Freitag, Februar 7, 2025

Kurz- und Merzlos

In Deutschland hat man sich für jenen fatalen Weg entschieden, der in Österreich mehrfach erprobt wurde und mehrfach gescheitert ist: die Zusammenarbeit einer vormals bürgerlichen Partei mit einer neo-faschistischen Partei. Das ist der Anfang vom Ende – der Demokratie.

In Deutschland ist eine historische Entscheidung gefallen: Die vormals bürgerliche oder konservative CDU ist nun den Schritt gegangen, der ihre Selbstauflösung, vor allem aber ihren Abschied vom demokratischen Konsens bedeutet, und ihr zugleich für die nächsten Jahre eine einzige und letzte Rolle übrig lässt: die Neo-Faschisten an die Macht zu bringen.

Ursula von der Leyens Paktieren mit den italienischen Neo-Faschisten auf europäischer Ebene hat diese Entwicklung schon angekündigt. Die Biedermänner geben den Brandstiftern Unterschlupf im eigenen Haus und verteidigen sie, bis dieses Haus in Flammen aufgeht. Dann hat das sogenannte Bürgertum (wieder einmal) seine Schuldigkeit getan.

Tot ohne Not

Genau an dem Tag, an dem sich die Befreiung von Auschwitz zum achtzigsten Mal jährt, stimmen AfD und CDU gemeinsam im Deutschen Bundestag für nicht mehr als ein paar ausländerfeindliche Absichtserklärungen aus der Feder von Friedrich Merz, dem Comedian Harmonist unter den neuen Rechten, die die ehemals bürgerliche CDU von innen heraus zerstören. Wie Fabian Reinbold heute in der ZEIT in seinem Artikel mit dem Titel Wofür? schreibt, war die Abstimmung inhaltlich sinnlos, weil unverbindlich: Ohne Not lässt Friedrich Merz zu, dass sich die AfD als Mehrheitsbeschafferin im Bundestag inszeniert.

Doch für die CDU hatte die Abstimmung sehr wohl einen Zweck: den der Machtdemonstration. 348 Abgeordnete überstimmten 344 Abgeordnete, um einen Fünf-Punkte-Plan zu verabschieden, in dem es angeblich um Migrationspolitik geht. In Wahrheit werden dort alte Lügen und Propaganda fortgesetzt. Als Österreicher kenne ich das noch vom Auftauchen eines gewissen Sebastian Kurz in der CDU-Schwesterpartei ÖVP. Kurz bemühte denselben Populismus, dieselben Täuschungen und Lügen wie Merz, um mit einer neo-faschistischen Partei zu regieren. Heute hat diese neofaschistische Partei mehr Stimmen und Mandate als die ÖVP. Das ist das Ergebnis von zuerst Appeasement und dann Mitmachen: Die Macher der Neo-Faschisten werden zuerst ihre Junior-Partner und sind dann tot.

Migrantenmissbrauch

Merz‘ Aufhänger war das Messerattentat von Aschaffenburg. Seither ist Migrationspolitik für die CDU nur mehr Populismus. Keine Rede davon, wie viele Menschen täglich mit von Deutschland an kriegsführende Länder gelieferten Waffen getötet und vertrieben werden und eben fliehen. Keine Rede davon, dass Deutschland am Arbeitsmarkt Zuwanderung braucht wie einen Bissen Brot. Keine Rede davon, dass die CDU – wie jede rechtspopulistische Partei – Migration für ihre Wahlplakate und Propaganda braucht und missbraucht und alleine schon deshalb keine sinnvolle Zuwanderungspolitik machen will und wird.

Auch hier gibt es in Österreich ein gutes Beispiel. Der frühere Kanzler Karl Nehammer war vor seiner Kanzlerschaft Innenminister und kündigte eine ebenso harte Abschiebepolitik an wie Merz. Er hätte nach Warnungen des slowakischen Geheimdienstes das Attentat vom 2. November 2020 verhindern können, ja müssen. Seine Behörden bekamen Hinweise zum Täter und dessen Munitionskäufe. Nehammer und die Behörden haben nichts getan und den Täter machen lassen. Dafür hat Nehammer von Hunderten Polizisten in der Nacht bestens integrierte georgische Mädchen abschieben lassen; ein Gericht erklärte diese Abschiebung für rechtswidrig. Die Verantwortlichen haben ihr rechtswidriges Handeln bis heute nicht eingestanden und sich auch nicht entschuldigt. So sieht sie aus, die angebliche Migrationspolitik der rechtspopulistischen Bürgerlichen – Deutschland blüht nun dasselbe.

