Freitag, Februar 7, 2025

Randnotizen: Morgen ist längst vorbei

Die ÖVP ist von einer staatstragenden Partei zu einer boulevardhörigen Gruppierung verkommen. Doch die neue Ehe mit ihrem Lieblingspartner FPÖ birgt eine Gefahr, die die Partei zerstören wird.

Bei drittem Platz, also einem entsprechend schwachen Ergebnis, so Schüssel damals, wolle er seine Volkspartei in die Opposition führen. Aus der heutigen Sicht betrachtet, wäre dies tatsächlich der Königsweg. Aber er wird verstellt durch persönlichen Ehrgeiz einzelner Taktiker und durch die Neigung, Probleme aufzuschieben. Denn die Koalition, die Schüssel mit den Freiheitlichen des Jörg Haider einzugehen im Begriffe ist, wird – nicht nur nach meiner Meinung – der Volkspartei, dem Parteienwesen in Österreich insgesamt sowie dem Staat als Ganzem Schaden zufügen.

Diese Sätze schrieb ÖVP-Bundesrat Vincenz Liechtenstein. Sein Text wurde am 31. Jänner 2000 in der Tageszeitung Der Standard veröffentlicht. Der Schaden für den Staat, von dem der ÖVP-Politiker hier spricht, ist längst eingetreten. Sein Text wird in achtzehn Tagen fünfundzwanzig Jahre alt.

Morgen ist alles anders

Österreich ist das Traumland für Boulevardzeitungen. Sinnigerweise heißt eine dieser Volksverdummungsmedien sogar Österreich. »Eine Hochnäsigkeit«, so kommentierte der damals noch lebende Urvater der Volksverdummung Hans Dichand die Benennung dieser Zeitung durch die Gebrüder Fellner. In einem Boulevardland gelten die Regeln des Boulevards: Was gesagt und geschrieben wird, gilt für einen Tag. Morgen ist alles anders, denn dann gibt es eine neue Zeitung.

Am 16. Juli 2017 gibt der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) ein Interview, in dem er vor einer Koalition der SPÖ mit der FPÖ warnt und weiß, dass diese »ganz klar in Vorbereitung« ist. »Ich warne aber davor, eine derartige Zusammenarbeit im hinteren Kämmerlein zu konstruieren.« Was immer er mit dem »hinteren Kämmerlein« meint, heute wissen wir, dass genau zu diesem Zeitpunkt (vor den Nationalratswahlen des Jahres 2017) im stillen Raucherkämmerlein bereits eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ paktiert wurde.

Absolution

Während also die SPÖ, die 1986 nach der Übernahme der FPÖ durch Jörg Haider angekündigt hatte, nicht mit der FPÖ zu koalieren, diese Ankündigung bis heute gehalten hat, ist die ÖVP auf Linie des Boulevards. Im Boulevard weiß man, dass die Richtigstellung einer falschen Aussage immer weniger interessant ist, weniger Quote und Clicks bringt, als die große Ansage. Die Lüge wird groß aufgemacht. Ihre Enttarnung ist langweilig. Und der Boulevard ist der Ort, wo Absolution erteilt wird.

Christliche Politikerinnen und Politiker, die gerne ihren Glauben und die Wichtigkeit der Zehn Gebote betonen, brauchen nach ihren Lügen Ablass. Dieser wird erteilt, wenn die zuerst ausgeschlossene Koalition dann doch kommt und man sie als »alternativlos« bezeichnet.

Protokoll der Lügen

Christian Stocker braucht dringend Ablass. Am 30. September 2024 sagt er der Kleinen Zeitung:

Karl Nehammer – und damit die ÖVP – hat gesagt, mit der Kickl-FPÖ wird es keine Koalition geben. Das war gestern so, heute und wird auch morgen so sein.

Ach, morgen – morgen ist doch schon lange vorbei. Die Presse schreibt am 6. Januar 2025:

„Wer Kickl wählt, wählt 5 Jahre Hochrisiko mit radikalen Ideen“: Mit der FPÖ unter Herbert Kickl drohe der Umbau in eine illiberale Demokratie à la Ungarn, warnte der neue ÖVP-Chef und damalige Generalsekretär Christian Stocker noch im Wahlkampf.

Und weiter:

„Es bleibt ganz klar: Wer einen rechtsextremen Kickl in der Regierung verhindern will, darf sein Vertrauen nicht in andere Extreme setzen.“ Stocker warb für die ÖVP als „einziger Garant für eine Politik der Mitte“.

In der Süddeutschen Zeitung vom 7. Januar 2025 schreibt Verena Mayer:

Stocker gehörte als Abgeordneter des österreichischen Parlaments auch zu denen, die Herbert Kickl im Plenum scharf kritisierten. Er nannte ihn „rechtsextrem“, warf ihm vor, den Staat umbauen zu wollen, was „kein guter Plan für Österreich“ sei, rief ihm zu: „Herr Kickl, es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner.“ Und immer wieder beschrieb er Kickls Nähe zu Russland und dessen mögliche Berührungspunkte mit einer Spionageaffäre.

Florian Gasser in der ZEIT vom 5. Januar 2025:

Die Konservativen brechen damit eines ihrer zentralen Wahlversprechen, keine Koalition mit der FPÖ von Herbert Kickl einzugehen. […] Kickl habe seine Partei “immer weiter an den rechtsextremen Rand geführt”, sagte Stocker im Juni 2024. “Doch während die Grenze des Akzeptablen für jeden normal denkenden Menschen lang überschritten ist, zeigt Kickl, dass er die FPÖ noch viel weiter nach rechts führen will.” Ein paar Monate später schrieb Stocker auf X: “Für uns ist klar: Es wäre für Österreich fatal, wenn Kickl jemals wieder Regierungsverantwortung übernimmt.”

Die Diktatur aus Niederösterreich

Das Protokoll der Stockerschen Lügen ist sehr lange. Wozu aber soll man es lesen? Stockers Wahl zum ÖVP-Obmann zeigt nichts anderes, als dass die Diktatur der ÖVP-Niederösterreich in der Bundes-ÖVP nach Kurz und Nehammer weitergeht. Die Niederösterreichische ÖVP ist die gefährlichste Landespartei; sie ist rechtspopulitisch bis rechts und findet daher in der FPÖ ihren logischen Partner. Ihre Ankündigungen, was Koalitionen nach der Wahl betrifft, braucht man nicht zu kommentieren.

Aber auch in Niederösterreich wird bald passieren, was im Bund und in der Steiermark schon eingetreten ist. Die geliebte FPÖ, die die ÖVP gehätschelt und groß gemacht hat, wird sie eines Tages überholen. Da wäre es an der Zeit, einmal politisch umzudenken. Doch bei den Geistesgrößen, die die ÖVP heute lenken, scheint nichts in weiterer Ferne zu liegen als ein solches Umdenken.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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