Montag, Januar 20, 2025

Die Republik wäre eine andere

Hans-Peter Martin über Charme und Professionalität des Aufdeckers Kurt Kuch, der vor fast genau zehn Jahren viel zu früh verstarb.

Vorwort von Peter Pilz

Zum zehnten Todestag des großen Investigativ-Journalisten Kurt Kuch ist Autor Hans-Peter Martin eingeladen worden, einen Beitrag für einen Sammelband zu verfassen. Der fertige Text erscheint jetzt nicht dort, sondern bei uns. Ich habe gerne auch etwas zu Kurt Kuch, dem Journalisten, der gerade jetzt besonders fehlt, geschrieben.

Text von Hans-Peter Martin


Am Anfang war es ein Belauern. In der „News“-Redaktion wurden kurz vor der EU-Wahl 1999 alle Spitzenkandidaten fotografiert. Ich hatte die Seiten gewechselt, vom „Spiegel“ Korrespondenten zur SPÖ-Kandidatur, war mir aber der Konsequenzen noch nicht klar und sah mich weiterhin als Enthüllungsjournalist. So wollte ich mit Kurt Kuch ins Gespräch kommen, von Kollege zu Kollege.

Er war freundlich, aber unverbindlich, vielleicht sogar etwas irritiert. Wenige Tage später erschien ein ungewohnt sympathisches Bild von mir auf dem „News“-Cover. „Das ist ein 
Geschenk der SPÖ für dich“, behauptete Johannes Voggenhuber von den Grünen. Das mochte ich damals noch nicht wahrhaben. Als internationaler Reporter glaubte ich auch in Österreich noch an die Unabhängigkeit. Erst langsam begriff ich, wie sehr etwa der damalige 
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas zahlreiche Journalisten im Griff hatte.

Kurt Kuch jedoch zählte nicht dazu. Überhaupt nicht. Ewige viereinhalb Jahre später meldete er sich am Telefon. Soeben hatte ich dem „Spiegel“ als EU-Abgeordneter ein Interview über unser privilegiertes Politikerleben gegeben: „Wir müssen endlich ehrlich sein.“ Kurt Kuch wollte mehr wissen. Ich zögerte, hatte meinen eigenen Plan über Zeitpunkt und Abläufe. Doch er sagte: „Wenn Sie mir keine neuen Informationen geben, dann bekomme ich sie von jemand anderem“.

So eine Vorgehensweise stammte nicht nur aus der Trickkiste des früheren Aufdeckers Alfred Worm, sondern war eine Drohung mit Substanz, da auch Johannes Voggenhuber einige Missstände im EU-Parlament öffentlich machen wollte, wenngleich weichgespült. So befolgte ich den Grundsatz „If you can‘t beat them, join them“, und traf mich zügig mit Kurt Kuch.

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Foto: Ricardo Herrgott

Fast über Nacht fanden wir uns, zwei Seelen, eine immer größer werdende Enthüllungsgeschichte.  Nach kurzer Zeit war die Combo geschmiedet: Alison Smale von der „New York Times“, Günther Jauch von „Stern TV“, Dirk Hoeren von der „Bild“ und eben Kurt Kuch mit „News“.

Er war so anders als die meisten österreichischen Journalisten. Ihm konnte man vertrauen, er respektierte das so wichtige Prinzip des „off the record“, also den Gesprächsinhalten, die man für sich behält, wenn das so vereinbart wird. Diese verlässliche Verschwiegenheit öffnete ihm viele Türen und wurde auch zur Grundlage unserer Freundschaft.

In der wöchentlichen Sendung „Stern TV“ zeigte ich die Videoaufnahmen der EU-Abgeordneten, die hemmungslos das damalige Brüsseler Spesensystem ausnutzten. Zuvor war allerdings das neue „News“-Heft schon im Handel. Die „Bild“ folgte tags darauf. In der „International Herald Tribune und in der „New York Times“ erschienen Titelgeschichten. Hans Dichand von der „Kronenzeitung“ zog erst später mit. Er hatte meine Kritik am 
früheren Bundespräsidenten Kurt Waldheim nicht vergessen.