Letzter Teil der Geschichte des Kapitalismus

In Kürze wird Merz es nicht mit der AfD zu tun bekommen, sondern vor allem mit Elon Musk. Merz‘ Traum der Lieblingsneffe dieses faschistischen Dagobert Duck zu werden, wird nicht nur Deutschland destabilisieren, sondern ganz Europa. Und das ist ganz im Sinne von Musk und Trump.

Der Schmerz sitzt tief, denn bis gestern hatten sich viele Menschen in Europa wohl die Illusion gemacht, dass Deutschland ein Bollwerk der Demokratie sei und bleibe und den Ausverkauf durch die USA und den globalen Kapitalismus nicht zulasse. Heinrich Mann hat im Jahr 1935 (man beachte das Datum) den Aufsatz Es kommt der Tag geschrieben, der 1936 (man beachte auch hier das Datum) erschien, als die Welt noch in naivem Appeasement Hitler seine Olympiade abhalten ließ. Darin schreibt Mann: »Ein Volk verliert seine Freiheit um weltpolitischer Märchen willen – an Machtergreifer, die Deutschland weder kennen noch schätzen, sondern es einfach in den Dienst ihrer weltpolitischen Pseudologie stellen. Gewiss, das alles gehört in die Geschichte des Kapitalismus, letzter Teil.«

Kurz und Merz

Das Deutschland rechts der Mitte hat mit dieser Abstimmung nicht nur das demokratisch gesinnte Bürgertum zum Teufel geschickt, sondern auch seine Selbstaufgabe zugunsten des Einflusses des Großkapitals beschlossen, das fortan das Parteiprogramm der CDU durch seine Propaganda ersetzen wird. Sebastian Kurz hat auch das schon vorgemacht. Nur waren seine Finanziers, die heute alle Pleitiers sind (nicht moralisch, denn das waren sie schon davor, sondern tatsächlich insolvent), vergleichsmäßig kleine Lokaloligarchen.

Auch die Lügen und Dummheiten von Merz sind dabei so offensichtlich, wie es die von Kurz waren. Es reicht, wenn man sich die Zeitungsausschnitte aufhebt. Es sei nur ein Beispiel genannt: Am 25. August behauptete Merz noch (übrigens inhaltlich deckungsgleich mit Sahra Wagenknecht), der Krieg in Syrien sei vorbei und man könne nun nach Syrien abschieben. Knapp vier Monate später brachte der Krieg, der angeblich schon vorbei war, einen Machtwechsel: Assad floh und Al-Joulanis islamistische Miliz übernahm. Immer wieder wird seither von Hinrichtungen und Folter des neuen Regimes berichtet. Die selbsternannten Expertinnen und Experten von CDU und BSW sind still geworden.

Die wahren Aufgaben der Politik

Die Aufgaben der Politik für die nächsten Jahrzehnte liegen klar vor uns und werden seit Jahrzehnten genau und richtig beschrieben: Beendigung der sozialen Ausbeutung vor allem postkolonialistischer Ausbeutung; Beendigung der Ausbeutung der Natur (vor allem des fossilen Zeitalters) und damit der Zerstörung des menschlichen Lebensraums; Beendigung der Kriege dieser Welt und Beendigung der Parteiergreifung und der Waffenlieferungen an kriegsführende Länder; und schließlich Kontrolle der Weltbevölkerung.

Nur wenn man diese Aufgaben angeht, wird sich Migration eindämmen lassen. Alle anderen Wege sind verlogen. Die sogenannte westliche Welt lebt im Überfluss, weil es Flüchtende und Migranten gibt und ihre konservativen und rechten Parteien werden den Teufel tun und daran etwas ändern. Ihr Zusammenwachsen beschelunigt jene reaktionäre Rhetorik, wie wir sie bei Trumps Inauguration gehört haben. Das ist kein Programm, das ist nur die Ablehnung aller im Raum stehenden Themen.

Das Feindbild

Das Deutschland der AfD und des Herrn Merz wird ein ebenso reaktionäres Deutschland sein. Es wird sich fragen, wie man die deutsche Autoindustrie so darstellen kann, dass sie noch so aussieht wie jene in den Siebzigerjahren. Aber es wird sich nicht fragen, ob und wozu man diese Industrie noch braucht.

Zur Faulheit und Tatenlosigkeit der Rechten gehört es auch, sich mit Negativrhetorik und Feindbildern zu begnügen. Und so kommt noch ein propagandistischer Geniestreich hinzu: die Schaffung eines menschlichen Feindbilds. Ob es die Juden sind oder die Migranten ist gleichgültig. Hauptsache irgendjemand ist schuld. Friedrich Merz hat sich schon entschieden. Es gilt allerdings zu bedenken, dass er auf diesem Weg etwas zerstört, was mühsam errichtet werden musste: die Demokratie. Wir würden sie lieber erhalten – und zwar kurz- und merzlos.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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