Wenn Herbert Kickl wirklich zum Bundeskanzler bestellt würde, wäre das der größte denkbare Wählerbeschiss.
Vielleicht sollte man nicht von Koalitionsgesprächen zwischen FPÖ und ÖVP sprechen, sondern realitätsnäher so formulieren: FPÖ, Wirtschaftsbund und Industriellenvereinigung haben jetzt Korruptionsverhandlungen aufgenommen.
Das Schauspiel, das uns jetzt geboten wird, ist das einer Allianz der FPÖ, die ihr Programm auf die Wünsche der Magnaten und Oligarchen zugeschnitten hat. Und den Wirtschaftslobbys in der Volkspartei.
Es gibt hier nicht einmal mehr eine Scham und schon gar keinen Anflug von einem schlechten Gewissen, was man an den Auftritten des Industrie-Breschnews Georg Knill sieht: Der Herr Apparatschik versucht nicht einmal mehr den Eindruck zu vermeiden, dass seine Lobbyorganisation wie selbstverständlich das Recht in Anspruch nimmt, zu bestimmen, wer in Österreich regiert.
Diese Herrschaften wollten keine Koalition der Mitte und keine Kompromisse zwischen einer eher wirtschaftsliberalen und einer eher sozialen Politik, sie wollten eine Regierung unter Kickl, die ihre Wünsche exekutiert.
Sie bekommen sie nun.
Das sind diese „ganz wichtigen Männer“ ja gewohnt, dass sie sich einfach nehmen, was ihnen in ihren Augen zusteht.
Die Kickl-Macher in der ÖVP
Die Volkspartei lassen sie am Ende dafür auch über die Klinge springen. Die ÖVP hat die Freiheitlichen gleich auf mehrere Weise groß gemacht. Sie holte sie unter Sebastian Kurz in die Bundesregierung. Sie machte aber auch ihre Themen groß, indem sie die Narrative der Rechtsextremisten übernahm. Sie holte sie in eine Landesregierung nach der anderen und gab jeden Widerstand gegen die eskalierende Rhetorik der Reaktion auf, sie begab sich sogar in einen Überbietungswettbewerb. Die ultrarechte Hegemonie normalisierte sich so an jeder Etappe dieses Prozesses.
Die Volkspartei wird jetzt nach und nach von der FPÖ überflüssig gemacht, und hat ihre Hegemonie rechts der Mitte aufgegeben, was bei allen Wahlen der vergangenen Monate zum Tragen kam: erst die Nationalratswahlen, dann in der Steiermark, zuletzt auch in Linz, wo der FPÖ-Kandidat den ÖVP-Kandidaten überholte. Mit dem grotesken Schwenk von „Niemals mit Kickl“ zu „gern werfen wir uns vor Kickl in den Staub“ hat sie noch mal jede Glaubwürdigkeit verspielt, was bei einer Partei mit dem Motto „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit“ sowieso ein Kunststück war – nämlich, sich noch einmal mehr als Windbeutel zu erweisen.
Christian Stocker, ein Mann ohne jede Würde
All das macht parteistrategisch überhaupt keinen Sinn mehr, da die ÖVP sowieso schon das Groß der rechten Wähler an die FPÖ verloren hat, und jetzt auch noch die Mitte-Wähler vertreibt, die sie sich als bürgerliches Gegenprogramm zum rechten Extremismus wünschen würden. Was soll da dann noch übrig bleiben, außer ein letzter kleiner Rest an eingefleischten Parteisoldaten?
Nicht einmal an der Hoffnung, dass die Wähler schon vergessen werden und eine Erholung einsetzen wird, darf sich die einstige führende konservative Partei mehr nähren. Denn dass sie als Juniorpartner und Wurmfortsatz von Herbert Kickl irgendwann wieder Oberwasser bekommen könnte, ist eine derart absurde Phantasie, dass nicht einmal die ÖVP-Leute an sie glauben können.
So wie Schüssel einst die Freiheitlichen aussaugte wie Dracula die Jungfrauen, so wird es ihr nun umgekehrt gehen.
