Am 6. Dezember haben die EU-Kommission und die Mercosur-Staaten eine politische Grundsatzeinigung zum heftig kritisierten Handelsabkommen EU-Mercosur präsentiert. Das Inkrafttreten kann aber noch verhindert werden, denn die EU-Regierungen und das EU-Parlament müssen noch zustimmen.
von Emil Engels
Mercosur steht für „Mercado Común del Sur“, also den gemeinsamen Markt des südlichen Lateinamerikas und besteht aus den Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien. Nach 25 Jahren Verhandlungen will die EU-Kommission das Handelsabkommen nun gegen alle Widerstände durchsetzen. Dafür soll der rechtlich umstrittene Trick des „Splitting“ angewendet werden, der das Abkommen in einen politischen und einen wirtschaftlichen Teil aufteilt („splittet“).
Für den wirtschaftlichen Teil wäre dann lediglich eine einfache Mehrheit im EU-Rat nötig. Bereits eingelegte Vetos von EU-Staaten wie Österreich oder Frankreich würden damit übergangen – genauso wie die überwältigende Kritik von 450 Organisationen der Zivilgesellschaft beiderseits des Atlantiks.
Bei aller berechtigter Sorge um die Konsequenzen des Abkommens für Europa – so wird etwa vor weitreichenden negativen Folgen für das Klima, heimische kleinbäuerliche Strukturen und die Gesundheit von Konsumenten gewarnt – geht ein weiterer Aspekt oft unter: Durch Freihandelsabkommen wie EU-Mercosur werden bestehende ungerechte Handelsstrukturen gefestigt – und das verheißt nichts Gutes für die Menschen in den Mercosur-Staaten.
Die neoliberale Erzählung verkauft „Freihandel“ als das Wundermittel für ökonomische Entwicklung. In Wahrheit gilt das nur für jene Staaten, die bereits eine ökonomische Vormachtstellung innehaben – und selbst dort gibt es viele Verlierer.
Die Auswirkungen ungleicher Handelsstrukturen zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden lassen sich anhand eines Beispiels zeigen, das viele Parallelen zum EU-Mercosur-Abkommen aufweist: dem Handelsabkommen zwischen der EU und den Andenstaaten Kolumbien, Peru und Ecuador.
Eine traurige Bilanz
Mit großen Versprechen trat das Abkommen 2013 zunächst mit Kolumbien und Peru in Kraft, 2017 trat auch Ecuador bei: Die südamerikanischen Nationen würden durch die wegfallenden Zölle ihre Exporte diversifizieren und hoch qualifizierte Arbeitsplätze in der eigenen Industrie schaffen können. Doch nach über zehn Jahren ist die Bilanz mehr als dürftig. Das Abkommen hat im Gegenteil zu einer verstärkten Orientierung auf Rohstoffe beigetragen.
Kolumbiens Exporte in die EU sind weiterhin von Bergbauprodukten, vor allem Eisen-Nickel-Legierungen und Kohle, Agrarprodukten wie Palmöl, Kaffee und Bananen, und Erdöl geprägt. Weiters weist Kolumbiens Handelsbilanz mit der EU ein chronisches Defizit aus. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn beispielsweise kolumbianischer Kaffee zu 90 Prozent in unverarbeiteter Form exportiert und dann in Deutschland geröstet und teuer weiterverkauft wird. Für die europäische Automobilindustrie hat sich das Abkommen hingegen bezahlt gemacht. Die Exporte von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen nach Kolumbien sind gegenüber dem Zeitraum vor dem Abkommen bis 2021 um 120 Prozent gestiegen.
Auch Peru brachte das Abkommen nicht den erhofften Wohlstand. Stattdessen verschärfte sich beispielsweise die Wasserknappheit durch die Ausweitung von Avocado-Monokulturen. Ein Kilogramm Avocado verbraucht 1000 Liter Wasser, ihr Anbau ist damit achtmal so wasserintensiv wie jener von Kartoffeln. Deren Anbau zahlt sich im Ursprungsland der Kartoffel hingegen immer weniger aus, da der peruanische Markt seit dem Abkommen von geschnittenen, tiefgefrorenen Tiefkühlkartoffeln aus den Niederlanden überschwemmt wird. Was für eine absurde Situation!
Nutzlose Menschenrechtsklauseln
Auch die Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte haben sich in den Andenstaaten mit dem Abkommen nicht verbessert. Im Gegenteil: der verstärkte ökonomische Druck führt zu Landkonflikten. Monokulturen mit gigantischem Bedarf an Pestiziden sind für Gesundheitsschäden unter den Arbeiterinnen verantwortlich. Der Bergbau verschmutzt die Flüsse. Vor allem in Kolumbien werden Umweltschützerinnen und Menschenrechtsaktivisten immer noch regelmäßig mit dem Tod bedroht und nicht selten ermordet.
Eigentlich könnte das Abkommen bei groben Menschenrechts- oder Umweltschutzverletzungen durch eine Klausel ausgesetzt werden. Doch dazu kam es bis jetzt noch nie. Bei Beschwerden durch zivilgesellschaftliche Organisation betont die EU-Kommission lediglich, dass ihr Menschenrechte und Umweltschutz sehr am Herzen liegen und rügt die Staatsoberhäupter der entsprechenden Staaten. Diese geloben Besserung – und danach läuft alles weiter wie zuvor. Die Profite haben Vorrang.
Aus der Geschichte lernen: EU-Mercosur stoppen
Das EU-Mercosur Abkommen unterscheidet sich davon kaum: Während Europa neue Märkte für seine Industriegüter (allen voran klimaschädliche Verbrenner) erschließen will, bleibt dem globalen Süden weiterhin die Rolle des Zulieferers billiger Rohstoffe – darunter Fleisch und Soja, die nicht nur die Abholzung des Amazonas antreiben, sondern auch die europäische Landwirtschaft unter Druck setzen. Mit dem dringend nötigen Klimaschutz ist beides unvereinbar – auch wenn die EU nun das Gegenteil behauptet.
Das Mercosur-Abkommen stellt Profitinteressen über die Interessen der Vielen. Wir müssen es nicht nur aus Eigeninteresse, sondern auch aus Solidarität mit den Menschen in anderen Nationen stoppen. Stattdessen benötigen wir eine Neuausrichtung der Handelsbeziehungen, basierend auf Solidarität, Nachhaltigkeit und Demokratie.
Emil Engels ist Bachelor der Volkswirtschaftslehre und der Politikwissenschaften und ist ehrenamtlich bei Attac Österreich tätig. Aktuell reist er durch Lateinamerika und schreibt über die dortige politische und wirtschaftliche Lage.
Titelbild: Sarah Goldschmitt/Attac