Montag, Januar 20, 2025

Die neuen Feudalherren

Elon Musk versinnbildlicht die Totalherrschaft des Kapitals über das gesamte Leben. Und könnte sich gerade deshalb als Geburtshelfer des Fortschritts erweisen.

Die Geschichte schreitet nicht voran, weil sich Gesellschaften oder das gesamte „Menschengeschlecht“ positive Ziele setzen, sondern sehr viel häufiger, indem das Negative unerträglich wird und Gegenwehr oder gar Revolten provoziert. Der französische Philosoph Louis Althusser meinte, die geschichtsphilosophischen Einsichten von Karl Marx und Friedrich Engels würden letztendlich auf die Erkenntnis hinauslaufen, „dass die Geschichte immer durch ihre schlechte Seite fortschreite“.

Aufklärer und die Beschwörung der Vernunft hätten zwar ihren Beitrag zum historischen Fortschritt geleistet, aber die echten weltverändernden Impulse kamen letztendlich von Volksmassen, „ohne Aufklärung, sondern in Lumpen“, die sich gegen unhaltbare Verhältnisse erhoben.

Der Dichter Bertolt Brecht verarbeitete diese Dialektik der Geschichte in seinen Theaterfiguren, indem er den Revolutionär, wie das Walter Benjamin formulierte, nicht aus dem altruistischen Idealisten, sondern „aus dem schlechten, selbstischen Typus ganz ohne Ethos von selber hervorgehen“ ließ. Berühmt ist die Bemerkung des französischen Denkers Michael Foucault: „Wo Macht ist, ist auch Widerstand.“

Das Komplizierte etwas einfacher gesagt: Das Schlechte ist nicht nur schlecht, es trägt zur Geburt des Guten bei. Sogar Rückschritte werden dadurch manchmal zum Impuls des Fortschritts.

„Weil es so ist, bleibt es nicht so“

Das ist nicht nur eine verkopfte Geschichtstheorie von Bücherwürmern, sondern hat sich über Jahrhunderte in der Wirklichkeit erweisen. Die Ausbeutung der arbeitenden Klassen hat Revolten ausgelöst, und diese Revolten haben dann entweder zum Umsturz der beklagenswerten Zustände geführt oder zu deren sukzessiver Reform. Der Räuberbaron-Kapitalismus forcierte in diesem Sinn auch den Sozialstaat, die Einführung eines ordentlichen Pensionssystems war eine Reaktion auf das Alterselend. Autoritäres Gehabe zieht Renitenz nach sich. Genozide führten zu Fortschritten des Völkerrechts und der Einrichtung internationaler Gerichtshöfe.

Dass das Schlechte der Geburtshelfer des Guten sei, das ist ein Gedankengang, der ein wenig an Hegels Konzeption der „List der Vernunft“ erinnert. Akteure können zum Schrittmacher von Veränderungen werden, die sie gar nicht wollten, und sie können das sein, ohne dass ihnen das überhaupt bewusst ist, ähnlich wie Goethes Mephisto, der bekundet, er sei Teil „von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Das Gute an dieser Konzeption einer Dialektik der Geschichte ist nicht nur, dass sie einem mit einem guten Gespür für die wirklichen Bewegungen des historischen Prozesses ausstattet, sie hat auch den angenehmen Effekt, dass man sich einen gewissen Optimismus bewahren kann, wenn es scheinbar nur Grund für Pessimismus gibt. Noch das größte Übel könnte sich somit als Lokomotive des Fortschritts erweisen, dem Diktum entsprechend: „Weil es so ist, bleibt es nicht so…“

Ein Schrittmacher der Geschichte

Neben diesem eindeutig positiven Effekt hat diese Geschichtskonzeption auch ein paar negative Effekte, etwa die Vorstellung, dass der Fortschritt von der Verschlechterung der Verhältnisse abhängt. Schwundformen dieser „Philosophie“ können wir leicht in der Auffassung des Alltagsverstandes erkennen, dass es „noch schlechter werden muss, bevor die Menschen beginnen, sich zu wehren“ und ähnlich deprimierenden Aussagen („den Leuten geht es einfach noch zu gut“). Wie auch immer, man muss keinen Hegel und auch keinen Marx gelesen zu haben, um zu wissen, dass da sehr viel dran ist: Wenn die Mächtigen „den Bogen überspannen“, dann graben sie sich häufig selbst das Grab.

