Freitag, Februar 7, 2025

Es geht schon los, bevor es losgeht

Kolumnist Daniel Wisser befürchtet, in Österreich habe man Patriotismus nie wirklich gelernt: “Denn er würde bedeuten, Widerstand gegen die zu leisten, die den Staat verraten und Österreich schon einmal zerstört haben.”

In den letzten Tagen habe ich mich mit einem Gedanken beschäftigt und – wenn schon außerhalb von mir keine Demokratie mehr ist – versucht, sie wenigstens innerlich zu leben. Es gab also in mir verschiedene Fraktionen, die verschiedene Meinungen hatten. Der Gedanke lautet: Ich werde ab der Angelobung der blau-schwarzen Unregierung ein Tagebuch führen, ein öffentliches Tagebuch. Jeder Eintrag wird zu Tagesende oder spätestes am nächsten Tag auf meine Webseite gestellt und darf nicht mehr verändert werden.

Ziel dieser Tätigkeit: Alles zu sammeln, was da an faschistischen, nationalsozialistischen, demokratiefeindlichen, freiheitsfeindlichen, verfassungsfeindlichen, beleidigenden, österreich-feindlichen, rechtswidrigen und hetzerischen Aussagen von der Regierung kommt und wie die Exkulpatoren der neo-faschistischen FPÖ-ÖVP-Regierung sie entweder unterstützen oder kleinreden. Ich habe festgestellt, dass die Zeitgenossen, die die blau-schwarzen Regierungen 2000-2002, 2002-2006 und 2018-2019 erlebt haben, schon wieder vergessen haben, wie übel und übelkeitserregend sie waren. Außerdem gibt es bereits eine Generation von Wahlberechtigten, die zur Zeit der ersten beide Kabinette noch im Kindesalter oder gar nicht auf der Welt war.

Gegen die Beschäftigung mit Scheißdreck

Die Idee lautet also, alle diese Aussagen zu sammeln, die Medienberichte darüber zu sammeln, aber auch ein persönliches Protokoll des Erlebten zu schreiben. Dieses gesamte Protokoll soll nicht später erklärbar und interpretierbar sein, sondern für das zeitgenössisch Wahrgenommene, Gedachte und Gelesene stehen und so stehen bleiben.

Doch in mir formierte sich Widerstand gegen diese Idee. Ein innerlich Oppositioneller meinte, es wäre schade, seine Lebenszeit der Beschäftigung mit diesem Scheißdreck zu widmen, es gäbe wichtigere, spannendere und vor allem intelligentere Tätigkeiten. Ich kann seinen Einwand gut verstehen. Und ein Sprecher meiner inneren Wirtschaftspartei sagte, dass es viel Zeit koste und kein Geld bringe, so ein Tagebuch zu führen. Der innere Gesundheitssprecher warnte noch dazu, dass es mich nur aufregen und mir gesundheitlich schaden würde.

Nichts Neues von der FPÖ

Also rückte die Mehrheit in mir von diesem Plan wieder ab. Aber so, als würde man mich provozieren wollen, lese ich gerade – in einer Phase, in der ich mir das Lesen von Nachrichten eigentlich aus psychohygienischen Gründen und um meine wirkliche Arbeit nicht zu gefährden, verboten habe – die jüngsten Aussagen der FPÖ-Abgeordneten Stefan und Tschank.

Ich will die Aussagen hier nicht wiederholen, sie sind im SPIEGEL und in Der Standard nachzulesen. Sie sind weder neu noch besonders aufregend. Dass die FPÖ über die ÖVP herzieht und die ÖVP sich das gefallen lässt, weil sie eine neo-faschistische Regierung haben will, ist auch nicht neu. Schon im Vorfeld der Regierung 2018 wurde die ÖVP von der FPÖ beschimpft.

Handlungsunfähige ÖVP

Herrlich ist es aber schon, wenn Politikerinnen wie Maria Rauch-Kallat, die selbst zwei Rechtsregierungen angehört hat, aufgrund dieser Aussagen nun mahnende Worte finden. Man sieht, wie handlungsunfähig die ÖVP ist und dass aus ihr keine Partei mit Anstand werden kann, wenn sie nicht zu klaren Grundsätzen und Prinzipien steht. Und das tut sie nicht. Herrlich ist es auch, wenn da die Grünen-Abgeordnete Maurer, die selbst mitgemacht hat, mit der Wiener Zeitung eine Qualitätszeitung zu zerschlagen, meint, die FPÖ wolle »die freien Medien zerschlagen«.

