Die Grundpfeiler der demokratischen Republik bekommen angesichts der kommenden FPÖ-Regierung erste Risse. Wie man den Verfall des friedlichen Miteinanders noch aufhalten kann.
Gestern saß ich im Café in verzagter Runde mit langen Gesichtern und Langzeitfrustrierten, die den Unmut über die politischen Zustände, die Verrohung und Verlogenheit der Konservativen und Rechten gar nicht mehr diskutieren wollten. Es gab aber natürlich kein anderes Thema. Dann begannen die üblichen Diskussionen: »Wohin sollen wir auswandern?« Bis eine Frau am Tisch sagte: »Nein, wir müssen hier bleiben – hier bleiben und kämpfen.«
Das war die richtige Ansage. Bei allem Verständnis für durchaus begründete Verzagtheit kann man es letztlich durch Aufgeben und Verstummen der bestehenden rechtsextremen Unkultur in Österreich nicht noch leichter machen. Große und lange Strecken der Geschichte galten zähen, schwierigen, oft aussichtlosen Kämpfen für Gerechtigkeit und Gleichheit und gegen die Verblendung der Massen. Der Wohlstand und die Stimmung der Jahre 1970 bis 1997 haben uns vielleicht ein wenig verwöhnt und glauben gemacht, dass die Gesellschaft mit großem Konsens der ständigen Weiterentwicklung der Demokratie zuarbeitet. Ein Irrtum. Und vergessen wir nicht, dass der rapide Fortschritt dieser 27 Jahre auch den Grundstein für das heutige Absacken in bodenlose Bequemlichkeit und konsum- und wohlstandvergessene Radikalisierung ist.
Jeder Lüge die Wahrheit gegenüberstellen
In allen Phasen des Widerstands haben Unterdrückte Techniken und Grundsätze für ihren täglichen Kampf gelernt. Sie mussten es. Denn Widerständische werden von den Machthabern immer durch Dämonisierung, Fraktionierung und Marginalisierung bekämpft.
Ob man aktiven oder passiven Widerstand leistet, ist eine persönliche Entscheidung. Was wir aber für die Zeit der kommenden Regierung brauchen, ist der unablässige Widerspruch. Wir müssen jeder Lüge der Regierung und ihrer Medien die Wahrheit gegenüberstellen. Wir müssen jeder Propaganda Aufklärung gegenüberstellen. Wir müssen dafür sorgen, dass ihre rechtsextremen und rechtspopulistischen Positionen nicht normal werden, weil sie unwidersprochen bleiben und man sich daran gewöhnt. Wir müssen ihr mit Fakten begegnen. Wir müssen sie an ihre eigenen Aussagen aus der Vergangenheit erinnern.
Man muss es sagen
Ein jüngstes Beispiel ist ein von mir geschätzter Artikel des von mir geschätzten Journalisten Fabian Schmid in Der Standard über Susanne Raab. Alles an dem Artikel ist lobenswert und in Ordnung. Doch, wie es unserer Zeit entspricht, findet sich darin auch der folgende verstörende Halbsatz: »Raab, die zweifelsohne Qualifikationen im Bereich der Migration mitbringt, [..]«
Ich weiß schon, dass Schmid das Schreiben muss, damit der Standard die ÖVP nicht vergrault. Nur muss man diesem Halbsatz entgegenhalten, dass er falsch ist. Susanne Raab hat sich nie mit Migration beschäftigt, sondern immer nur Islamophobie, Anti-Islamhetze und Ausländerfeindlichkeit propagiert. Das kann man nachweisen. Das muss man sagen dürfen und daher auch sagen.
Kritischer Journalismus ist nicht tot
Für all diese Entgegnungen braucht es aber auch eine Öffentlichkeit. Sie zu schaffen wird die viel schwierigere Aufgabe. Wenn wir die Zeit der kommenden vierten rechten Regierung in der Zweiten Republik nicht dafür nutzen, lassen wir eine große Chance aus. Ich weiß schon, dass die Vorzeichen für eine solche Öffentlichkeit nicht gut stehen.
