon in Siebziger- und Achtzigerjahren als kleinste Bundestagsfraktion dafür verantwortlich war, Regierungen zu ermöglichen und sie selbst wieder zu zerstören, hat auch diesmal zugeschlagen. Glaubt man Medienberichten, haben die sogenannten Liberalen diesen Zustand geplanterweise und ganz bewusst herbeigeführt. Ihr Chef Lindner soll davon nichts gewusst haben. Diese Behauptung – ob sie stimmt oder nicht – lässt die FDP nun noch lächerlicher wirken. Der KURIER weiter:

Am Montag ist es so weit. Die Sitzung beginnt um 13 Uhr; zuerst wird der Kanzler in einer Rede seine Beweggründe schildern, dann folgen Aussprache und namentliche Abstimmung. Gegen 16 Uhr wird das Ergebnis erwartet. Erhält er, wie erwartet wird, nicht die absolute Mehrheit von 367 Stimmen, hat er die Vertrauensfrage verloren. Dann wird er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bitten, den Bundestag aufzulösen; der frühestmögliche Termin wäre der 25. Dezember. Dann wären alle juristischen Voraussetzungen für Neuwahlen in den darauffolgenden 60 Tagen und wie geplant am 23. Februar erfüllt.

Nun ist in Zeiten, in denen viele westeuropäische Parlamente oft nicht mehr aus drei, sondern aus fünf oder mehr Fraktionen bestehen, klar, dass Dreierkoalitionen bei der Regierungsbildung in Zukunft eine größere Rolle spielen müssen. Will man noch dazu Regierungen ohne rechtspopulistische Parteien bilden, müssen diese auch halten und dürfen nicht dem Kleingeist der politischen Taktik von Kleinparteien ausgeliefert sein.

Autos und Atomkraft

Der Bundestag dürfte bis zu den Wahlen gelähmt sein – zumindest wenn es nach der CDU geht. Der Tagesspiegel berichtet heute morgen:

»Olaf Scholz hatte drei Jahre Zeit und ist mit seiner Ampel krachend gescheitert«, sagte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) […] Frei betonte, dass CDU und CSU bei der geplanten Neuwahl am 23. Februar »einen Politikwechsel herbeiführen« wollten. »Wir werden deshalb nach der Vertrauensfrage in keine großen Verhandlungen einsteigen, sondern mit Rot-Grün nur über Vorhaben sprechen, die dringlich und zwingend geregelt werden müssen«, sagte der Unionspolitiker den RND-Zeitungen.

Auf der Startseite von Faz.net steht heute: »Wir brauchen Wachstum, Wachstum, Wachstum«. Mit diesen Worten wird Mercedes-Gesamtbetriebsratschef Ergun Lümali zitiert. Es ist eine deutsche Symptomatik, die erkennen lässt, wie man nach den Wahlen weitermachen wird: innovationslos und ohne die Probleme unserer Zeit auch nur anzugehen. Da wird an der sinnlosen Produktion von immer mehr Autos, die immer weniger Abnehmer finden und viele sich gar nicht leisten können, festgehalten. Da wird an einem fossilen Deutschland und einem Deutschland beängstigend veralteter Atomkraftwerke festgehalten. So kommt das nicht vom Fleck. Die aufstrebende AfD und das BSW befördern wie die konservativen Parteien CDU und FDP das immer weitere Auseinanderklaffen der sozialen Schere und das schlichte Ignorieren notwendiger Ökologie-Politik.

Überraschung beim Misstrauensvotum?

Das ständige Ampel-Bashing, das mit dem ersten Tag der Regierung Scholz begonnen hat, lähmt auch an diesem Tag die deutschen Medien. Doch wer weiß, ob ihm das Misstrauen heute wirklich ausgesprochen wird. Im Vorfeld des Votums kommt es zu geradezu absurden taktischen Überlegungen. Birgit Baumann in Der Standard:

Die Grünen hätten auch kein Problem, Scholz das Vertrauen auszusprechen. Man habe schließlich einiges miteinander geschafft und auch nicht die Koalition verlassen, heißt es bei ihnen. Doch an diesem Punkt kommt die AfD ins Spiel. Zwar wettert die ansonsten bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen Scholz und findet ihn samt seiner Politik schrecklich. Nun aber herrscht Sorge bei Rot und Grün, die AfD könnte Chaos stiften und Scholz plötzlich das Vertrauen aussprechen wollen. Dann hätte er eine Mehrheit und müsste im Amt bleiben.

Mit diesem Argument lässt sich nun möglicherweise nach der FDP der zweite Koaltionspartner der SPD zur Taktik hinreißen. Der Standard weiter:

Also wollen sich die Grünen am Montag sicherheitshalber enthalten, damit der Kanzler die Vertrauensfrage auch wirklich verliert. Im Amt bleibt er danach, die Regierung sei, wie er betont, auch »voll handlungsfähig«. Neu gemischt werden die Karten dann am 23. Februar.

Taktiktisches Theater statt Sachpolitik

Laut ZEIT gibt es für das taktische Manöver der AfD schon eine erste Ankündigung:

Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler zwar das Vertrauen aussprechen. Die Fraktionsspitze der Grünen hingegen hat ihren 117 Abgeordneten empfohlen, sich der Stimme zu enthalten. Damit will sie ausschließen, dass Scholz ungewollt doch noch eine Mehrheit bekommt, etwa durch Stimmen der AfD. Ein AfD-Abgeordneter hat bereits angekündigt, für Scholz stimmen zu wollen.

Dieses Theater hat Sachpolitik längst in den Hintergrund treten lassen. Deutschland strebt, so scheint es, nach einer »alternativlosen« Regierung mit der angeblichen »Alternative«. Der Tag wird kommen, an dem es feststellen wird, dass es eine solche Regierung nie gewollt haben wird.

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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