Womöglich ist Elon Musk, der Oligarch, Egoman, Narzisst und Plünderer im Machtrausch, der sich auf X jetzt Kekius Maximus nennt, ja ein solcher Motor wider Willen. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Superreichen immer reicher geworden, lebten gewissermaßen auf ihrem eigenen Planeten, stellten ihren Reichtum auf immer frivolere Weise aus und gerierten sich als „Masters of the Universe“, die glaubten, sich die Politik kaufen und die öffentliche Meinung manipulieren zu können, wie es ihnen gefällt.

Das Volk huldige die Milliardäre

Die konservative Politik liegt vor ihnen auf dem Bauch und leckt ihre Füße, das Kartell aus Rechtsextremisten und Boulevard ist ohnehin in einer ungustiösen Allianz mit dem autoritären Geldadel und bringt das skurrile Kunststück zuwege, dauernd von „Patriotismus“ zu faseln und zugleich als Agent eines amerikanischen Möchtegern-Weltkönigs zu agieren.

Der sozialdemokratische Mainstream schwankte letztlich auch zwischen Bewunderung und jener zahnlosen Gerechtigkeitsrhetorik, die von den Superreichen höflich einen „fairen Anteil“ erbat. Das jämmerlichste Bild bietet der klassische Liberalismus. Er verwandelte sich in einen antiliberalen Wirtschaftsliberalismus – „libertär“ genannt –, was nichts anderes mehr bedeutete, als dass Reiche durch keine Grenzen und Regeln eingeschränkt sein und ihre Übermacht ungeniert ausleben sollen, und ihnen im Übrigen die Huldigungen des gemeinen Volkes zustehen. Freiheit verwandelt dieser Liberalismus in das Recht des Stärkeren.

Die demokratische Politik glaubte, sich mit der Hypermacht der ökonomischen Feudalherren arrangieren zu können, tanzte einerseits nach deren Pfeife, glaubte andererseits, dass das die Spielregeln der Demokratie nicht grundsätzlich in Frage stellen würde.

In der Figur Elon Musk hat sich die „Refeudalisierung“ nun gänzlich zu seiner Kenntlichkeit verwandelt – sie zeigt ihre abstoßende Fratze. Der reichste Mann der Welt, der einen historischen „Reichtumsrekord“ anstrebt, der nicht bloß Multimilliardär sondern erster „Billiardär“ der Geschichte werden will, der sich die einflussreichste Meinungsplattform der Welt kauft und zu einer völlig unverschämt missbrauchten Manipulations- und Hetzplattform umbaut; ein Agitator, der sich einen US-Präsidenten kauft und sich nicht mehr damit begnügt, als Strippenzieher im Hintergrund zu agieren, sondern der sich in anmaßender Selbstverliebtheit als ungewählter Oberpräsident aufspielt und versucht, Wahlen in aller Welt zu schieben und zu manipulieren. Ein Prahlhans und Spitzbub, der vor aller Augen betrügt, und dessen Vermögen noch einmal wächst, während unsereins die Inflation das Einkommen wegfrisst.

Wir kennen in Österreich die Schmalspurversionen dieses Typus, die Hochflieger, die sich als Defraudanten erwiesen, die Benkos und Pierers, die glaubten, sie können sich alles erlauben und die in ihrer Gigantomanie der Politik anschaffen, wo es langzugehen habe.

Es wird Zeit, dass wir uns wehren.

Zeit zur Gegenwehr

Weil Freibeuter wie Musk oder auch Peter Thiel den Bogen jetzt so überziehen, werden demokratische Gesellschaften über kurz oder lang reagieren müssen. Das defensive Nichtstun der vergangenen Jahrzehnte ist keine Option mehr. Wer unvorstellbare ökonomische Macht anhäuft und diese einsetzt, um die Demokratie zu manipulieren, führt auch dem Letzten vor Augen: unbeschränkter Reichtum und die Gleichheitsidee der Demokratie vertragen sich nicht. Die Europäische Union wird nicht darum herumkommen, X (vormals Twitter) entweder zu enteignen und in die bewährte öffentlich-rechtliche Organisationsform überzuführen – oder es einfach in Europa abzuschalten.

Elon Musk ist überdies das beste und bestechendste Argument dafür, dass Reichensteuern ein Gebot sind, um solche Machtkonzentrationen gar nicht erst entstehen zu lassen. Hochmut kommt vor dem Fall und so kann auch Elon Musk genau der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und so den historischen Fortschritt wieder anspringen lässt. Indem er die Totalherrschaft des Milliardärsgesindels vor aller Augen annonciert, wird er womöglich zu deren Totengräber.

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

50 Kommentare

50 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Glasfasern für Putins Militär - nur ZackZack berichtet

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!

pilnacekbannerhalfpage