Doch gerade die inhaltliche Positionierung gegen Rechts war immer das Herzstück 
meiner politischen Arbeit. Kurt sah das für sich auch so. Auch dieses gemeinsame Verständnis schweißte uns zusammen. Gleichzeitig gelang es Kurt mit seinem Charme und seiner Professionalität, immer wieder im Inneren von FPÖ und BZÖ zu recherchieren.

Zu Unrecht wurde er deshalb der FPÖ-Nähe verdächtigt, erst recht, als er SPÖ-Machenschaften öffentlich machte. Doch es war ganz einfach: Exklusive Enthüllungen 
waren Kurts Lebenselexier. Die Skandale um die Hypo Alpe Adria, Buwog und Eurofighter rückten durch die Recherchen von Peter Pilz und ihm ins Scheinwerferlicht.

Wenn er noch lebte? In dieser Republik wäre wohl einiges anders. Er hatte so viele besondere Zugänge zu Menschen in wichtigen Positionen, dass ihm vieles nicht verborgen geblieben wäre. Sebastian Kurz, H.C. Strache und manch andere wären wohl gar nicht so weit gekommen wie sie kamen. Und ob es Herbert Kickl geschafft hätte? Ich denke, im Verbund 
mit anderen Rechercheuren wäre es nicht dazu gekommen.

Bei seiner Arbeit folgte Kurt stets einer Vorgabe: „A Gschicht is a Gschicht.“ Das zeichnet unbestechliche Journalistinnen und Journalisten aus. Als ich persönlich angegriffen wurde, sorgte er bereits 2004 dafür, dass meine Kritiker in eigenen Berichten zu Wort kamen. Auch des woa a Gschicht.

Dennoch intensivierte sich unsere Zusammenarbeit. Meine internationalen Kontakte verschafften Kurt neue Zugänge. Immer wieder überlegte er, zu einem deutschen Medium zu wechseln, als Druck auf ihn ausgeübt wurde. Vor allem Chefredakteur Peter Pelinka machte ihm zu schaffen. Ich hatte dessen Standfestigkeit schon unter besonderen Umständen kennengelernt.

 
Als frischgebackener SPÖ-Spitzenkandidat lud Andreas Rudas mich im Frühjahr 1999 in die Alte Schmiede im ersten Wiener Bezirk. Dort wartete schon Pelinka, um im Detail mit Rudas die TV-Runde im ORF mit allen anderen Spitzenkandidaten vorzubereiten, somit Fragen und Ablauf. Der Moderator dieser Sendung war dann: Peter Pelinka. Als es dann hoch über dem Stephansplatz live „Zur Sache“ ging, wurde daraus eine Sternstunde der wahren ORF-Unabhängigkeit.

2006 staunte Kurt Kuch heftig, als sich Patrick Kutschi aus dem Umfeld des früheren Innenministers Ernst Strasser zu einer Kandidatur auf meiner Liste bei der Nationalratswahl bewarb. Zuerst war Kurt misstrauisch. Drohte ein Leger? Doch dann war er beeindruckt. Was 
Kutschi wohl alles aufdecken könnte, sobald ihn als Abgeordneter die Immunität schützen würde. Selbstverständlich berichtete Kurt exklusiv über Kutschi.

Doch unmittelbar danach geschah, was Österreich leider auszeichnet: das gezielte Vernichten politisch unliebsamer Gegner. Sogar über unsere Pressekonferenz zur Vorstellung der Kandidaten wurde kaum berichtet. Stattdessen gab es haltlose Betrugsvorwürfe aus Brüssel gegen mich. So schafften wir es entgegen den Prognosen nicht in den Nationalrat. SPÖ-Spitzen ließen mich wissen, sie sähen lieber Haiders BZÖ im Parlament als eine „Liste Martin“. Kutschi wurde am Tag nach der Wahl im Innenministerium abserviert, er habe auf das falsche Pferd gesetzt.

