Wie die meisten einflussreichen Personen in der ÖVP sprach sich der neue ÖVP-Chef Christian Stocker noch unlängst klar gegen Herbert Kickl als Kanzler aus. Jetzt hat er ein Problem mit der Glaubwürdigkeit.
Was gilt das Wort eines Politikers nach der Wahl? Das fragen sich viele Wähler und versuchen, die Partei und Person zu wählen, die sie für glaubwürdig halten. Dass die ÖVP derzeit ein Problem mit der Glaubwürdigkeit hat, verrät nicht nur ein Blick auf die neuesten Umfragen, bei denen die Volkspartei dramatisch abstürzt. In den meisten Umfragen hat sie seit der Wahl ungefähr 5 Prozentpunkte in der Wählergunst verloren und liegt derzeit bei rund 21 Prozent.
Im letzten Jahr beteuerten sämtliche ÖVP-Politiker gebetsmühlenartig, dass sie mit Herbert nicht zusammenarbeiten werden. Nun wolle Stocker die Einladung Kickls zu Koalitionsgesprächen annehmen.
Stockers Kickl-Sager
Christian Stockers 180-Grad-Drehung lässt wohl für viele ÖVP-Wähler die Frage offen, warum man noch ÖVP wählen soll. Schließlich grenzte sich die Partei als konservative Kraft gegen Rechtsaußen ab – genau diese Abgrenzung ist jetzt gefallen. Neben Ex-Kanzler Karl Nehammer fiel vor allem Christian Stocker mit Ansagen gegen Kickl auf, die heute nichts mehr wert sind.
So sagte er etwa bei einem Pressetermin mit dem Namen „Kickl kann’s nicht“, zu dem eine eigene Internetseite der ÖVP betrieben wurde und sogar eine gleichnamige Broschüre erstellt wurde, dass Herbert Kickl nicht als Bundeskanzler geeignet ist. Deutlicher wurde er bei einer Rede im Parlament: „Es ist nicht das Erzählte, das reicht. Es geht schon um das Erreichte, das zählt.“ Danach fügte er hinzu: „Es will Sie niemand in diesem Haus. Sie finden in diesem Haus keine Partner.“ Die Internetseite wurde mittlerweile von der ÖVP vom Netz genommen.
Nun wolle die ÖVP unter Stocker die Einladung der FPÖ zu Koalitionsgesprächen annehmen. Jubelstimmung wollte bei Stocker bei einer Pressekonferenz am Mittwoch jedoch nicht ausbrechen. Man fordere von der FPÖ ein klares Bekenntnis zur europäischen Union, freier Presse und einer Orientierung am demokratischen Westen. Damit könnten auch die Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP zur Zerreißprobe werden, wenngleich sich die Parteien im Sozialabbau und bei Steuer- und Wirtschaftsfragen einig sind. Stocker sagte jedenfalls, er scheue auch Neuwahlen nicht.
Die Lügenhauptleute
Alle ÖVP-Landeshauptleute blamierten sich im Jahr 2024 mit voreiligen Aussagen zu Kickl, die sie heute im Lichte neuer Gegebenheiten, widerrufen müssen.
Etwa Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Auf die Frage, ob die ÖVP nach den Wahlen kein Bündnis mit der Kickl-FPÖ schließen würde, sagte sie: „Das ist das, was fix ist. Alles andere ist offen.“
Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner beteuerte: „Es gibt die klare Sicht: mit Kickl nicht.“
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle unterstrich vor der Wahl: „Eine Koalition mit der FPÖ ist für mich nicht vorstellbar.“
Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer schwor ebenso: „für mich ist Herbert Kickl als künftiger Koalitionspartner, als Person auf Bundesebene völlig undenkbar.“
Thomas Stelzer, ÖVP-Landeshauptmann in Oberösterreich komplettiert das Quintett aus den Ländern: „Ich könnte mir auch nicht vorstellen, dass ich mit Herbert Kickl zusammenarbeite…“
Die ÖVP-Kehrtwende zeigt: Nach der Wahl gilt nur der Machterhalt. Kaum eine Partei war in Europa länger durchgehend in der Regierung.
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