Die Selbstzerstörung der ÖVP verkörpert der traurige Christian Stocker, der mit dem herrlichen Satz auffällig wurde, es habe sich nichts an der von ihm monatelang geäußerten Ablehnung von Herbert Kickl geändert, „geändert hat sich nur, dass ich jetzt etwas anderes mache, als ich vorher gesagt habe.“
Das Wort „nur“ ist in diesem heute schon legendären Satz wahrscheinlich das schönste Schmuckstück.
Das derzeitige Geschehen scheint einer langfristigen Konzeption zu folgen, bei der rechts-reaktionäre Gesellschaftspolitik und eine harte neoliberale Wirtschaftspolitik am Ende als Zwillings-Gewinner dastehen werden.
Reaktionärer Umbau als „Sach- und Sparzwang“
Zunächst haben zwei Regierungen unter ÖVP-Führung das Budget vollständig ruiniert, und zwar erst die schwarz-blaue und dann die schwarz-grüne Regierung. Es wurden mehrere milliardenschwere, ungedeckte Schecks ausgestellt, wie etwa der Familienbonus im Steuerrecht, die Senkung der Unternehmensgewinnsteuern KÖSt, danach die Überkompensation beim Klimabonus und weitere Schritte zur KÖSt-Absenkung. Alles das geschah ohne Gegenfinanzierung und führte, sobald sich die Konjunktur eintrübte, notwendigerweise zu eskalierenden strukturellen Budgetdefiziten. Damit wurde eine Situation herbeigeführt, in der ein neoliberales Sparpaket nicht als fieses, herzloses Kürzungsprogramm erscheint, sondern als unvermeidbare, verantwortungsbewusste Notmaßnahme.
Das war der Plan: Es wird eine Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates erst mutwillig provoziert, um den Sozialstaat dann zu zerschlagen. Es ist das gewohnte Skript, mit dem der Wohlfahrtsstaat üblicherweise zerstört wird. Schon Margaret Thatcher und Ronald Reagan hatten es perfektioniert, und deren heutige Adepten kopieren dieses Drehbuch einfach.
Dieselben Mechanismen machen es jetzt für die rechtsnationalen Freiheitlichen einfacher, den Pluralismus, progressive Gesellschaftspolitik und dissidente Kunst und Kultur zu zerstören. Man wird der Freiheit und Vielfalt einfach den Geldhahn abdrehen, sie austrocknen, ihr die Lebensgrundlagen entziehen. Und man braucht dafür nicht einmal rabiate faschistische Rhetoriken bemühen, man wird auch das vergleichsweise harmlos als Gebot der Sparzwänge argumentieren. Dass für die mediale Hegemonie und den rechten Meinungsmonolithen, der sich über Österreich senkt, natürlich noch genügend Milliönchen übrigbleiben werden, versteht sich von selbst, wird aber im Getöse untergehen.
Der Betrug an den Wählerinnen und Wählern
Neben dem autoritären Irrsinn sind wir nun auch mit dem ganz normalen neoliberalen Irrsinn konfrontiert, dessen Wirkung aber auch nicht verniedlicht werden soll. Mitten in einer Rezession und einem Wirtschafts-Krisenumfeld auch bei unseren Nachbarländern mit einem 6,4 Milliarden Euro Sparprogramm auch noch die Wirtschaft weiter abwürgen, das ist so ziemlich der schlimmste Fehler den man machen kann. Und man verkauft es uns noch als besondere Leistung, dass man sich schnell und ohne Streit auf diesen Budgetpfad einigen konnte. Jeder, der die Grundrechenarten versteht, weiß natürlich, dass es besser gewesen wäre, wenn man sich nicht geeinigt hätte.
Man vergesse bei all dem nicht: Parteien, die hoch und heilig versprochen haben, Herbert Kickl nicht zum Kanzler zu machen, haben bei der Nationalratswahl 71 Prozent der Stimmen erhalten. Und ein Präsident, der genau mit diesem Versprechen in die Wahl ging, hat bei der Wahl zum Bundespräsidenten 56,7 Prozent der Stimmen erhalten.
Wenn Kickl zum Kanzler gemacht wird, ist das ganz nebenbei auch noch ein grandioser Betrug an den Wählerinnen und Wählern.
Titelbild: Miriam Moné