Herrlich ist es, wenn nun die NEOS sich kritisch zu Wort melden; womit sie sich nur selbst verhöhnen. Sie, die es in der Hand gehabt hätten, zu zeigen, dass sie es ernst meinen, Faschisten nicht an die Regierung zu lassen! Hätten sie ihre Arbeit gemacht, doch das ist ihnen zu anstrengend. Sie mahnen lieber.

Zum Schaden der Menschen

Die halbstarke Truppe der FPÖ, deren Politiker früher zum Teil mit der militant neonazistischen VAPO marschiert sind, und sich als Gegner des Staates aufplustern, will in Wahrheit nur eines: Staatsposten, Pragmatisierungen und staatliche Pensionen. Das ist das abgrundtief Lächerliche an der FPÖ. Wenn ein René Schimanek, von dessen Marsch mit der VAPO es ein Foto gibt, nichts anderes werden will als Ministerialbeamter, dann ist die Lächerlichkeit dieser Partei enttarnt.

Sie ist aber nicht mehr lächerlich, wo Entscheidungen im Staat fallen und vor allem das Geld von den Steuerzahlenden in diesem Land missbraucht und zum Fenster hinausgeworfen wird. Denn hier werden die Menschen betrogen. Der Schaden, den die FPÖ in den Schüsselkabinetten mit angerichtet hat (Eurofighter, BUWOG), der Schaden, den sie in Kärnten angerichtet hat (Hypo-Alpe-Adria) und mit dem sie das Land in den Bankrott geführt hat, die Schäden der letzten ÖVP-FPÖ-Regierung gehen zu Lasten der Menschen in diesem Land.

Es war immer da

All das gälte es täglich aufzulisten. Ich befürchte nur: Es bewirkt nichts. Ich habe noch das Buch Wofür ich mich meinetwegen entschuldige, herausgegeben von Hubertus Czernin im Jahr 2000, vor mir. Es ist eine Sammlung von Zitaten Jörg Haiders. Und wer nur ein wenig querliest, wird feststellen: Es ist alles schon da und es war immer da.

Da gibt es etwa auf Seite 17 das Zitat: »Die Soldaten in Stalingrad, gleichgültig ob Deutsche oder Österreicher, haben sich geopfert, um die Heimat zu schützen.«

Ich frage mich, ob ein Mensch mehr braucht als dieses Zitat, um sich darüber im klaren zu sein, was diese FPÖ ist, seit Jörg Haider sie übernommen und zu einer neo-faschistischen Partei gemacht hat.

Gegen die Zerstörung von innen

Doch ich befürchte, in unserem Land hat man wirklichen Patriotismus nie gelernt. Denn er würde bedeuten, Widerstand gegen die zu leisten, die den Staat verraten und ihn schon einmal verraten, Millionen seiner Staatsbürger getötet, vertrieben und enteignet und Österreich zerstört haben. Sie reden andauernd vom Wiederaufbau und verschweigen, wer Österreich zerstört hat, sodass es überhaupt wiederaufgebaut werden musste.

Ich befürchte, Österreich ist heute mehrheitlich nicht fähig, mit Zivilcourage und Anstand gegen seine Zerstörung von innen zu kämpfen. Und die geldgierigen Medienhäuser, die nur von der Regierung leben, sind es aus Eigennutz ebenfalls nicht.

Vergebliche Warnungen

Ob ich mein Tagebuch-Projekt in Angriff nehme, weiß ich heute nicht. Es wäre schön, wenn viele solche Protokolle und Sammlungen entstünden und man sie lesen könnte. So wird man vielleicht in den nächsten Monaten und Jahren das Gefühl haben können, nicht ganz allein zu sein. Ob die Energie, die man dafür braucht, auch noch von sich aus im Schlamm und in der Scheiße zu wühlen, nicht verschwendet ist – das ist eine persönliche Entscheidung.

Immer wieder zitiere ich dazu Heinrich Mann, der schon 1936 ein Buch gegen die Selbstinszenierung der Nationalsozialisten mit der Olympiade geschrieben hat. Und von 1938 stammt sein Zitat: »Das öffentliche Unheil, das auch das unsere ist, scheint sämtliche Erwartungen übertreffen zu wollen. Dennoch setze ich meine vergeblichen Warnungen fort.«

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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