Durch akribisches Durchforsten von Datensätzen, die ich ihm vermittelte, konnte Kurt 2008 die Machenschaften des damaligen Spitzenkandidaten des Liberalen Forums, Alexander Zach, enttarnen und dessen Wahl verhindern. Danach bemühte ich mich intensiv, Kurt zu überzeugen, mit mir 2009 fürs EU-Parlament zu kandidieren. Er überlegte genau, wir waren uns einig.

 
Doch dann hörte er auf sein Innerstes, und das war eng mit seiner Heimat verbunden. Trotz seines weiten Blicks galt für ihn: lieber Oberwart und Bad Tatzmannsdorf als Brüssel und Straßburg. Persönlich war dies verständlich und dennoch bin ich überzeugt: Gemeinsam hätten wir neue unhaltbare Zustände in der EU aufgedeckt und hoffentlich zu einer positiven Veränderung beitragen können, ehe die EU-Zerstörer von Rechtsaußen immer einflussreicher wurden.

In den zermürbenden Jahren haltloser Anschuldigungen gegen mich wuchs unsere Freundschaft noch. Canceln war Kurt fremd, im Gegensatz zu so vielen Heuchlern in der Wiener Blase. Er vertraute mir. Öfters kamen wir nach langen Oberwarter Nächten erst zum Morgengrauen in sein Haus zurück. Abends trafen wir uns jenseits der Grenze in Köszeg mit Hans Peter Doskozil, der damals noch ein aufgeklärter und auskunftsfreudiger Polizeichef war. In Deutschland zogen Kurt und ich durch Fußballstadien. Soccer is life.

Statt 2014 zuerst in „News“ zu berichten, dass ich nicht noch einmal fürs EU-Parlament kandidiere, riet Kurt mir, dem „Falter“ ein Interview zu geben. Wir verabredeten, ein gemeinsames Buch zu schreiben. Arbeitstitel: „Die Russen im Westen“. Beide hatten wir damals vielversprechende Informationszugänge.

Noch ehe die Recherche vielleicht auch etwas heikel hätte werden können, war viel gefährlicher, was sich in Kurts Körper ausbreitete. Die Diagnose war verheerend: Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. So wurden aus geplanten Arbeitstreffen Krankenbesuche, aus Beisltouren gemeinsame Abende vor dem Fernseher bei 
ihm zu Hause. Rauchen und Rasen mit dem Auto, das waren Kurts Schwächen, was auch immer er damit im Privatleben kompensierte. Durchzechte Nächte waren auch seins, aber jedenfalls in meinem Beisein blieb alles im Rahmen.

Kurt fuhr noch einmal mit mir durchs Burgenland, in dem er nicht nur verwurzelt, sondern mit dessen Geschichte er leidenschaftlich vertraut war. Ich fürchte, dass auch in diesem Bereich einiges nie mehr erzählt werden wird, vor allem auch, was SPÖ-Begünstigte nicht schätzen würden. 


In seinem letzten Interview erklärte Kurt, dass er im Juni 2015 das Champions-League-Endspiel mit mir in Berlin besuchen wolle. Am 3. Januar 2015, vor nunmehr zehn Jahren, starb er, in seinem 43. Lebensjahr. Als ich es im Losverfahren schaffte, die Fußball-Karten zu bekommen, war es für ihn schon zu spät. Es war die einzige Verabredung, die er nicht 
einhielt.

Einige Wochen vor seinem Tod konnte ich Kurt verraten, dass alle strafrechtlichen Ermittlungen gegen mich in Bälde eingestellt würden. Er wusste damit auch dies als Erster, behielt es aber auf meine Bitte hin für sich, weil nicht sicher war, ob durch eine frühzeitige 
Veröffentlichung nicht doch wieder Intrigen gestartet würden. Ja, auch da war Verlass auf ihn. Mit ihm habe nicht nur ich einen grandiosen Freund verloren. Österreich noch viel mehr.


Titelbild: HAK Burgenland, https://www.youtube.com/watch?v=WftbJOBmPHk

Autor

  • Hans-Peter Martin

    Hans-Peter Martin ist ein österreichischer Autor, Journalist und ehemaliger Politiker. Von 1999 bis 2014 war er Mitglied des Europäischen Parlaments und deckte den Spesenskandal im EU-Parlament auf.

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