Nach der Zerstörung von orf.at wird nun der gesamte ORF mit Almosen aus dem Budget finanziert und damit unter Regierungskuratel gestellt werden. Dass dort Regierungskritiker zu Wort kommen, ist kaum zu erwarten. Die Zeitungen des Landes werden sich ebenfalls so gut wie möglich zurückhalten. Doch deswegen ist der kritische Journalismus nicht tot; er lebt bei Dossier, auf Kobuk und Zackzack, in unzähligen kleinen Blogs und Medien, die man unterstützen und vor allem lesen soll.
Belogen, getäuscht und verraten
Der kritische Journalismus wird auch sterben. Es muss uns nur klar sein, dass, wer sich zu Wort meldet, heute mehr Widerstandkraft braucht und mehr Anfeindung und Ausgrenzung zu befürchten hat, als das in den 80er- und 90er-Jahren der Fall war. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch Journalistinnen und Journalisten mit konservativer und liberaler Grundeinstellung ihre Stimme erheben, jetzt, wo sie von der ÖVP und den NEOS belogen, getäuscht und verraten wurden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass der Widerstand gegen die kommende Regierung parteiunabhängig ist und zugleich aus progressiven, konservativen und liberalen Kräften besteht.
Schon alleine die Tatsache, dass (wenn ich Schallenberg 2 nun schon dazuzähle), fünf der letzten sechs Regierungen – die Regierungen Kurz 1, Bierlein, Kurz 2, Schallenberg 1 und Schallenberg 2 – Übergangs- oder Kurzzeitregierungen waren, überzeugt mich davon dass Sebastian Kurz, als er 2020 von »Staaten, die in ihren Systemen kaputt sind« gesprochen hat, Österreich gemeint hat.
Gegen die Verwahrlosung der Demokratie
Dieser Verwahrlosung muss man entgegentreten und für ein intaktes demokratisches System kämpfen, dass undemokratische Elemente entschieden abwehrt. Denn jene, die in der Demokratie mit der Demokratie die Demokratie abschaffen wollen, sind die perfidesten dieser Elemente und es gibt genügend historische Evidenz ihres Vorgehens. Man darf sie nicht entschuldigen, sie für staatstragend erklären oder in Selbsttäuschung über ihre wahren Absichten verniedlichen.
Mit der FPÖ, der ÖVP und den NEOS ist diese Verteidigung der Demokratie nicht möglich. Sie haben das Volk getäuscht, düpiert und belogen. Und die ÖVP hat auch den Bundespräsidententen getäuscht und düpiert. Ergebnis ist nun, dass – sollte es je einen Bundespräsidenten der FPÖ geben –, dieser immer seiner Partei den Regierungsbildungsauftrag geben kann, auch wenn sie nicht stimmenstärkste Partei ist und sich dabei auf einen Präzendenzfall berufen wird.
Noch ist die Demokratie nicht tot
Und so seien alle Menschen hier aufgefordert, das zu tun, was sie tun können, als Schreibende, als Lesende, als Recherchierende, als Archivierende, als Diskutierende, als Eltern, als Kinder und als Freunde. Noch ist der Fall ins Bodenlose verhinderbar, noch ist die Demokratie in Österreich nicht tot, noch sind Kritiker keine Dissidenten.
Aufhören aber muss man damit, sich mit alten Stehsätzen selbst zu belügen. Der Satz »Die ÖVP ist weniger schlimm als die FPÖ« ist falsch. Die ÖVP ist ein Schatten der FPÖ. Sie hat ihr Programm großteils übernommen und sich ihr bei jeder Gelegenheit angebiedert, sich zu Haider ins Cabrio gesetzt und ihre Politiker zu Ministern, Innenministern und jetzt bald Kanzlern gemacht. Ich bin mir sicher, dass Bundespräsident Van der Bellen diese Tatsache in der Präsidentschaftskanzlei täglich und stündlich durch den Kopf geht. Zumindest heute weiß er genau, was ein angeblicher »Grundsatz« der ÖVP wert ist: nichts.
Titelbild: Miriam Moné