Karl Nehammer verfolgt mit seiner Außenpolitik ein Ziel: Er will bei den Wichtigen dabei sein. Von Putin über Meloni und Musk bis Erdogan sind es immer öfter die Falschen. Jetzt lässt er die Kurden in Syrien im Stich und wird zum unfreiwilligen Förderer von Kopftuch und Scharia.
Das Bild spricht Worte: Karl Nehammer klammerte sich gestern bei seinem Gespräch mit dem türkischen Diktator an eine Heftklammer.
Der Rest seines Tweets verrät möglicherweise, warum: Nehammer hat bei seinem Telefonat schlicht und einfach auf die Kurden vergessen. Dort in Rojava unterstützt Erdogan den Angriff der Islamisten auf die autonome kurdische Region – und damit auf Frauen ohne Schleierzwang und ohne islamistischen Terror. Rojava ist unser verlässlichster Verbündeter. Doch Nehammer bedankt sich beim islamistischen Aggressor aus Ankara.
Welches Gewicht hat Nehammers Telefonat? Wenn man auf „X“ nachsieht, dann hat Erdogan Nehammer ein einziges Mal für erwähnenswert gehalten. Das war im Oktober 2023.
Seitdem hat Erdogan auf „X“ Wichtigeres zu berichten. Aber Nehammer hat nicht nur Erdogan.
Nehammer und Meloni
Er hat auch Giorgia Meloni, Italiens faschistische Regierungschefin.
Nehammer umarmte, herzte und verlor kein Wort der Distanz zum neuen italienischen Faschismus, der in Italien immer mehr an Mussolinis Aufstieg erinnert. Seine niederösterreichische Parteichefin, die unter der FPÖ in St. Pölten regiert, freute sich mit.
Am 5. Oktober 2024 wurde aus der Beziehung eine Freundschaft.
Die Wichtigkeit scheint nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen.
Am 24. Juni 2023 hielt Meloni Karl Nehammer das letzte Mal für erwähnenswert. Seitdem spielt er im Twitter der Faschistin keine Rolle mehr.
Nehammer und Musk
„X“ gehört bekanntlich Elon Musk. Am 8. Dezember 2024 war er an Nehammers Reihe.
Nehammer entfernte sich beim Musk-Besuch ein weiteres Stück von der Realität und feierte den Twitter-Demolator als Garanten der Meinungsfreiheit. Aber das brachte ihm noch weniger Aufmerksamkeit als bei Erdogan und Meloni. Auch nach dem 8. Dezember 2024 gibt es für Musk keinen Nehammer.
„X“ empfiehlt dem Kanzler: „Probiere, nach etwas anderem zu suchen“. Seit Jahren sucht Nehammer bei Putin, Meloni, Musk und Erdogan. Seit Jahren umarmt er, wo es die Gegenüber zulassen. Seit Jahren signalisiert er, dass er keine Berührungsängste hat.
Nur dabei
Vor einem halben Jahrhundert hat Bruno Kreisky gezeigt, wie österreichische Außenpolitik geht. Kreisky hatte einen politischen Plan, weil er erkannt hatte, dass der Nahe Osten der Ort der globalen Ausbreitung einer politisch-militärischen Krise war.
Heute ist dreierlei anders: Der Krisenherd in Palästina kocht nicht wie zu Kreiskys Zeiten, er ist am Explodieren. Palästina/Israel hat mit der Ukraine einen Zwilling bekommen, und statt demokratischer Regierungen von Washington und Rom bis Ankara und Jerusalem stehen rechtsextreme Scharfmacher bereit, ihr Öl in sämtliche Feuer zu gießen.
Nach wie vor glaube ich nicht, dass Nehammer einer von ihnen ist. Sein seltsames Verhalten deutet auf etwas Anderes hin: Karl Nehammer will einfach dabei sein. Seine Umarmungen, sein ständiges Armdrücken und seine Begeisterung, wen er schon wieder getroffen hat, erinnert mehr an das Sammeln von Panini-Bildern als an eine ernsthafte Außenpolitik eines kleinen, militärisch immer noch neutralen Staates.
Keine Berührungsängste
Im Gegensatz zu Nehammer hat Herbert Kickl einen Plan. Seine Partei setzt auf Putin statt EU. Seine FPÖ gehört zur Familie der neuen Außenseiterparteien, die Staat für Staat die Macht übernehmen.
Österreich ist einer der Dominosteine, die bereits wackeln. Bundesland für Bundesland wird die ÖVP zur Mitläuferin der FPÖ. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es auch im Bund das erste Mal so weit ist, dass es die ÖVP als Nummer 2 mit der FPÖ tut.
Für den neuen Rechtsblock signalisiert Nehammer mit Erdogan, Musk und Meloni eines: dass er keine Berührungsängste hat. Er kann mit allen, solange er dabei sein darf.
So wird die ÖVP zur Adabei-Partei. Kickl wird das zu schätzen wissen.
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