Anstelle fairer Verteilungsgerechtigkeit gibt es in Österreich nur dumme Sprüche zu hören. Wer wirklich “über die Verhältnisse lebt”, hat es hierzulande besonders leicht.
Es gibt Sprüche, die nicht auszurotten sind. Seltsamerweise leben all die, die eigentlich weder witzig noch besonders wahr sind, am längsten. Ich habe vor langer Zeit in einem Büro gearbeitet, in dem ein Mitarbeiter saß, der ein formelhafter Wiederholer von Sprüchen war. Fiel das Wort »Ingenieur«, sagte er immer: »Ein Ingenieur hat’s schwör«. Hörte er das Wort Banane, kam ganz automatisch: »Warum, warum, ist die Banane krumm?«
Ich glaube, jede und jeder kennt diese Stammtischaphoristik in der einen oder anderen Ausprägung. Wahrscheinlich ist sie harmlos, solange es um Bananen geht. Es sind die Bananen des Bösen. Oder eher die Bananen des Blöden. Leider aber hat das Sprücheunwesen auch in der Politik seine Machtposition. Und da aus den kleinen Büro- und Stammtischrunden durch Smartphone und Chat-Clients weltumspannender Bananenterror geworden ist, sind die millionenhaft wiederholten Sprüche heute Propaganda geworden.
Über die Verhältnisse leben
Man kann diese Sprüche vielleicht bewusst in die Welt setzen. Aber dass sie sich verselbständigen, ist wohl nicht mehr kontrollierbar. So war in der Zeit meiner Jugend ein Spruch überall und immer zu hören. Er lautete: »Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.« Dabei ging es, um das Budget und die Staatsschulden. Es war ein Spruch gegen die Regierungen Kreisky, denen man vorwarf, zuviele Schulden gemacht zu haben. In Fernsehen und Radio konnte man, zur Untermauerung dieser These mit bananenkrümmungsspruchartiger Wiederholungsfrequenz immer wieder den Ausschnitt aus einer Rede Kreiskys hören, in der er sagt, dass ihm Arbeitslose mehr schlaflose Nächte bereiten als ein paar Millionen Schulden.
Fragt man sich, wie hoch der Schuldenstand der Republik im Vergleich zu heute war, so vermisst man dieselbe Analyse in unserer Zeit. Fragt man sich, wie bei einer Teuerung des Warenkorb um 50% in den letzten Jahren, die Menschen bei Löhnen, die nicht um 50% gestiegen sind, sich das Über-die-Verhältnisse-Leben leisten können, so ist es still in der Politik und an den Stammtischen. Mit anderen Sprüchen wie »Jammern auf hohem Niveau« – auch so ein unsäglicher Spruch – werden solche Dinge weggewischt.
Verzicht ist die Konsequenz
»Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.« Diesen Spruch könnte man ja auch einmal auf andere Bereiche beziehen. Und man könnte ihn ins Präsens setzen: »Wir leben über unsere Verhältnisse.« So ist es ja tatsächlich beim Verbrauch fossiler Energie.
Doch in diesem Bereich will man davon nichts hören. Just jene, denen für die Propaganda gegen angebliche »sozialistische Schuldenpolitik« kein Spruch zu schade war, verteidigen heute die Umverteilung nach oben, die massive Anfürtterung derer, die auch noch nach ihren Pleiten über ihre Verhältnisse leben. Und ihnen fällt es nicht im Traum ein, die Konsequenz aus dem Über-die-Verhältnisse-Leben, die man in der deutschen Sprache Verzicht nennt, zu ziehen.
Die Wiederholung von tausend Mal Wiederholtem
Just jene, sind die die heute, »am Verbrenner festhalten«, verzichten auf den Verzicht und predigen die immer höhere Benutzung von Energiequellen, die wir gar nicht selbst haben, sondern importieren müssen. Der geistige Horizont eines solchen Spruchs ist mit dem der eingangs erwähnten Sprüche zu vergleichen. Es ist Stammtischgerede, die Wiederholung von tausend Mal Wiederholtem.
In der Welt der Stammtischsprüche geht eine Fähigkeit verloren: den Problemen der Gegenwart ins Auge zu sehen, sie zu benennen und zu erkennen, dass alte Sprüche nicht mehr zu neuen Situationen passen. Reaktionäre Politik, die an Altem festhalten will und zu altem Zurückkehren will, ist nur scheinbar ein Dienst am »einfach Volk« oder am »Mann von der Straße«. In Wahrheit bezahlen die Ärmere und Ärmsten mit dieser Politik für Reiche, die über ihre Verhältnisse leben.
Spruch und Widerspruch
Wenn man auf die Demokratie nicht verzichten will, ist es unabdingbar, Ausgaben und Einnahmen, Verzicht und Luxus, gleimäßig zu verteilen. Dazu gehört es auch, dass es keine Schicht geben darf, die so wohlhabend ist, dass die Regeln der Demokratie für sie nicht gelten, dass sie sich mit Spitzenpolitikern Steuernachlässe aushandeln, während alle anderen selbstverständlich ihre Steuern begleichen. Dazu gehört es auch, dass die Insitutionen der Demokratie – Gesetzgeber, Parteien, Regierungen, Justiz, aber auch die Medien und Informations- und Bildungseinrichtungen – vor dem Aufkauf und Ausverkauf geschützt werden.
Der hauchdünnen Oberschicht der Multi-Milliardäre ist die Demokratie gleichgültig. Das sagen viele heute von ihnen offen. Grund genug, sie in der Demokratie zu zwingen, sich zur Demokratie zu bekennen und ihnen höhere Beiträge zum Gemeinwesen abzuverlangen. Denn sie sind es, die über ihre Verhätlnisse leben.
Gleichheit und Diskussion
Je gleicher die Verteilung des Wohlstands aber auch der Arbeit wird, desto mehr werden auch die Steuerzahlenden entlastet, die nicht jene Arbeitslosen erhalten müssen, die die superreichen Pleitiers heute in Massen erzeugen. Und je mehr investiert wird, desto vitaler ist auch die Wirtschaft.
Die dummen Sprüche von früher wird man nicht ausrotten. Man könnte ihnen aber auch genauso oft widersprechen, wie sie gesagt werden. Das wäre dringend notwendig. Jeder Spruch muss auch Widerspruch aushalten. Aber Widerspruch ist nicht die Tugend an den Stammtischen und nicht in einer Gesellschaft, die Gehorsam und Unterordnung belohnt, anstatt Gleichheit und Diskussion zu fördern.