Freitag, Februar 7, 2025

Der Kult der Disruption

Trump, Kickl und Co. wollen die Welt in Flammen sehen. Aber auch der Liberalismus wird angesteckt von der Zerstörungssehnsucht.

Donald Trump stellt gerade seine Regierung zusammen und das Prinzip scheint zu sein, die möglichst maximal unfähigste Person für die jeweiligen Ämter zu gewinnen. Anders als in seiner ersten Präsidentschaft will sich der faschistoide Präsident nicht von moderaten Figuren aus dem Regierungs- und Verwaltungsapparat bremsen lassen, sondern genau dieses „System“ zerschlagen. „Disruption“ ist die Parole der Stunde.

Die kommunikative Strategie des rechten Populismus und Extremismus ist, die Realität in möglichst schrecklichen Farben zu malen, ihre jeweiligen Gesellschaften als völlig „kaputt“ oder „broken“ zu zeichnen, um sich dann als Retter und Heilsbringer aufzuspielen. Das Institutionengefüge, die routinisierten Abläufe in der Verwaltung, das gewohnte Zusammenspiel von Parlamenten, Regierung und Gerichte, kurzum, alles, was sich in Gesellschaften so eingespielt hat, soll auf den Kopf gestellt werden. Also alles, was die Demokratie und das Leben einer Nation stabil macht, aber zugleich auch so langsam macht, soll weg. Und das ist bei Trump nicht nur Rhetorik, sondern zielstrebig verfolgte Absicht.

Das ist die revolutionäre Seite an Trump und das ist es auch, was die Linken gelegentlich in eine so unvorteilhafte Position bringt. Denn die sind ja auch für Veränderung: die einen eher für die allmähliche, die anderen für die ambitioniertere, die ganz Radikalen hätten auch gerne eine Revolution. Gegen den rechten Revolutionär nehmen sie aber dann die Rolle der Verteidiger der Institutionen ein, und damit auch für das Gewohnte, für Stabilität statt Chaos. Eine Rolle, die ihnen nie ganz behagt.

Pathos der Zerstörung

Der Kult des Disruptiven ist es auch, das die völkisch-faschistischen Rechtsextremen, die „konservativen Revolutionäre“ und die libertären Radikalinskis verbindet, weshalb wir in diesen Tagen auch erleben, dass nicht nur die Abgrenzung der Konservativen zu den Rechtsextremen bröckelt, sondern auch die der Liberalen. Bei der deutschen FDP verehren sie schon ganz offen Elon Musk, Peter Thiel und den argentinischen Kettensägen-Irren Javier Milei. Aber auch bei den NEOS gibt es ganz offensichtlich genügend Leute, die so ticken, die bisher eher im Hintergrund blieben. Dass die NEOS die Koalitionsverhandlungen platzen ließen, Herbert Kickl damit die Tür zum Kanzleramt weit aufmachten, lässt sich auch damit erklären. Zumal wenn man hört, dass sie das, was Blau und Schwarz an Kahlschlagplänen schon durchsickern hat lassen, ausdrücklich begrüßen, und ihre einzige Kritik zu sein scheint, dass ihnen der Staatsumbau nicht radikal genug ist.

Die „kalifornische Ideologie“

In den liberalen Wirtschaftstheorien gibt es seit jeher nicht nur eine Abgleitfläche in die totale Staats- und damit auch Institutionenfeindschaft, sondern eine religiöse Begeisterung für die Disruption. Joseph Schumpeter besang bekanntlich den Unternehmer als den „schöpferischen Zerstörer“, dass also vieles sterben muss, damit es bergauf gehen mag. Jede „Innovation“ ist ja auch eine Zerstörung, weil dann neue Produktionsmethoden eingeführt werden und all jene untergehen, die beispielsweise die Modernisierung verschlafen oder über deren Geschäftsfelder einfach die Zeit und der Todesengel hinweggeht. Aber neben diesen jahrzehntealten wirtschaftsliberalen Grundhaltungen gibt es auch das, was in den letzten Jahrzehnten als „kalifornische Ideologie“ bekannt wurde. Das, was der deutsche Forscher Philipp Staab den „Disruptionshype in der Technologiebranche“ nennt. Diese Ideologie, so Staab, sei eine „von Erneuerung als überwältigendem Prozess, der in Brüchen und Rupturen sämtliche etablierte Standards über den Haufen werfe, und gebe damit jede Beruhigung auf, die die Idee der stetigen Erneuerung im 20. Jahrhundert noch anzubieten hatte“.

