Montag, Januar 20, 2025

Meinl-Reisinger vs. Lindner: Der NEOS-Bruch war viel fataler

Die NEOS sprengten die Koalitionsverhandlungen, die deutsche FDP tat dies 2017 auf ähnliche Weise. Ein Vergleich der beiden Vorgangsweisen zeigt: Das Manöver der NEOS kam viel überraschender und weitaus folgenreicher daher.

Mit dem NEOS-Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen drängte sich rasch ein Vergleich auf: Beate Meinl-Reisinger habe den “Christian Lindner gemacht” beziehungsweise “gelindnert”, wie es eine Wortschöpfung deutscher Medien bezeichnet.

Der deutsche FDP-Chef ließ im November 2017 bekanntlich Sondierungsverhandlungen der sogenannten “Jamaika”-Koalition platzen. Auch hier ging es um ein mögliches Dreierbündnis (gemeinsam mit CDU und den Grünen), auch hier erwies sich der liberale Part als Sprengmeister. Die FDP hatte mit gut 10 Prozent eine ähnliche Ausgangslage wie die NEOS, war ebenfalls kleinster Verhandler.

Den deutschen Liberalen brachte ihr Manöver viel öffentliche Kritik, letztlich aber ein leichtes Plus von 0,7 Prozent bei den nächsten Wahlen. Es wäre sehr verwunderlich, wenn die NEOS nicht auf die Situation der Schwesterpartei geschielt hätten, bevor sie ihren Bruch vollzogen.

Ein näherer Vergleich beider Vorgangsweisen zeigt zudem aber auch: Die Aktion der heimischen NEOS kam ruckartig und völlig unvermittelt daher, die Folgen sind – gerade für die den Liberalen angeblich wichtige Außen- und Sicherheitspolitik – unabsehbar.

FDP hatte eine Frist, NEOS beendeten verfrüht

Die deutschen Verhandlungen folgten 2017 im Gegensatz zu Österreich einem genauen Zeitplan. Nach der Bundestagswahl vom 24. September nahmen CDU, Grüne und FDP ihre Sondierungsgespräche am 18. Oktober auf – mit dem damals klar kommunizierten Ziel, bis zum 16. November eine Entscheidung zu treffen. Das Datum wurde zwar vertagt – man verhandelte notgedrungen bis spät in den Sonntag des 19. November hinein – dennoch war allen die festgesetzte Frist klar. Und vor allem: Diese wurde auch von der FDP am Verhandlungstisch ausgeschöpft.

Anders in Österreich und bei den NEOS 2025: Mit dem Dreikönigstag visierte man zwar inoffiziell eine gewisse Zielmarke am Weg zu einer Koalition an, öffentlich festgelegt war das jedoch nicht. Vielerorts, etwa seitens des Bundespräsidenten, stellte man sich eher auf Mitte Jänner ein. Somit drehten die NEOS weder Sonderrunden, noch strapazierten sie bekannte Deadlines oder kommunizierten neue – sondern stiegen früh und unvermittelt aus.

In Österreich war man viel weiter als in Deutschland

Beate Meinl-Reisinger sagte es nach ihrem Rückzug in der ZIB2 selbst: “Wir haben in einigen Bereichen Durchbrüche erzielt.” Konkret nannte die NEOS-Chefin den Bereich Migration und einen “schärferen Kurs in der Integration”, neben dem Bildungsbereich, wo “einiges erreicht werden konnte.” Das ist nicht nichts. Gerade im Bereich Migration schrieb man Bablers SPÖ von bürgerlicher Seite unüberbrückbare linke Positionen zu, die SPÖ verzichtete zudem auf ihre wichtigste Forderung der Vermögens- und Erbschaftssteuern. Mit dem Bildungsbereich konnten die NEOS in einem ihrer Kernbereiche reüssieren.

Bei einem Christian Lindner und der Jamaika-Aufkündigung lagen solche Einigungen in weiter Ferne. Formell handelte es sich damals nur um Sondierungsverhandlungen, die in Deutschland jedoch viel strukturierter und ausgefeilter ausfallen.

Lindner beendete mit Handschlag, Meinl-Reisinger per Handy

Auch stilistisch gingen die NEOS drastischere Wege. Lindner warf das Handtuch unmittelbar in den Marathonsitzungen und dem finalen Verhandlungssonntag des 19. November 2017. Nach klaren diesbezüglichen Ankündigungen und Warnungen Richtung Angela Merkel verließen die FDP-Vertreter per Handschlag den Verhandlungstisch und stellten sich der Presse. Beate Meinl-Reisinger vermied den direkten, persönlichen Weg. Sie nahm Freitagmorgen ihr Handy in die Hand und rief erst Karl Nehammer, dann Andreas Babler und schließlich Alexander Van der Bellen an, allesamt verblüfft und eigentlich in Erwartung eines neuen Verhandlungstags. “Das war überraschend”, hieß es vom Bundespräsidenten anschließend.

Der Unterschied mag oberflächlich klingen. Doch das urplötzliche Aufkündigen samt anschließender Schockstarre hat die weiteren Verwerfungen des Wochenendes wohl erheblich beeinflusst. Plötzlich standen ÖVP und SPÖ alleine da, das Label des “Weiter wie bisher” und einer altbackenen, “großen” Koalition wäre nicht wegzubekommen gewesen. Wenn die NEOS nun argumentieren, ÖVP und SPÖ hätten ja eine Mehrheit gehabt und weitermachen können, nehmen sie sich damit selbst nicht ernst.

Kickl ante portas

Der folgenreichste Unterschied zwischen Deutschland 2017 und Österreich 2025 besteht aber freilich in den logischen Alternativen des Bruchs. Nach dem Scheitern von Jamaika bildete sich eine “GroKo” aus CDU und SPD, als Merkels Vize kam Olaf Scholz zum Zug. Für die NEOS musste klar sein, dass mit ihrer Entscheidung nun Herbert Kickl mit größter Wahrscheinlichkeit das Kanzleramt übernehmen wird.

Gerade in den von den NEOS stets hochgehaltenen Bereichen der Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik birgt die Übernahme der FPÖ in der derartigen Weltlage Risiken, die noch gar nicht abzuschätzen sind. Dass nun die Ibiza-Parteien FPÖ und ÖVP um Innen- und Justizministerium feilschen müsste den NEOS als angeblicher Kontrollpartei surreal vorkommen. Sie selbst haben diese Entwicklung möglich gemacht.


Titelbild: MAX SLOVENCIK / APA / picturedesk.com, pixabay

Autor

  • Thomas Hoisl

    Ist seit April 2024 bei ZackZack. Arbeitete zuvor u.a. für "profil". Widmet sich oft Sicherheitsthemen oder Korruptionsfällen.

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