Klar: die Techgiganten erneuerten ja nicht eine bestimmte Branche durch Innovation, sondern etablierten eine neue Branche, die die anderen Branchen zerstört. Das ganze webbasierte System im medialen Bereich und in der Werbung zertrümmert die Geschäftsgrundlage der bisherigen Medienbranche, Amazon zertrümmert die Geschäftsgrundlagen des Handels, Zalando die Geschäftsgrundlagen von Schuhhändlern. Noch gibt es ja welche, aber Unternehmensberater berichten mir, dass es heute praktisch unmöglich ist, auch gut gehende Schuhhandelsfirmen zu verkaufen. Denn: Warum sollte sie ein Investor kaufen, wenn er damit höchstens eine Rendite von vier Prozent erzielen kann, während in der Tech-Branche zehn Prozent oder mehr zu holen sind?

Der Jargon der Innovation

Über alle diese Strömungen, filigranen Impulse, neue Denkweisen hat sich ein Kult der Zerstörung eingeschlichen, bei dem alles, was schon länger da ist, automatisch alt aussieht und irgendwie als wert, dass es untergeht. Selbst im Alltag verwenden wir das Wort „Innovation“ so, als wäre sie der größte Wert, den man sich vorstellen kann. Dabei gibt es natürlich ganz viele Branchen, die nicht sehr viel Innovation brauchen, sondern höchstens gelegentlich ein neues Gefährt oder eine neue Maschine, wie die Müllabfuhr, die städtische Infrastruktur usw. Ganz wesentliche Bereiche unseres Alltags beruhen darauf, dass einfach das Gewohnte funktioniert, und manches, was dagegen als Innovation gefeiert wird, ist ganz schöner Schnickschnack, aber nicht wirklich essentiell für unser Leben. Dass die Klospülung funktioniert, ist deutlich wichtiger für uns, als dass wir eine Computeruhr am Arm haben, die uns ermahnt, dass wir heute noch nicht französisch gelernt haben.

Man kann darüber lachen, und manches an der kalifornischen Ideologie ist auch tatsächlich komisch, aber das Lachen kann uns sehr schnell vergehen. Nicht nur der Konservatismus gerät langsam ins Fahrwasser des Rechtsextremismus, auch der Liberalismus verliert seine Immunität. Viel zu viele Leute wünschen sich, dass das ganze „System in Flammen aufgeht“, sie haben – teils berechtigte, teils geschürte – Wut und jubeln, wenn jemand die Institutionen in Trümmern legt. Was sie dann gerne vergessen: In rauchenden Ruinen, in einer Welt, in der Institutionen, die für Balancen sorgen, zerstört sind, in der das reine Recht des Stärkeren herrscht, in einer solchen Welt wird es sich nicht allzu gut leben lassen.

Das war letztlich oft auch der blinde Fleck der linken Revolutionäre. Sie wollten alles umstürzen, den Klassenfeind vernichten, um danach aus den Ruinen das Paradies auf Erden zu errichten. Aber meist kam dann eben nur ein wenig gedeihliches Leben in Ruinenlandschaften heraus, wenn nicht noch Schlimmeres, während die Bilanz der gemäßigten Reformer und Fürsprecher der Gemächlichkeit deutlich besser aussieht.

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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